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Islam, Antisemitismus, Langzeitarbeitslosigkeit, aktive Sterbehilfe: Manfred Rekowski bezieht Stellung

Nach der geistlichen Eröffnung der 67. ordentlichen Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland am Sonntag in der Martin-Luther-Kirche von Bad Neuenahr startete das Leitungsgremium am heutigen Montag mit dem Präses-Bericht „über die für die Kirche bedeutsamen Ereignisse“. Programmatisch hatte Manfred Rekowski seinen Beitrag mit diesem Satz überschrieben: „Wo und wie Gott zur Welt kommt“ und stellte (Weihnachten liegt schließlich erst ein paar Wochen zurück) die Frage „Wieviel Raum braucht die Kirche?“ – eben um Gott in dieser Herberge in unserer Zeit zur Welt kommen zu lassen.

Unabhängig von allem schrumpfendem finanziellen Spielraum in den kommenden Jahren und Jahrzehnten, machte der Präses klar: „Kirche ist nur dann Kirche, wenn sie sich immer wieder als ‚Kirche Gottes in der Welt‘ bewährt.“ Was aber heißt das konkret?

Stellung beziehen zu den drängenden Fragen nach Krieg und Frieden. Daran erinnern, dass es „keinen gerechten Krieg, nur einen gerechten Frieden“ geben kann. Daran mitwirken, dass Kriegsursachen nachhaltig bekämpft werden, dass Konflikte da, wo sie entstehen, in den Blick genommen werden – und nicht erst da, wo sie eskalieren: „Wo können wir zur Versöhnung beitragen, wo zur Deeskalation?“ fragte Rekowski die Synodalen.

Stellung beziehen auch in der Debatte um den assistierten Suizid und die aktive Sterbehilfe in unserer Gesellschaft. Die Forderung, jede Form organisierter, „geschäftsmäßiger“ Beihilfe zur Selbsttötung unter Strafe zu stellen, sei theologischer Konsens. Zugleich sei die stationäre und ambulante palliative Versorgung nachhaltig zu fördern: „Menschenwürde liegt – theologisch gesprochen – nicht in der Fähigkeit, unser Leben selbst zu bestimmen, sondern in unserer Gottesebenbildlichkeit“, sagte der Präses. In Extremsituationen müsse jedoch Raum bleiben für das Treffen „verantwortlicher Gewissensentscheidungen“ für Betroffene, Angehörige, medizinisches Personal und Seelsorger. Rekowski: „Die Gewissensentscheidung des Einzelnen ist zu respektieren, aber daraus lassen sich keine allgemeingültigen Normen ableiten.“

Stellung beziehen zum Thema „Langzeitarbeitslosigkeit“. Hier gilt für den leitenden Geistlichen der Evangelischen Kirche im Rheinland: „Eine humane Gesellschaft kann es sich nicht leisten, Menschen abzuschreiben.“ Nötig seien Programme zur individuellen Förderung der Betroffenen, etwa durch Erprobung des sogenannten, von der Diakonie geforderten, „Aktiv-Passiv-Transfers“ (mittels des Arbeitslosengeldes II könnte sozialversicherungspflichtige Arbeit für arbeitsmarktferne Menschen bezuschusst werden).

Stellung beziehen und Hilfe leisten für Flüchtlinge. Der Einsatz für schutzbedürftige Menschen gehört für Manfred Rekowski „zur Identität des christlichen Glaubens“. Hier sieht der Präses „einen grundsätzlichen Perspektivenwechsel“ als notwendig gegeben: „Programme zur Bekämpfung der Fluchtursachen und zur Reintegration von Flüchtlingen müssen als langfristige Prozesse und mit dem Ziel einer nachhaltigen Friedenspolitik konzipiert werden.“ Weiterhin sei auch das Kirchenasyl „ein legitimes Mittel, unserem Schutzauftrag als Kirche gerecht zu werden“ – als ein gewaltfreier Beistand der Kirchengemeinden, die dabei „keinen rechtsfreien Raum beanspruchen“, betonte der Präses.

Stellung beziehen zum Reiz- und Angstthema „Islam“: Mit der Beheimatung von vier Millionen Muslimen in Deutschland sei „eine neue Verhältnisbestimmung“ notwendig zwischen den Religionen und zwischen den Menschen, und auch „neue Justierungen im Verhältnis von Staat und Islam“ seien gefordert. Von Journalisten befragt auf der anschließenden Pressekonferenz, was er konkret damit meine, antwortete Manfred Rekowski, er denke hier zum Beispiel an die Schaffung einer verbindlichen „strukturellen Kommunikation“ zwischen Vertretern des Islam und dem Staat, wie sie zwischen Vertretern des Christentums und dem Staat gegeben sei.
In der öffentlichen Wahrnehmung und Debatte sei weiterhin „eine differenzierte Betrachtung des Islam“ immer wieder neu einzufordern: Die realen Gefahren, etwa durch einen gewaltbereiten Salafismus gelte es „mit allen Mitteln des Rechtsstaates zu bekämpfen.“ Rekowski betonte in diesem Zusammenhang: „Die diffusen Ängste in der Bevölkerung müssen wir ernst nehmen, indem wir für die Menschen ansprechbar bleiben.“ Und weiter: Wo „die Grenze zur Verunglimpfung“ überschritten, wo Hass, Ausgrenzung durch menschenfeindliche Parolen das Wort geredet werde, da sei „deutlicher Einspruch vonseiten der Kirche nötig.“

Stellung beziehen zum Thema „Bildung“ und diese als Kirche mitgestalten in einer multireligiösen Gesellschaft: Dies schließe „Aufklärung durch Religion“ und „Aufklärung in der Religion“ ein, und zwar über die Grenzen christlicher Traditionen hinaus, so Manfred Rekowski. Durch ihr nachhaltiges Engagement in den Schulen, im Konfirmandenunterricht müsse sich die evangelische Kirche überdies ihre „Spielräume der Breitenwirkung“ erhalten.

Zu den Komplexen „Antisemitismus“ und „Israel-Palästina-Konflikt“ bekräftigte der Präses die bekannten Positionen seiner Kirche: „Projekte der Hoffnung und Verständigung“ zwischen beiden Seiten fördern – judenfeindlichen Tendenzen, Haltungen und Aktionen als „Sünde gegen den Heiligen Geist“ (Karl Barth) „unseren schärfsten Widerstand“ entgegensetzen.

In allen diesen Fragen, Debatten und Herausforderungen der Zeit sei die Kirche „immer wieder neu dazu aufgerufen, Position zu beziehen und uns in den gesellschaftlichen Diskurs einzubringen“ – mit Sachverstand und mit der Bereitschaft zur „Auseinandersetzung mit Andersdenkenden.“ Und das künftig noch besser abgestimmt durch ein „gesamtkirchliches Themenmanagement“ zwischen Kirchengemeinden, Kirchenkreisen und Landeskirche, forderte Manfred Rekowski.

Zu den innerkirchlichen Herausforderungen der kommenden Jahre gehören – neben der weiteren finanziellen Konsolidierung und Einübung der Verwaltungen in das „Neue Kirchliche Finanzwesen“ NKF (an dieser Stelle Seufzen, Stöhnen und Applaus im Plenum) – für den Präses Veränderungen am und im presbyterial-synodalen System, die in den nächsten Tagen zur Debatte und zum Beschluss stehen werden: die bewährte Partizipation zu stärken und zugleich die gegebene Ordnung so anzupassen, dass „Kirche unter veränderten Rahmenbedingungen leben und arbeiten kann.“

Eine Frage der Zukunft der Kirche ist für Manfred Rekowski nicht zuletzt auch die „Wahrnehmung ökumenischer Chancen“ – womöglich mit einem nächsten bedeutsamen Schritt auf das Jahr des Gedenkens „500 Jahre Reformation“ zu: „Vielleicht ist es 2017 an der Zeit, dass Landeskirche und Bistümer von den Gemeinden an der Basis lernen und ebenfalls eine verbindliche Partnerschaftsvereinbarung eingehen?“, fragte der Präses.

Diese Idee griff in der anschließenden öffentlichen Aussprache der Synodale Dr. Bernhard Seiger, Superintendent des Kirchenkreises Köln-Süd, auf, indem er sogleich drei Schritte auf dem Weg aufzeigte, der „so konkret wie möglich zu beschreiben“ sei:

1.) Vergewisserung der gemeinsamen theologischen Grundlagen, etwa in der Taufe, im Gottesbild, in Auftrag und Dienst;
2.) Vergewisserung dessen, was an Partnerschaftlichem „heute schon passiert“ im Sinne einer Würdigung und Bestandsaufnahme;
3.) Fassung von „Zielvorgaben“ für einen weiteren gemeinsamen Prozess „nach 2017“.

Seiger ist Vorsitzender des Arbeitskreises im Evangelischen Kirchenverband Köln und Region zur Vorbereitung der Reformationsdekade in Köln und Region. Der Superintendent hatte zugleich die Federführung bei jenem historischen Reformationsgottesdienst 2014 in der Kölner Trinitatiskirche, dessen Besuch durch den frisch ernannten neuen Erzbischof von Köln, Rainer Maria Kardinal Woelki, auch von Präses Rekowski auf der diesjährigen Landessynode als „hoffnungsvolles“ Signal gewürdigt wurde.

Präses Manfred Rekowski schloss seinen Bericht – bedacht mit lang anhaltendem Applaus der offensichtlich angetanen Synodalen – mit einigen „reformatorischen Einsichten“, allen voran der zentralen Aufgabe „situationsgerecht und kontextgemäß“ nachzukommen, sich auf die Menschen und ihr Leben heute einzulassen und „das Evangelium in der Welt zu verkünden“.

Vieles an der alten Gestalt der Kirche – der Präses zitierte an dieser Stelle den Theologen Fulbert Steffensky – „wird sterben müssen.“ Nicht aber „blinder Reformeifer“ lenke in dieser Lage die Synoden und Kirchenämter, sondern ein sowohl pragmatischer wie geistlicher Umgang mit der Situation. „Wir sind eine Kirche, die mit Gottes Wirken rechnet“, formulierte der Präses sein Credo. „Wir brauchen wenig Raum. Aber wir brauchen Menschen. Der Glaube jedes einzelnen Menschen – auch seine Urteilsfähigkeit – ist in reformatorischer Sicht entscheidend.“ Und schließlich: „Gott kommt im Christus zur Welt – im Christus als Gemeinde existierend“ (Dietrich Bonhoeffer). So sind wir Kirche Gottes und der Welt.“

Die Landessynode tagt noch bis zum Freitag dieser Woche in Bad Neuenahr – wir werden weiter berichten auf www.kirche-koeln.de.

Text: Günter A. Menne
Foto(s): EKiR