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Kin Pan Wu (links) und Bettina Kurbjeweit (rechts).

Reverend Kin Pan Wu zu Freiheit, Menschenrechten und Demokratie in Hongkong: „Ich hoffe, es fließt nicht so viel Blut“

„In Hongkong geschieht heute kein Selbstmord mehr, ohne dass erhebliche Teile der Bevölkerung davon überzeugt sind, dass der oder die Verstorbene von der Polizei ermordet wurde“*, erklärte die FAZ Mitte Oktober mit Blick auf die schon Monate dauernden Proteste in Hongkong. Reverend Kin Pan Wu (Pastor der Chinesisch-Rheinischen Kirche in Hongkong) und Bettina Kurbjeweit (Vorsitzende des Arbeitskreises Partnerschaft CRC Hongkong des Kirchenkreises Köln-Mitte) sprachen mit unserer Autorin über die aktuelle Situation (am 27.09.2019) in der Sonderverwaltungszone der Volksrepublik China und die Haltung der Chinese Rhenish Church Hongkong. Kin Pan Wu besucht die Kölner Partnerkirche im Zuge einer wissenschaftlichen Arbeit an der Universität Bonn regelmäßig für mehrere Monate.

Reverend Kin Pan Wu war 2014 zu Besuch in Köln, als das „Umbrella Movement“ in Bewegung kam – die Demonstranten trugen Schirme, um sich gegen Regen, Sonne und das Pfefferspray der Polizeieinsatzkräfte zu schützen. Hat die seitdem immer wieder angespannte, schwierige politische Situation Auswirkungen auf die Partnerschaft Ihrer beiden Kirchen?

Bettina Kurbjeweit: Unsere Kooperation besteht seit 2006. Im Zentrum stand für uns als Kirchenkreis von Anfang an der Austausch untereinander: Der Wunsch, im Rahmen einer Partnerschaft nicht nur Geld zu spenden, sondern uns zu verbinden. „Kirche in der Großstadt“ ist unser gemeinsames Thema, auch wenn Hongkong gut 7 Millionen Einwohner mehr hat als Köln. Als vor sechs Jahren tausende Menschen auf Hongkongs Straßen begannen, für mehr Demokratie zu demonstrieren, hat uns das wachsamer gemacht. Sie hatten den Mut, offen gegen den Einfluss Chinas auf die Hongkonger Regierung einzutreten und wurden dafür gewaltsam abgeführt und verurteilt. Wir unterstützen unsere Partner durch Solidaritätsaktionen und natürlich auch Gebete. Wir möchten helfen, die öffentliche Wahrnehmung zu erhöhen für das, was dort passiert!

 Jeden, der in Hongkong lebt, betreffen die politischen Unruhen auf irgendeine Art und Weise, auch viele Christinnen und Christen. Wie steht die Chinesisch-Rheinische Kirche dort zu Themen wie Selbstbestimmung und Demokratie?

Kin Pan Wu: Unsere Kirche hat um die 30.000 eingetragene Mitglieder und sonntags besuchen rund 3.000 Menschen die Gottesdienste. Wir sind evangelische Christen, aber unsere Kirchenkultur unterscheidet sich sehr von der in Deutschland, Großbritannien oder Amerika. Sie ist von Ältesten geprägt und konservativ eingestellt. Der Chinese Rhenish Church Hongkong ist es ganz wichtig, Neutralität zu wahren. Die Separation von Kirche und Staat gehört zu ihren Leitlinien. Wir sind stolz darauf, über dieser Frage nicht auseinander gebrochen zu sein. Wenn es um die Lage auf unseren Straßen und um unsere Regierung geht, spreche ich nur für mich selbst, nie im Namen meiner Kirche.

Als Privatmensch fällt es schwer, nicht mit den Demonstrierenden mitzufühlen.

Kin Pan Wu: Ja, viele Christinnen und Christen engagieren sich privat, in diesem Jahr auch ausgelöst durch den geplanten Gesetzesentwurf über ein Auslieferungsabkommen vermuteter Straftäter mit China. Hongkongs Justizsystem würde seine Unabhängigkeit verlieren, und wer ausgeliefert wird, wird nach den Normen der Volksrepublik China verurteilt. Seit Mitte Juni wird dagegen demonstriert, und immer mehr Menschen sind bereit, auch ihr Gesicht zu zeigen – trotz berechtigter Angst vor den Folgen. Am 15. Juni wurde der erste Protestler zum Märtyrer, als er von einem Hochhaus sprang. Am Tag darauf waren 2 Millionen Demonstranten auf den Straßen.

Die Bilder und Mitschnitte zeigen junge Protestler und nur wenige ältere Menschen. Teilen die älteren Generationen die Ängste der Jungen nicht oder verhalten sie sich ebenfalls lieber neutral?

Kin Pan Wu: Zu sehen sind viele junge Menschen, die sind an vorderster Front. Sie werden aber im Hintergrund von den älteren unterstützt. Nicht finanziell, was oft unterstellt wird. Sie wollen kein Geld! Sie wollen Unterstützung: Regenschirme, Bus- und Bahntickets, Essen und was immer gebraucht wird, wenn man tagelang auf den Straßen unterwegs ist. Das bekommen sie. Die Demonstrierenden kämpfen letztlich auch für alle anderen Menschen in Hongkong.

Was fordern sie konkret?

Bettina Kurbjeweit: Die Rücknahme und nicht nur vorläufige Aufschiebung des Auslieferungsgesetzes. Freie demokratische Wahlen. Die bisher festgenommenen Demonstrierenden sollen freigelassen und die Strafvorwürfe gegen sie fallengelassen werden. Außerdem sollen die Proteste als das gesehen werden, was sie sind und nicht als „Aufstand“ bezeichnet werden. Und, ganz wichtig: Der „weiße Terror“, die erlebte Polizeigewalt, muss von unabhängiger Stelle untersucht werden.

Am 1. Oktober wurde das 70-jährige Jubiläum des Bestehens der kommunistischen Volksrepublik China gefeiert. In der Presse war von einer Verdopplung der Militärpräsenz zu lesen und wenige Tage später von einem Vermummungsverbot für Demonstranten. Wie ist die Lage jetzt, einige Woche später?

Kin Pan Wu: Das hier ist eine sehr gefährliche Zeit in Hongkong. Die Brutalität und Übergriffe durch Polizei bereiten uns täglich Sorgen. Verdeckte Ermittler werden eingesetzt und falsche Vorwürfe erhoben. Wir bitten unsere Freunde hier in Köln, für uns zu beten. Ich hoffe, es fließt nicht so viel Blut.

Wie kann der Kirchenkreis die Menschen in Hongkong zusätzlich unterstützen?

Bettina Kurbjweit: Wir versuchen, den Blick der Öffentlichkeit für die Situation zu schärfen und auf diese Weise den Druck auf die Regierung von außen zu erhöhen. Ende September haben wir die „Free Hongkong Exhibition“ einiger junger, zurzeit in Köln lebender Aktivisten finanziell gefördert. In der „Mülheimer Freiheit“ wurde mit Plakatwänden, Videosequenzen und Presseausschnitten aus aller Welt über die Proteste und ihre Hintergründe informiert. Eine sehr eindrucksvolle Ausstellung.

Wir hoffen, es finden sich bundesweit noch viel mehr Räume, in denen sie gezeigt werden kann. Ich persönlich wünsche mir, dass die Parteinahme für die Demonstrierenden in Hongkong im Westen –auch in Deutschland – klarer und entschiedener laut wird. An der Grenze zu China streiten die vielen jungen Demonstranten schließlich für unser aller Werte: Für Freiheit, Menschenrechte und Demokratie.

*Frankfurter Allgemeine Zeitung am 16.10.2019, „China setzt auf Konfrontation” von Friederike Böge.

Text: Claudia Keller
Foto(s): Claudia Keller