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Interkulturelle Verständigung in der Praxis: 16 türkische Journalistinnen und Journalisten waren zu Gast im christlichen Köln

Im Vorjahr trafen Vertretende der beiden großen christlichen Kirchen in Köln im Haus der Evangelischen Kirche auf türkische Journalistinnen und Journalisten. Nun diente das Domforum als Gesprächsort. Die 16 Gäste aus der Türkei sind zumeist „hochrangige“ Mitarbeitende der Tagespresse. Sie besuchten im Rahmen eines Journalistenprogramms zur Vertiefung der deutsch-türkischen Beziehungen wie im Vorjahr auch Köln. Das mehrteilige, an verschiedenen Orten in Deutschland stattfindende Programm wird – mit Unterstützung der Stuttgarter Robert-Bosch-Stiftung – vom Kölner Verein „Kulturforum Türkei/Deutschland“ organisiert.

Vertiefung der deutsch-türkischen Beziehungen in Köln
Im Domforum des Stadtdekanates empfingen für die Katholiken „Hausherr“ Stadtdechant Johannes Bastgen und Sonja Sailer-Pfister, Referentin für den interreligiösen Dialog, die Gäste. Auf evangelischer Seite beteiligten sich am Gespräch der amtierende Stadtsuperintendent Rolf Domning, Pfarrer Dr. Martin Bock, Leiter der Melanchthon-Akademie, Pfarrerin Dorothee Schaper von der Arbeitsstelle für christlich-muslimische Begegnung des Kirchenverbandes, die in der Melanchthon-Akademie angesiedelt ist, sowie Presseamtsleiter Günter A. Menne. Bestimmt war der Termin von jeweils (simultan) übersetzten Fragen und Stellungnahmen zum interreligiösen Dialog und zur Situation der muslimischen und türkischen Einwanderer in Köln. Thematisiert wurden etwa Religionsfreiheit, mögliche Ängste vor Überfremdung und Parallelgesellschaften.

Der interreligiöse Dialog hat schon Tradition – nicht nur in Köln
Als wichtigen Ausdruck für das interreligiöse Gespräch nannte Bastgen den Kölner Rat der Religionen. Er wurde vor zwei Jahren auf Initiative von Oberbürgermeister Fritz Scharmma ins Leben gerufen. Bastgen bezeichnete dieses Gremium als städtisches Pilotprojekt, mit dem man sich langsam an Probleme heran taste. Das Projekt habe zwar noch viele offene Fragen, räumte Sailer-Pfister ein, man sei allerdings auf dem Weg, gemeinsam zu lernen – etwa, wie eine Stadtgesellschaft funktionieren könne. „Der Rat der Religionen ist keine Kölner Erfindung“, präzisierte Bock: Es gibt ein Vorbild. Denn das Kölner Projekt ist im ökumenischen Gespräch mit Kirchenvertretern aus Liverpool, einer der Partnerstädte Kölns, für die Domstadt entwickelt worden. In Liverpool bestehe schon länger ein entsprechender, Kirchen und Religionen einander näher führender „Council of Faith“. Schaper erklärte, dass im Hinblick auf die Stadt Köln nicht erst der Rat der Religionen einen interreligiösen Dialog in Gang gesetzt habe. Vielmehr sei der Dialog auf verschiedenen Ebenen schon vorher vorhanden gewesen. Darauf aufbauend habe sich der Rat der Religionen konstituiert, um Konfliktthemen anzusprechen. „Es ist also eine Entwicklung von unten nach oben gewesen“, fasste Schaper den Prozess zusammen – und löste damit bei einigen Gästen Verwunderung aus.

Es ist „wichtig , Ängste ernst zu nehmen“
„Der Rat der Religionen ist gut, weil nicht nur Christen verschiedener Konfessionen in Köln leben, sondern auch, neben anderen, rund 120.000 Muslime verschiedener Herkunft und Richtung“, informierte Bastgen. Zu den jährlich zwei Treffen ihrer Vertretenden lade für die Stadt der Oberbürgermeister ein. Ihm falle die moderierende Funktion zu. Rolf Domning unterstrich die unterschiedlichen Ausprägungen des Islam in Köln. Aufgrund der Gruppierungen ergebe sich eine unterschwellige Konfliktlinie. Schaper beschrieb die „besondere Situation“ in Köln: „Hier sind alle muslimischen Dachverbände angesiedelt.“ Sonst Konfliktparteien, biete sich ihnen nun Gelegenheit zum Austausch. „Wir sind froh, dass sie hier an einem Tisch sitzen, es geht um die Menschen, die in Köln leben“, ergänzte Bastgen. Der Rat der Religionen sei ein Signal, miteinander zu reden und sich über andere zu informieren. Obenan stünden Respekt und Achtung vor dem Glauben des anderen. Und wenn es Gewalt gebe gegen eine Gruppe, „müssen wir geschlossen auftreten“. Wie beispielsweise im September 2008 mit der Demonstration gegen den „Anti-Islamisierungskongress“ der rechtspopulistischen Organisation „Pro Köln“. Am Runden Tisch des Religionsrates könne man vertrauensvoll miteinander umgehen, sagte Domning. Man spreche über die jeweiligen Erfahrungen. Daher wisse man auch um Ängste auf beiden Seiten. Hier sei mitunter eine „Islamaphobie“ festzustellen, dort empfänden islamische Gruppen Vorbehalte Christen gegenüber. „Wichtig ist, dass wir solche Ängste und Einschätzungen ernst nehmen“, meinte Domning. Insgesamt mache man vor Ort aber die Erfahrung eines guten Zusammenlebens.

„Vom Reichtum der anderen Religion lernen“
Eine der türkischen Journalistinnen beschrieb die Vielfalt der Religionen als Regenbogen – jede Religion eine Farbe. In diesem Regenbogen aber finde der Islam keinen Platz: Er werde als „schwarz“ empfunden, insbesondere nach dem 11. September 2001. „Gibt es eine Strategie, das zu ändern?“ fragte sie. „Ja, durch vertrauensbildende Maßnahmen“, antwortete Bastgen. Und führte etwa den Deutschlandbesuch von Papst Benedikt an, der damals die Wertschätzung der Katholischen Kirche gegenüber den Muslimen geäußert habe. Domning nahm die Christinnen und Christen an der Basis in den Blick: „Wir verstärken mehr und mehr die Begegnungen, um auch vom Reichtum der anderen Religion zu lernen“, sprach er für die evangelische Seite. So habe es etwa Besuche von Muslimen im Pfarrkonvent und von Konfirmandinnen und Konfirmanden in der Ehrenfelder Moschee gegeben. Auch seien schon Fußballspiele zwischen evangelischen und muslimische Mannschaften ausgetragen worden.

Der 11. September 2001 als Chance zum Aufbruch
Dr. Bock stellte fest, dass der 11. September 2001 eine ambivalente Wirkung in Kirchengemeinden und Gesellschaft gehabt habe. In seiner ehemaligen Kirchengemeinde habe die Frage nach den Ursachen der Anschläge beispielsweise zu einer Kinderbibelwoche zum Thema Islam geführt. Veranstaltet, um eine Verbindung zwischen beiden Religionen zu schaffen. Bei gegenseitigen Besuchen, im interreligiösen und -kulturellen Gespräch habe es da manches an Aufbruch gegeben. Bastgen unterstrich mit Blick etwa auf karitative Einrichtungen, dass für ihn Begegnungen und vor allem praktische Hilfen vor Ort entscheidender seien als große Erklärungen. Die Frage, wie die Mehrheitsgesellschaft zum Dialog vor Ort stehe, beantwortete Domning am Beispiel der Großmoschee in Ehrenfeld. Verbandsspitze und Verbandsvertretung sähen überwältigend positiv deren Errichtung entgegen. Gleichwohl würden in den Verbandsgemeinden auch andere Fragen diskutiert, etwa zur Religionsfreiheit. „Wir wissen, bei uns gibt es Christen, die zum Islam konvertieren. Das mag in den Familien Irritationen auslösen, aber in unseren Kirchengemeinden wird das nicht gebrandmarkt.“ Dagegen sehe man in arabisch-islamischen Ländern, dass zum Christentum Konvertierte großen Problemen ausgesetzt seien.

Der Wahlsieg Barack Obamas
Die türkischen Gäste fragten auch nach den Reaktionen ihrer Gastgeber auf die US-Präsidentschaftswahl. „In unserer Kirche“, so Domning, sei die Intervention von George W. Bush im Irak sehr kritisch aufgenommen worden. Sie habe großes Entsetzen ausgelöst. Dem Wahlsieg Barack Obamas sei darum ein großes Aufatmen gefolgt. Verbunden mit der Hoffnung, dass nicht mehr (eigene) Wirtschaftsinteressen, sondern wertebestimmtes Handeln auch für die Menschen im Mittleren und Nahen Osten im Vordergrund stünden. Ebenso zeigte sich Bock zufrieden, dass eine andere Moderation der dortigen Kräfte gewollt werde. Bestimmt von einem Aufeinander-Zugehen, das möglichst auch das Verhältnis zwischen Israel und den Palästinensern betreffen solle. „Die Erleichterung haben wir auch bei uns wahrgenommen“, bestätigte Günter A. Menne, Leiter des Amtes für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region. Obama gehöre der UCC an, der US-amerikanischen Partnerkirche der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR). Während seiner Präsidentschaft sei eine neue Wertschätzung der Grundwerte zu erwarten – eine neue Qualität in der Innen- wie Außenpolitik der USA, auch infolge Obamas eigenem interkulturellem Hintergrund.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Broich