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In zweiter Auflage überarbeitet erschienen: Das Handbuch Notfallseelsorge

Wie anspruchsvoll, komplex und notwendig die Arbeit des Notfallseelsorgers ist, weiß man spätestens, wenn man das „Handbuch Notfallseelsorge“ gelesen hat. Die zweite Auflage trägt der rasanten Entwicklung der Notfallseelsorge Rechnung.

Notfallseelsorge kann zum „Prüfstein der eigenen Theologie“ werden
Herausgeber ist Joachim Müller-Lange, Landespfarrer für Notfallseelsorge der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR) und Vorstand der Konferenz Evangelischer Notfallseelsorgerinnen und Notfallseelsorger. Er betont, dass Notfallseelsorge inzwischen „ein selbstverständliches, wenn auch nicht ganz normales Arbeitsfeld der gesellschaftlichen Diakonie“ geworden ist. Eben dieses Aufgabengebiet zu schildern und zugleich auf die Aus- und Fortbildung der Mitarbeitenden ausgerichtet zu sein, gelingt dem Herausgeber und den zahlreichen Autorinnen und Autoren auf hohem wissenschaftlichem Niveau und in einer zugleich verständlichen Sprache. Im Vergleich zur ersten Auflage wurde in der jetzt erschienen zweiten Auflage ein besonderes Augenmerk auf die seelsorgliche Begleitung von Kindern sowie die Seelsorge an Gehörlosen gelegt.
Nach einer Einführung in die Notfallseelsorge folgt eine ausführliche Beschäftigung mit der Theologie dieses Aufgabengebietes. Hierin wird deutlich, wie die Extremsituationen, wie das menschliche Leid, wie der Tod von Unfallopfern oder die Brachialgewalt von Naturkatastrophen nicht nur die Opfer verzweifeln lassen, sondern zugleich auch häufig für Notfallseelsorger zum „Prüfstein der eigenen Theologie“ werden können.

Christliches Menschenbild
Damit diese ihren Glauben an das „christliche Menschenbild des leidenden und auf Hoffnung hin erlösten Menschen“ nicht verlieren und Menschen in Notfällen kompetent beistehen können, sind Supervision, Gespräche mit Kollegen oder auch Einsatznachsorge (damit beschäftigt sich ein eigenes Kapitel) teils unabdingbar.
Der Anspruch des Buches, nicht dogmatisch sein zu wollen, korrespondiert mit der Vielfalt der genannten Fallbeispiele – die beim bloßen Lesen nicht selten großes Mitgefühl fließen lassen. So verschieden die Situationen der Notfälle – Verkehrsunfall, Suizidversuch, Gewaltverbrechen, Großschadenereignisse – und das Verhalten von Menschen in Extremsituationen sind, so unterschiedlich sind auch die Ansprüche an die Notfallseelsorgerinnen und -seelsorger. Während in dem einen Fall das gemeinsame Gebet um das Heil des gerade Verstorbenen helfen kann, sind in dem anderen Fall Worte unerwünscht, die auf den Arm gelegte Hand aber willkommen. Trotz allem gelten für die Mitarbeitenden in der Notfallseelsorge bestimmte Regeln, die unumstößlich sind: Dazu gehört unter anderem das Achten auf die eigene Sicherheit am Unfallort und die einleuchtende Vorschrift, dass Angehörige von Verstorbenen niemals fernmündlich über den Tod ihrer Lieben informiert werden dürfen.

Würdevoller Umgang
Bei einem Einsatz, in dem ein Baby aus ungeklärten Gründen gestorben ist, sollte sich der Notfallseelsorger vor allem auch als Anwalt der Eltern sehen: Er sollte dafür sorgen, dass sich die Eltern von ihrem Kind noch verabschieden können, bevor es aufgrund der „ungeklärten Todesursache“ der Gerichtsmedizin zugeführt wird. Ohnehin zeigt das Buch an vielen Beispielen auf, wie eine würdevolle Behandlung der Verstorbenen aussehen kann.
Ein gesondertes Kapitel beschäftigt sich mit der „Seelsorge, unter den Bedingungen einer Katastrophe, eines Großschadenereignisses“. Hierin wird besonders deutlich, wie notwendig die Kooperation und reibungslose Kommunikation zwischen den verschiedenen Einsatzkräfteteams ist. Verschiedene Schemata und Ablaufmuster eines organisierten Einsatzes geben einen Einblick in die Komplexität einer solchen Aufgabe und tragen der Tatsache Rechnung, dass an dem Buch neben Theologinnen und Theologen auch Experten der Feuerwehr und Polizei, Psychologie, Psychotherapie, Pädagogik und Rechtsmedizin mitgearbeitet haben.

Vorlagen für Gebete
Zugleich offeriert das Buch zahlreiche Praxisvorlagen. Dazu zählen unter anderem mögliche Gebete bei einem plötzlichen Todesfall sowie Psalmparaphrasen. Im Anhang finden sich zahlreiche Literaturhinweise, die Auflistung der Autorinnen und Autoren samt Adresse sowie ein Adressenverzeichnis von Hilfsorganisationen sowie von Beauftragten für Notfallseelsorge.
Wenngleich das „Handbuch Notfallseelsorge“ sich naturgemäß mit Tod, Trauer, Ohnmacht, Wut, Angst und Hilflosigkeit von Opfern und Hinterbliebenen auseinandersetzt, zeigt es auch Wege auf, wie es Einsatzkräften gelingt, keine „Hornhaut auf der Seele zu bekommen“. Und was wäre ein Werk mit solch einer Thematik letztlich ohne die immer wieder vermittelte Zuversicht und Hoffnung: „Du bist nicht allein“ – und das eben vor allem auch in theologischem Sinn.

Erschienen ist das „Handbuch Notfallseelsorge“ in der Verlagsgesellschaft Stumpf + Kossendy mbH, Edewecht 2006 und kostet 29 Euro

Text: EKiR (Constanze Nieder)
Foto(s): EKiR