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„In einem intakten Miteinander leben können“ – Religionslehrer Wolfgang Rall in Brandenburg mit Pfarrer-Georg-Fritze-Gedächtnisgabe ausgezeichnet

Wolfgang Rall war es anzumerken, dass er überwältigt war. „Das ist eine große wertschätzende Ehrung“, sagte der Religionslehrer am Einstein-Gymnasium im brandenburgischen Angermünde zu Beginn seiner Rede. Ebenso wie die eritreisch-italienische Menschenrechtlerin, Dr. Alganesc Fessah, ist der Theologe in diesem Jahr Preisträger der Pfarrer-Georg-Fritze-Gedächtnisgabe des Evangelischen Kirchenkreises Köln-Mitte. Die musikalische Feierstunde zur Verleihung an den langjährigen Aktivisten für ein weltoffenes und tolerantes Miteinander fand allerdings nicht, wie sonst üblich, in Köln statt, sondern in St. Marien in Angermünde im Landkreis Uckermark.

Der vergangene Donnerstagabend war eine Feierstunde, in der ein Mensch gewürdigt wurde, der sich seit seiner Jugend in immer neuen Aktionen für seine Mitmenschen, für die Umwelt, für den Dialog, ein Miteinander der Kulturen und vor allem gegen das Erstarken rechter Kräfte in der Gesellschaft einsetzt. Denn auch das betonte Rall in seiner Rede: „Ich komme aus der Tradition der Friedensaktivisten, aus der Zeit, in der die Worte ,Schwerter zu Pflugscharen‘ uns ungemein wichtig waren. Frieden bedeutet für mich Unversehrtheit und das bedeutet, in einem intakten Miteinander leben zu können.“ Das vermittelt er auch seinen Schülern, die gemeinsam mit ihrem Lehrer aktiv und mutig gegen das Vergessen tätig werden. So erhielten Lehrer und Schüler 2001 die erste „Angermünder Elle“, die je vom Angermünder Bürgerbündnis für eine gewaltfreie, tolerante und weltoffene Stadt vergeben wurde – für ihre Aktion „Ich sehe nicht weg“, in der mit Plakaten und Postkarten Zeichen gegen Ausgrenzung, Mobbing und Gewalt gesetzt wurden. Ganz aktuell bereichern Friedensworte in Form von Graffitis das Stadtgebiet. Eine weitere Aktion, die Wolfgang Rall, der sich von Drohungen aus der rechten Ecke nicht schrecken lässt, maßgeblich mitträgt.

Seit 1981 wurden mit der Pfarrer-Georg-Fritze-Gedächtnisgabe zunächst jährlich, seit 2003 alle zwei Jahre, Menschen und Institutionen gewürdigt, die sich für die Opfer von Diktatur, Gewalt und Menschenrechtsverletzungen stark machen oder selbst zu Opfern wurden. Wer Preisträger wird, entscheiden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Kreissynode Köln-Mitte aufgrund von Vorschlägen aus den Gemeinden. Wolfgang Rall wurde vorgeschlagen, nachdem die Tageszeitung taz im Spätsommer 2019 über den engagierten Religionslehrer berichtet hatte.

Superintendentin Susanne Beuth erläuterte in ihrem Grußwort, dass der Beschluss der Herbstsynode 2019, in diesem Jahr zwei Einzelpersonen zu ehren, nur folgerichtig gewesen sei: „Das passt gut in eine Zeit, in der viele Menschen sich wie ein unbedeutendes Rädchen im Getriebe fühlen. Dem ist aber nicht so. Jeder kann etwas bewegen.“ Die mit je 5000 Euro dotierte Ehrung geht auf den Kölner Pfarrer Georg Fritze zurück, der sich schon Anfang der 1930er Jahre dem aufkommenden Nationalsozialismus entgegenstellte, Mitglied der Bekennenden Kirche, der evangelischen Oppositionsbewegung, wurde und durch sein Handeln stets ein Zeichen für den Pazifismus setzte.

Wolfgang Rall gab in seiner Rede zu, Georg Fritze sei ihm vor der Nachricht vom Erhalt der Auszeichnung nicht geläufig gewesen. Doch er habe sich voller Begeisterung über den Pfarrer informiert und mit Freude Parallelen entdeckt. „Ohne Menschen wie Georg Fritze, Karl Barth, Dietrich Bonhoeffer und Paul Schneider wäre ich nie auf die Idee gekommen, in der DDR ein Theologiestudium anzustreben.“ Den Theologen der Bekennenden Kirche verdanke er seinen Weg in die Theologie, ohne die Schülerinnen und Schüler und die Angermünder hätte er nie diesen Preis bekommen. „Hier gibt es Menschen mit Mut, die sich nicht einschüchtern lassen. Darum gebührt dieser Preis auch diesen Menschen.“

In seiner Laudatio würdigte Professor Wolf-Dietrich Buckow, emeritierter Soziologieprofessor der Universität Siegen, die Tatsache, dass Wolfgang Rall nie belehren oder bekehren wolle, sondern „immer auf der Suche nach Bündnispartnern und dem Dialog mit seinem Gegenüber ist und seinen Schülern das Vertrauen vermittele, dass ein humanes Zusammenleben möglich ist.“

Text: Katja Pohl
Foto(s): Till Gombert