Dünne Äste, Brettchen, Metallteile und Plastikröhrchen – im Weißer Rheinbogen aufgelesenes Strandgut hat Ulla Bönnen mit dünnen Schnüren zu horizontalen Linien gebunden und von diesen mehrere untereinander hängend verknüpft. Das gesamte Konstrukt aus wenigen waagerechten, dafür ausgedehnten Linien sowie etlichen senkrechten Linien ist mittels langen Nylonfäden an der Decke im Erdgeschoss befestigt.
Vertikale Ausstellungssituation
Bönnens Arbeit empfängt die Besuchenden der aktuellen Präsentation im Turm der Lutherkirche in der Kölner Südstadt am Martin-Luther-Platz. Dort stellt sie mit Thomas Kemper aus. Interessanterweise beschreibt die Erdgeschoss-Installation mit dem Titel „L´espace indicible“ (etwa: unsagbarer/unaussprechlicher Raum) die Form einer rechteckigen Spirale. Ist sie als Hinweis zu verstehen, wie man die Ausstellungsabschnitte nacheinander, nämlich aufsteigend absolviert? Jedenfalls: Denkt man sich den über Ecken laufenden Weg ins Innere der Windung als stufenweise Steigung, nähert man sich dem Prinzip, das durch die vertikale Ausstellungssituation ab Zimmer 2 immer rechts herum bis in den höchsten Stock führt.
Zwei künstlerische Positionen
Möglicherweise ist die Gitterstruktur der Fundsachen-Installation auch als ein Eingehen auf die Arbeiten Kempers zu verstehen. Damit sind wir beim Ausgangspunkt: Das erste gemeinsame Projekt der beiden in Köln lebenden Kunstschaffenden beruht auf der Idee, gleichzeitig beide „künstlerischen Positionen zueinander in Bezug zu setzen“. Also jeweils auf Werke des/der anderen einzugehen und insgesamt auf die Situation, Gestaltung, Einrichtung der speziellen Turmräume. „Wir hatten das Gefühl, hier können wir etwas zusammen machen“, so Bönnen. Trotz unterschiedlicher Ausdrucksformen lassen sich in ihren Herangehensweisen Berührungspunkte erkennen: So arbeiten beide raumbezogen, setzen sich mit vorgefundenen räumlichen Bedingungen auseinander, reagieren darauf. Beiden Werken sei gemeinsam „der mit feinen, sparsamen Eingriffen vollzogene Grad der Anpassung, Metamorphose und Gegenüberstellung mit dem Raum“, so Bönnen und Kemper.
Jede „Turmsituation erarbeitet“
„Es sind verschiedene Räume mit unterschiedlichen Voraussetzungen. Von ihrer Struktur her bieten sie einen dynamischen Wechsel“, beschreibt Kemper eine Herausforderung. Laut Bönnen ist der Raum selbst der Initiator und Ausgangspunkt. „Wir haben uns jede Raum- und Turmsituation erarbeitet“, spricht sie von einem subtilen und langen Entwicklungsprozess. Die Zusammenarbeit habe in einem guten Dialog mit wechselnden Vorlagengebern stattgefunden. „…ich könnte mir vorstellen, dass Sie durch meine Räume gingen“, lautet der mehrdeutige Ausstellungstitel. Dabei handelt es sich um ein Zitat des Schweizer Schriftstellers und Philosophen Peter Bieri aus seinem Roman „Nachtzug nach Lissabon“. Diesen veröffentlichte er 2004 unter dem Pseudonym Pascal Mercier. Wer durch die von Bönnen und Kemper temporär bespielten fünf Turmräume geht, ist also eingeladen, „Türen“ zu vielen weiteren „Zimmern“ – zu denen der Künstler – zu öffnen…
Luftaufnahme als Digitalprint
So im ersten Obergeschoss. Dominiert wird auf den ersten Blick auch dieser sehr kleine Raum von Beiträgen Bönnens. Auf einem dunklen Teppich hat sie zehn Stühle Rücken an Rücken platziert, zwischen diesen Türen und eine Tischplatte. An einer Wand hängt der großformatige Digitalprint einer Luftaufnahme einer ausgedehnten Landschaft. Auf ihr liegt der riesige Schatten eines Flugzeuges. Schräg gegenüber steht eine halbhohe Vitrine. Sie beherbergt etliche Dinge. Etwa ein Buch. Die aufgeschlagene Seite zeigt die Fotografie eines Pingo (Hügel in Permafrost-Gebieten) in Alaska. Nutzt man den rückseitig eingestellten Spiegel in der Vitrine, ist der Buchtitel zu lesen: „Knaurs Tierleben in Eis und Tundra“. Des weiteren finden sich im Vordergrund Holz, Kieselsteine und eine Landkarte Schottlands – wie beiläufig kombiniert. Andenken eben. Erinnerungsstücke von möglichen realen Fernreisen. Diese verbindet Bönnen mit Hinweisen auf „Bücher-Reisen“, mit Reisen, die allein im Kopf stattfinden: Wenn die gebürtige Bocholterin, Jahrgang 1963, komplette Möbel oder ihre Fragmente verwendet, möchte sie auf Sesshaftigkeit verweisen, der gleichzeitig, für einen (kurzen oder langen) Moment, Veränderung innewohnt. Veränderung ist eines ihrer großen Themen. Veränderung verstanden als neue Zusammensetzung, als Verwandlungsprozess, als Überführung in neue Zustände. So gleicht die Arbeit „Möbelrücken“ im schummrigen Licht des obersten Raumes auf den ersten Blick einer turmartigen Vitrine. Bald erkennt man jedoch eine Konstruktion aus diversen Möbelteilen und anderen Materialien.
Farbflächen auf Plexiglas und Aluminium
Bis auf das Erdgeschoss ist Kemper auch in allen Ausstellungsabschnitten vertreten mit „raumbezogenen Formationen aus monochromen Farbflächen“, gearbeitet in Öl und Alkyd (Harzlack). Als Bildträger nutzte er in früheren Jahren Aluminiumplatten, seit 2005 kleine, drei Zentimeter starke Plexiglasblöcke. Seine Arbeiten entstehen im Atelier. Sie gehören als (zunächst neutrale) Einzelstücke seinem ständig wachsenden Fundus von monochromen Farbflächen, aneinander gesetzten Farbfeldern und linearen Farbspuren an. Er versteht sie als Module, die je nach Eignung Verwendung finden. Nun auch im Lutherturm. Dabei handelt es sich überwiegend um einseitig auf Plexiglas gemalte, unterschiedlich einfarbige Farbflächen. Ebenso, bei den älteren Aluminiumarbeiten, um „gestisch orientierte Zeichnungen“ in intensiver Farbigkeit. Sie lassen die grundlegende Schicht mal mehr, mal weniger durchscheinen. Die nicht eindeutig zu bestimmenden Flächenstrukturen ähneln vage abstrahierten Körperformen, Tierhaut-Musterungen oder aus extremer Höhe angeschauten Landschaften.
Erstaunliche Tiefenwirkung
Kempers Farbflächen, im ersten Obergeschoss etwa in Orange-, Blau-, Braun-, Grün- oder Beige-Tönen, sind sparsam gesetzt. Sie beschreiben Ausschnitte einer (wie gekachelt vorgestellten, gedachten) Gitterstruktur der gesamten Wandfläche mit ausgesucht besetzten Feldern und mithin großen Leerflächen. Dergestalt entwickelt der gebürtige Steinfurter, Jahrgang 1957, ein Gefüge aus tatsächlichen und in der Vorstellung (ergänzend) zu bildenden Linien und Flächen. Da die seitlich lichtdurchlässigen Plexiglas-Rechtecke drei Zentimeter stark sind, befinden sich die jeweiligen Farbflächen in eben dieser Entfernung zur Wand. Da aber der Kunststoff-Träger in bestimmten Lichtsituationen nicht immer wahrgenommen wird, führt dies mitunter zu einem scheinbaren Schweben der transparenten Flächen. Von ihnen geht eine erstaunliche Tiefenwirkung aus.
Geöffnet ist die Ausstellung im Lutherturm, Martin-Luther-Platz (Köln-Südstadt), bis zum 14. Oktober: donnerstags bis samstags von 16 bis 19 Uhr, sonntags von 11 bis 14 Uhr.
Foto(s): Engelbert Broich