Die 1981 eröffnete Gedenkstätte Gestapogefängnis „bildet das Herzstück unser gesamten Arbeit“, sagt Dr. Werner Jung. Er leitet das städtische NS-Dokumentationszentrum im EL-DE-Haus am Appellhofplatz. Heute ist es ein Ort des Gedenkens, Forschens und Lernens. Bis März 1945 saß dort die Geheime Staatspolizei. Im Keller unterhielt sie ein Hausgefängnis. Jeweils bis zu 15 Häftlinge mussten Tage, Wochen oder gar Monate in den zehn winzigen, völlig überbelegten Zellen verbringen. In den Kriegsjahren handelte es sich vor allem um Zwangsarbeiter.
Eindrückliche Schilderungen von Häftlingen
Im Ungewissen über ihr weiteres Schicksal nutzten sie die Wände für „stumme Schreie“. Vor und nach Verhören wie Folterungen, in lebensbedrohlichen Situationen, teilweise angesichts des Todes, schrieben sie auf ihnen nieder Worte der Hoffnung, Verzweiflung und Klage. Sie schilderten die Haftbedingungen, formulierten Wünsche nach Freiheit, bewegende Abschiedsworte, ebenso Ermutigendes und Tröstendes für Mithäftlinge.
1400 Inschriften sind lesbar
Die Erhaltung des Gefängnistraktes und damit von zahlreichen seit dessen „Renovierung“ 1943 verfassten Inschriften verdankt sich laut Jung einem doppelten Zufall: „Das Gebäude wurde im Krieg nicht zerstört. Danach erfüllten die Zellen für die Stadtverwaltung jahrzehntelang einen doppelten Zweck. Sie waren trocken und abschließbar.“ Zudem sei die Gestapo offenbar nicht gegen die Inschriften, darunter lyrische Texte und Zeichnungen, vorgegangen. Von den 1800 konservierten Botschaften verfügen 1400 über einen nachvollziehbaren Inhalt und Sinn. Ein Drittel ist in russischer beziehungsweise ukrainischer Sprache verfasst.
„Wände, die sprechen“
„Nirgends ist ein Gefängnis aus der NS-Zeit so gut erhalten“, stellt Jung fest. An diesem Kölner „Gedenkort von nationalem und europäischem Rang“ bilden wiederum die Inschriften eine einzigartige Erinnerung. Das Prädikat außergewöhnlich gebührt ebenso der jüngst im Emons-Verlag erschienenen Publikation „Wände, die sprechen“. Herausgeber Jung versteht sie als Hommage an die Gestapo-Inhaftierten. Zahlreiche von ihnen wurden auf dem Innenhof des EL-DE-Hauses hingerichtet. Das aufwändig gestaltete Buch gibt die Inschriften in der Originalsprache mit deutscher und englischer Übersetzung wieder. Die ausführliche Dokumentation, die auf der Edition (1983) von Manfred Huiskes fußt, wird um eine beachtenswerte Einführung ergänzt. Anschaulich werden in ihr etwa die Geschichte des EL-DE-Hauses, die Tätigkeit der Gestapo sowie die Haft- und Lebensbedingungen der Inhaftierten erläutert.
„Ungeschönter Original-Ton der Opfer“
Höchsten Ansprüchen genügen ebenfalls die Abbildungen, darunter aufklappbare Fotoseiten. Frank Rechtmann hat nicht nur einzelne Inschriften und kleinere Wand-Segmente fotografiert. Die Montage seiner Aufnahmen von kompletten Wänden erlaubt sozusagen einen „Blick in die Zellen“ hinein. Überhaupt bietet die Dokumentation die große Chance, auch abseits der Gedenkstätte sich auf die Mitteilungen und Schicksale ihrer mehrheitlich anonymen Verfasser einzulassen. „Die Gefangenen bekommen eine Stimme“, betont Jung, und unterstreicht zu Recht den hohen Quellenwert der eindrücklichen Inschriften als „ungeschönten Original-Ton der Opfer“.
Denkmal an der ehemaligen Gestapo-Hinrichtungsstätte
Wenige Tage nach Erscheinen des „Denkmals in Buchform“ weihte Oberbürgermeister Jürgen Roters ein von Konzeptkünstler Thomas Locher gestaltetes Denkmal im Innenhof des EL-DE-Hauses ein. Über diesen Hof wurden von Herbst 1944 bis März 1945 mindestens 400 Gestapo-Häftlinge, auch aus dem Gefängnis Klingelpütz, zur Hinrichtung zumeist durch Erhängen geführt. Vor allem „fremdvölkische Personen“ wurden dort ermordet. Mitten in der Stadt. Laut Jung stand „der Galgen hinter dem benachbarten Gebäudekomplex Elisenstraße 3-9, wo sich heute ein Garten befindet“. Er ist erleichtert, dass der Hof als Teil der ehemaligen Hinrichtungsstätte sich nicht länger als unzumutbarer Schandfleck darstellt, auf dem Mülltonnen stehen und Pkw parken: „32 Jahre nach Einweihung der Gedenkstätte Gestapogefängnis gehört der Innenhof dazu.“ Dieses Denkmal verstärke den konkreten, authentischen Ort der Gedenkstätte, spricht Jung von einem würdigen und krönenden Abschluss der Erweiterung des Hauses.
Das Material ist Spiegelglas
Zum vielschichtigen Denkmal gelangt man durch den ehemaligen Gefängnistrakt. Wer die originale Hoftür öffnet, steht im Freien – und vor einer überraschenden „Begegnung“(mindestens) mit dem eigenen Spiegelbild, mit sich selbst… Denn Locher hat mit Ausnahme der Türen und Fenster, des Garagentores und der Einfahrt sämtliche „Wände bis zur Höhe der rückwärtigen Mauer“ mit Spiegelglas-Paneelen versehen. „Es lag schon alles da“, beschreibt der 1956 im oberschwäbischen Munderkingen geborene Künstler die Ausgangslage. „Die Intensität der Inschriften in den Zellen der Gedenkstätte ist es, die durch keine andere sprachliche Form zu kommentieren war“, begründet er. Dabei kennzeichnet bislang gerade die Beschäftigung mit dem Sprachlichen und eine Sprachbezogenheit sein Gesamtwerk.
„Ein Ort der Besinnung“
Locher zielt wesentlich darauf ab, „den gewöhnlichen und besonderen Innenhof als einen ´spezifischen´ Ort zu markieren, der auf Ereignisse verweist, die hier stattgefunden haben und die Teil der Vermittlung des NS-Dokumentationszentrums sind“. Die Verspiegelung des Hofes, seine Inszenierung als „Nicht-Ort“, solle zudem den definierten Raum in einem begrifflichen Sinne erweitern – und Besuchende zu einer Erfahrung der Entgrenzung führen. „Indem der reale Ort gleichermaßen zu einem imaginären Ort wird. Zu einem Ort mit einer veränderten physischen Erscheinung.“ Kein besinnlicher Ort solle es werden, sondern „ein Ort der Besinnung“. Dieser spiegelt laut Jung ebenso den Umgang der Gesellschaft mit ihm nach 1945, und führt zur Konfrontation mit der heutigen Situation.
Die neue Publikation
Werner Jung (Hrsg.): Wände, die sprechen – Walls that talk. Die Wandinschriften im Kölner Gestapo-Gefängnis im EL-DE-Haus, gebunden, 420 Seiten mit über 300 Abbildungen, Köln, Emons Verlag, ISBN 978-3-95451-239-3, 68,- Euro.
Foto(s): Engelbert Broich