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„Helfen, wo andere wegschauen“: Grit de Boer wird in der Stephanuskirche als Pfarrerin eingeführt

„Oft genug fragen wir uns, wo ist der Spross Davids? Wo herrscht Recht und Gerechtigkeit? Tagtäglich erleben wir es, hören oder lesen wir von Unrecht und ungleichen Bedingungen“, sagt Grit de Boer. Sie ist am 1. Advent in ihr Amt als Pfarrerin in der Evangelischen Kirchengemeinde Köln-Riehl eingeführt worden. Die Einführung erfolgte durch Pfarrerin Susanne Beuth, Superintendentin des Evangelischen Kirchenkreises Köln-Mitte, in einem Gottesdienst in der Stephanuskirche. In ihrer Predigt bezog de Boer sich auf Jer. 23,5-8: „Es war eine Aussage, die die Menschen tröstete und sie durch schwere Zeiten trug.“ Grit de Boer sprach über Gerechtigkeit, Hoffnung, Glauben und Heilung: „Wir in der Kirche leben und arbeiten tagtäglich in der Spannung zwischen Realität und Verheißung. Werden dafür oft genug belächelt. Und dann kommt neben den großen gesellschaftlichen Fragen und Themen ja immer noch das eigene, das ganz persönliche Glaubensleben dazu. Das Ringen mit dem persönlichen Glauben.“

Aber sie persönlich trägt und hält die Hoffnung: „Immer wieder aufstehen, anpacken, wo keiner anpackt, helfen, wo andere wegschauen, nicht mutlos werden und den Blick für die Nächsten nicht verlieren. Menschen brauchen uns, brauchen unser Unerschütterlichkeit, unseren Schutz, unsere Hoffnung und unseren Mut zu handeln. Und immer wieder den Glauben an Recht und Gerechtigkeit. Mit all dem bin ich jetzt da. Mit einem reichen Leben, mit Höhen und Tiefen, mit Phantasie und dem (fast) unerschütterlichen Glauben an das Gute, an das Reich Gottes.“

Welche Stationen Ihres Lebens haben Sie auf Ihren heutigen Pfad gebracht?

Grit de Boer: Ich stamme aus Ostfriesland und wollte nach dem Abitur aus Norddeutschland weg, in eine andere Landschaft und etwas Neues kennen lernen, deswegen habe ich ganz bewusst in Göttingen studiert. Nach der Ausbildung wollte ich in der Seelsorge sattelfest werden und entschied mich deshalb, als Klinikseelsorgerin zu arbeiten. Dort arbeitete ich schwerpunktmäßig in der Onkologie und auf der Palliativstation, begleitete Menschen  in Krisensituationen, wenn sie sich plötzlich krank in der Klinik wiederfanden oder gar starben. Da war ich oft an den existentiellen Rändern des Lebens unterwegs. Fast 15 Jahre später sind wir dann als Familie nach Bonn gezogen, weil mein Ehemann sich beruflich veränderte und es passte, weil ich gerne etwas Neues machen wollte. Das Neue war dann nach einer Orientierungs- und Eingewöhnungsphase die Leitung der Bonner Bahnhofsmission. Dort war ich dann arbeitstechnisch eher am sozialen Rand der Gesellschaft unterwegs. Nach ein paar Jahren übernahm ich eine kreiskirchliche Pfarrstelle beim Diakonischen Werk Bonn und Region als Diakoniepfarrerin. Wofür vorher ein landeskirchlicher Wechsel von Westfalen in die Rheinische Landeskirche nötig war. Dafür musste ich ein Kolloquium absolvieren, bei dem ich nicht nur gute Erfahrungen gemacht habe. Aber trotzdem bin ich heute glücklich, es getan zu haben. Ich bin froh, an dem Punkt zu sein, wo ich heute bin. Beruflich habe ich in meinem Leben immer wieder neue Impulse gebraucht und erhalten.

Wann wussten Sie, dass Sie Pfarrerin werden möchten?

Grit de Boer: Heute weiß ich es, aber damals nach dem Abitur wusste ich es im ersten Moment nicht (lacht). Das Theologiestudium war eigentlich eine Verlegenheitslösung, ich wollte ursprünglich etwas anderes machen. Nach dem ersten Examen wollte ich auch abbrechen. Denn ich hatte gesehen, wie Kommilitonen und Kommilitoninnen sich mit dem Berufseinstieg veränderten.  Ich wollte ja gerne mit Menschen arbeiten. Aber ich wollte mich nicht verbiegen, weil Menschen in der Gemeinde dies von mir erwarten. Ich wollte so sein und arbeiten, wie ich bin. Irgendwie auch jugendlich naiv, aber es war trotzdem richtig! Nach dem ersten Examen war ich dann in der evangelischen Kirchengemeinde in Rom, das hat mich sehr geprägt. Die Struktur dieser Freiwilligengemeinde war sehr eindrücklich. Der Pfarrer war menschlich und hatte durchaus auch Schwierigkeiten mit seiner Rolle, was er mit mir offen kommunizierte.  Das war eine Stärke und hat mich bestärkt. Nach dem Vikariat hatte ich sehr schöne Aufgaben und ich bin immer weiter in diesen Weg hineingewachsen – und auch in die Liebe zu dem Beruf. Ich bin sehr gerne Pfarrerin und finde den Beruf außergewöhnlich. Für mich ist es ein großes Geschenk, mit 63 noch einmal eine neue Stelle antreten zu dürfen und in der Rückschau zu erkennen, dass ich immer wieder auf diesen Weg gestoßen worden bin (lacht).

In welchen Momenten wissen Sie, dass Sie den richtigen Weg eingeschlagen haben?

Grit de Boer: Besonders im letzten Jahr, als ich Vakanszvertretung im KK Jülich gemacht habe,  hatte ich viele solche Momente und Erlebnisse, die mir das gezeigt haben. Ich habe sehr viel Warmherzigkeit erlebt und unglaublich schöne Rückmeldungen erhalten. Unser Beruf lebt extrem vom Geben und Nehmen. Ich kann nicht immer nur die „tolle Pfarrerin sein, die alles besser weiß“, sondern muss mich auch als eine sehen, die nimmt, die genauso bedürftig ist wie jeder Mensch. Da habe ich letztes Jahr mit Flüchtlingen im Kirchenasyl, denen ich Deutschunterricht gegeben habe, wunderschöne Augenblicke erlebt. So hatte ich in der Corona-Pandemie, im zweiten Lockdown öfter schlechte Laune, wenn ich zum Unterricht  kam. Und dann saßen da die Menschen haben mich jedesmal herzlich angestrahlt, so sehr, dass mir das Herz aufging. Oder: Der junge Iraner Mohamad hat mir einmal ein großes Kompliment mit seinem Google-Übersetzer machen wollen: „Wenn du in der Kirche sprichst, dann schlafe ich immer ein.“ Das ist erstmal witzig, aber wenn er als Mensch auf der Flucht, der immer wachsam sein muss, sich bei mir im Gottesdienst emotional so fallen lassen kann, dass er tiefenentspannt ist, ist das wunderbar. Das hat mich sehr berührt. Es ist mir enorm wichtig, dass ich die Menschen da, wo sie stehen, abholen kann. Dann weiß ich, dass ich an der Stelle, wo ich bin, richtig bin. Jetzt kann ich die ganze Erfahrung meines Berufslebens einbringen – die Ernte meines Lebensweges. Eines Weges, der besonders schwer war, als mein Mann schwer erkrankte und starb. Das liegt nun 6 Jahre zurück. Ich bin immer noch sehr dankbar, hierbei den richtigen Beistand und Unterstützung von den Menschen um mich herum bekommen zu haben.

Worauf freuen Sie sich besonders und haben Sie schon Pläne für die kommende Zeit?

Grit de Boer: Zusammen mit meinen Kollegen Friedhelm Knizia, der ja bald geht, und Uwe Rescheleit haben wir uns schon mehrmals ausgetauscht. Ich möchte die Strukturen, die Gemeinde und die Menschen kennenlernen. Hören wie sie die Fusion erleben, und mit ihnen schauen wie es weiter geht. Was wünschen sie sich von Kirche? Die Fusion ist vollzogen und in Niehl wird die Kirche demnächst entwidmet und abgerissen. Dort wird dann ein neues, modernes  Zentrum gebaut. Ein Thema in der kommenden Zeit ist von daher auf jeden Fall Abschied und Neubeginn – was ich intensiv aus der Krankenhausseelsorge kenne. Außerdem habe ich habe 25 Jahre lang in Trauerseminaren mit Menschen gearbeitet, die jemanden verloren haben. Freudig gespannt bin ich darauf, mit einer Arbeitsgruppe die Gestaltung des neuen spirituellen Zentrums in Niehl zu erarbeiten. Eine Aufgabe, über die ich mich sehr freue, weil ich mich für moderne Kirchengebäude interessiere. Oft sehen sie von außen befremdlich aus, man denkt erst: „Oh nein, was ist das denn?“ Und wenn ich dann in das Gebäude hineingehe, denke ich: „Wow, ist das großartig!“ Manchmal spüre ich es richtig körperlich, wenn ich in einem spirituellem Raum stehe. Bei der Entwicklung der Ideen für Niehl spielt natürlich auch mit hinein: Was habe ich für ein Verständnis von Kirche? Ist das nur kuschelig, ist das nur wohlgefällig? Oder darf das auch mal in der Welt anecken? Darf das auch mal anders sein als gedacht? Was brauchen wir? Und dann freue ich mich sehr auf die Zusammenarbeit mit meinem Kollegen Uwe Rescheleit.

Mit welchen Herausforderungen hatten Sie durch Corona zu kämpfen?

Grit de Boer: Menschen auf Distanz kennen zu lernen. Über Monate hinweg hatten wir in Aldenhoven nur Presbyteriumssitzungen über Zoom. Man nimmt Menschen über Kamera ganz anders wahr, als persönlich – nicht so ganzheitlich. Das finde ich schwierig. Ich hoffe sehr, dass wir nicht noch einmal in einen Lockdown gehen müssen und dass wir in Kontakt sein können – gerade während der Feiertage. Denn davon lebt der Glaube, dass wir uns ganzheitlich, mit allen Sinnen wahrnehmen und liebevoll im Gegenüber spiegeln.

Text: Frauke Komander/APK
Foto(s): Grit de Boer