Die Hauptthemen sind geblieben, werden aber immer bedrängender
Das Virus hat auch die Arbeit in den evangelischen Telefonseelsorge-Stellen verändert. Zwar sind Einsamkeit, depressive Stimmungen und familiäre Beziehungen weiterhin die Hauptthemen. „Aber die Probleme haben sich verstärkt bei Menschen, die sowieso schon einsam waren oder Ängste spürten“, berichtete Dr. Dorit Felsch, Leiterin der Evangelischen Telefonseelsorge, bei einem gemeinsamen Pressegespräch mit Annelie Bracke, die die katholische Seelsorge leitet.
Zugenommen hat der Anteil der Gespräche, in denen der Gedanke an Suizid eine Rolle spielt. „Der Anteil ist von sieben Prozent im Jahr 2019 auf 13 Prozent in 2020 gestiegen“, sagte Bracke. Man könne keine belastbaren Aussagen über Suizid-Zahlen machen, „aber der Gedanke daran hat massiv zugenommen“. Und: „Wer vorher wenige soziale Kontakte hatte, hat im Lockdown noch weniger. Die alte Dame etwa, die jeden Nachmittag in ihr Stammcafé ging, muss nun erleben, dass das seit Monaten geschlossen ist. Und wenn familiäre Beziehungen konfliktreich waren, wurden die Probleme etwa beim Home-Schooling noch bedrängender“, fuhrt sie fort.
Neues Klientel
Aber es riefen auch Menschen an, die eigentlich keine TS-Klientel seien. Felsch nannte beispielhaft die Studentin, die im ersten Semester ausschließlich zu Hause studiere. „Die lernt niemand kennen. Keine Vorlesungen, keine Semesteranfang-Partys. Sie gehört zu den Menschen, für die Einsamkeit vor Corona kein Thema war.“ Felsch hat Wellenbewegungen beobachtet: „Die Themen Einsamkeit und Depressionen waren im Sommer nach dem ersten Lockdown deutlich geringer als im Herbst, als viele Lockerungen wieder zurückgenommen wurden. Jetzt registrieren wir einen Anstieg der Zahlen mit Gesprächen über Einsamkeit und Depression auf ein ganz hohes Niveau.“
Auch die Belastung der Mitarbeitenden der Telefonseelsorge habe zugenommen. Manche musste ihre Dienste absagen, weil sie sich in Quarantäne begeben mussten. Die Leiterinnen sind sich einig, dass sie weiterhin einen guten Kontakt zu den Mitarbeitenden halten. Telefonisch. „Allerdings fielen unser Sommerfest und die Weihnachtsfeier aus. Das fehlt den Menschen dann zum Auftanken“, bedauerte Dr. Dorit Felsch.
„Helfen hilft“
Aber in vielen Bereich sei das Ehrenamt im Aufwind. „Helfen hilft“, sagte Annelie Bracke: „Viele sagen uns, dass es ihnen hilft, wenn sie etwas Sinnvolles tun. Das hole sie aus der Ohnmacht heraus, die uns alle belastet. Im Sinne von ,Ich kann das Virus nicht stoppen, ich kann aber mein Leben sinnvoll gestalten‘.“ Beide Leiterinnen sind stolz darauf, dass alle Mitarbeitenden den Weg in die digitale Fortbildung und Supervision mitgegangen sind. Manches sei neu entstanden. Vollversammlungen online etwa. „Was natürlich fehlt, sind die Kaffee-Begegnungen“, sagte Annelie Bracke.
Auf die hoffen bei den nächsten Ausbildungskursen, die nach den Sommerferien beginnen und für die man sich jetzt schon anmelden kann. Wer bei der Telefonseelsorge mitarbeiten möchte, wird gut vorbereitet. Die Ausbildung dauert ein Jahr und umfasst unter anderem die Grundlagen der Gesprächsführung und die Reflexion über Krisen und die eigene Spiritualität. „Man muss bereit sein, sich darauf einzulassen“, so Bracke. „Dann kann man sehr viel geben, aber sehr viel nehmen.“ Wer mit anderen Krisengespräche führe, müsse mit sich selbst im Reinen sein. 15 Stunden einschließlich regelmäßiger Fortbildungen und Supervisionen sollten die Interessenten pro Monat einkalkulieren, wenn sie nach der Ausbildung in der Seelsorge am Telefonhörer arbeiten.
Teil des Teams werden
In der katholischen Seelsorge arbeiten 66 Menschen, in der evangelischen 73. Jeweils 26.000 Anrufe erreichen die beiden Stellen pro Jahr, 70 pro Tag.
Für die Ausbildung kann man sich jederzeit anmelden: Katholisch: 0221/2570184. Evangelisch: 0221/317159. Bei einem Beratungswunsch ist die Evangelische Telefonseelsorge erreichbar unter 0800/1110111, die Katholische unter 0800/1110222. Beide Nummern sind kostenlos. Per Mail: Evangelisch: telefonseelsorge@kirche-koeln.de. Katholisch: www.telefonseelsorge.de
Text: Stefan Rahmann
Foto(s): Stefan Rahmann
Foto(s): Stefan Rahmann