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Heinrich Böll und die christlich-jüdische Zusammenarbeit – ein Abend in der Kartäuserkirche

„Der Begriff Widerspruch steht als Leitthema über dem Abend.“ Das stellte Frank Olbert zum Abschluss der Veranstaltung „Schwierigkeiten mit der Brüderlichkeit – Heinrich Böll und die Christlich-Jüdische Zusammenarbeit“ fest. Der Journalist hätte ebenso „Information“ und „Aufklärung“ wählen können. Denn auch darauf zielte der 1917 in Köln geborene Schriftsteller und gesellschaftspolitisch Engagierte ab.

Zu einem Vortrag und Gespräch hatte die Kölnische Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit e.V. im Rahmen der „Woche der Brüderlichkeit“ in die Kartäuserkirche eingeladen. Deren diesjähriges bundesweites Motto lautete „Nun gehe hin und lerne“. Es rege an, aktiv gegen Rassismus und Antisemitismus aufzustehen, verstärkt zu diskutieren, so Prof. Dr. Jürgen Wilhelm. Der Vorsitzende der Kölnischen Gesellschaft unterstrich in seiner Einführung, dass diese Aussagen angesichts des „erschreckend erfolgreich“ bleibenden Rechtspopulismus mit besonderer Dringlichkeit zu versehen seien. Daher charakterisierte er auch diese „Veranstaltung trotz des spezifisch biographischen Themas“ als eine politische. Wilhelm forderte eine gesellschaftliche Ausweitung des interreligiösen Dialogs. Der einheitliche „Politsprech“ reiche nicht aus. Abgelaufen sei die Zeit der „frommen und allzu intellektuellen Reden“.

„Böll war das, was man als unbequemen politischen Geist bezeichnet“, erklärte Wilhelm. Aus seiner Beschäftigung mit dem Judentum, mit der Shoa, mit Ausgrenzung und Verfolgung sei sein Einsatz für die 1958 gegründete Kölnische Gesellschaft gefolgt. Der „wichtige Mitbegründer“ habe einen ungeheuren Nachholbedarf in der Bevölkerung gesehen, sich mit der Geschichte des Antisemitismus zu beschäftigen.

Dies führte auch Markus Schäfer in seinem mit Zitaten aus Bölls Schriften und Reden gespickten Vortrag aus. Der Archivar der Heinrich-Böll-Stiftung nannte als Bölls frühe wesentliche Themen Krieg, Heimkehr, Schuld und Erinnerung. Dabei habe der erbitterte Kriegsgegner von individueller Schuld gesprochen. Über den Umgang mit ungenauer Schuld. Abgelehnt habe er die These der Kollektivschuld. Ebenso den Begriff Vergangenheitsbewältigung. Von einem Deutschen könne die NS-Vergangenheit und Shoa nicht bewältigt werden. In den vom Aufbauwillen und Wirtschaftswunder geprägten Nachkriegsjahren habe Böll die „Verdrängung des Völkermords in weiten Teilen der deutschen Bevölkerung“, die Verdrängung von Schuld kritisiert – und dass für Erinnerung und Aufarbeitung kein Platz sei. „Er forderte Widerstand gegen diese Entwicklung.“

„Unsere Kinder wissen nicht, was vor zehn Jahren geschehen ist (…) von Auschwitz wissen sie nichts“, habe er 1954 versucht, Lehrende an Schulen und Universitäten aufzurütteln. Und in einer Pressekonferenz zu der von ihm mit initiierten Gründung der Germania Judaica – Kölner Bibliothek zur Geschichte des Deutschen Judentums e.V. 1959, informierte Böll, dass in der Vergangenheit Unkenntnis über die Geschichte des Judentums in Deutschland die Propagierung von Vorurteilen ermöglicht habe. Dieselbe Unkenntnis nähre heute noch die alten Vorurteile. „Es soll die Aufgabe der Germania Judaica sein, Bücher und Dokumente aller Art zu sammeln, die geeignet sind, das Judentum in unserem Lande bekannter zu machen.“ Vehement habe er sich gegen den aufkommenden Antisemitismus, gegen verstärkte Schändungen von zahlreichen jüdischen Einrichtungen gewandt. Und wiederholt die Notwendigkeit zu brüderlichem Handeln angemahnt. 1959, in seiner Rede „Der Preis der Versöhnung“ zur „Woche der Brüderlichkeit“, sagte Böll in Essen: „Wir wissen, daß man schuldig werden kann, in dem man etwas nicht tut, in dem wir nicht widersprechen. Widersprechen Sie überall da, wo das Unrecht geleugnet wird.“ Später sollte Böll sagen: „Wenn wir diese Versöhnung angehen wollen, müssen wir wissen, was versöhnt werden muß.“ In seinem Nachruf auf Böll, erinnerte Schäfer, habe der Autor Wilhelm Unger 1985 formuliert: „Er machte jede Woche zu einer Woche der Unruhe.“

Aus dem anschließenden Gespräch, das Olbert mit Bölls Sohn René und Schäfer führte, erfuhren die rund siebzig Zuhörenden, dass in der Familie Böll Religion eine große Rolle spielte. „Wir wurden katholisch erzogen“, so der Sohn. Sein Vater habe das Judentum als Religion verstanden. Den Staat Israel habe er stets verteidigt, jedoch ohne „alles gutzuheißen“. Erschreckend sei für seinen Vater die Banalität von Adolf Eichmann gewesen. Er habe in dem für die Deportation und Ermordung der Juden mitverantwortlichen Leiter des „Judenreferates im Reichsicherheitshauptamt“ einen typischen pflichtbewussten bürokratischen Befehlsempfänger gesehen. Heinrich Böll habe stets davor gewarnt, so Schäfer, dass man auch in Zeiten der Demokratie leicht Opfer von Beeinflussung werden könne – und gemahnt, sensibel selbst auf Geschäfts- und Produktreklame zu reagieren.

In der Besucherrunde fragte ein junger Mann, was man heute gegen Antisemitismus machen könne, wie Parteien in Deutschland auf die AfD reagieren sollten. Für René Böll ist das eine schwierige Frage. „Das einzige, was man tun kann, ist Aufklärung. Es wird immer einen rechten Bodensatz geben.“ Beängstigend findet Böll das Tempo, mit dem dieser zurzeit in der Gesellschaft wächst. „Dass man aufklären, widersprechen und Mut zeigen muss“, erwiderte Schäfer auf Olberts Frage, ob uns Böll heute dazu etwas Aktuelles sagen könne. Und René Böll: „Jede Äußerung des Rassismus ist eine Äußerung der Dummheit. Für meinen Vater waren alle gleich.“

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich