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Heiner Geißler war Laudator der Georg-Fritze-Gedächtnisgabe 2004: gegen die Beschneidung von Mädchen

Die „Internationale Aktion gegen die Beschneidung von Mädchen und Frauen“ (I)NTACT wurde am Samstag in Köln mit der Georg-Fritze-Gedächtnisgabe ausgezeichnet. Der evangelische Kirchenkreis Köln-Mitte zeichnet mit diesem Preis, der mit 5.000 Euro dotiert ist, alle zwei Jahre Organisationen und Personen aus, die „sich in besonderer Weise für die Opfer von Diktatur und Gewalt einsetzen“.

Weltweit 2 Millionen Genitalverstümmelungen pro Jahr
Gewalt an Mädchen und Frauen verhindern möchten Christa Müller, Vorsitzende von (I)NTACT, ihre Mitarbeiter und die zahlreichen Partnerorganisationen in Afrika. „Bei zwei Millionen Frauen pro Jahr werden Genitalverstümmelungen vorgenommen. 10 bis 15 Prozent der Frauen und Mädchen sterben daran. Das sind etwa 600 pro Tag“, erklärte Müller, die den Preis aus den Händen von Rolf Domning, Superintendent des Kirchenkreises Köln-Mitte, entgegennahm, in ihrer Dankesrede. Besonders in Afrika hat die Beschneidung eine lange Tradition. Betroffen sind Frauen aus dem Senegal genauso wie aus Mali, dem Tschad, dem Sudan, Ägypten und Eritrea bis nach Kenia und Tansania, aber auch in Malaysia und Indonesien. Die Beschneiderinnen und Beschneider arbeiten mit Küchenmessern, Glasscherben, Scheren und Deckeln von Konservendosen. Die verstümmelten Frauen verbluten oder sterben nach Infektionen wegen fehlender oder unzureichender ärztlicher Versorgung.

(I)NTACT: Aufklärung und Beratung erspart Kindern die Qual
Müller hat 1996 (I)NTACT gegründet. Mittlerweile wird der Verein von über 1000 Fördermitgliedern mit getragen und unterstützt damit die Organisationen in den afrikanischen Länder, die leichter Zugang zu den Menschen vor Ort finden. Nach Dorfversammlungen, in denen die Nachteile der Beschneidung dargestellt werden, wenden sich die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in individuellen Beratungsgesprächen an Familien mit Mädchen, die kurz vor der Beschneidung stehen. „Wir erleben vor Ort, dass viele Familien sehr glücklich sind, weil dieses Thema angesprochen wird. Das Interesse, den eigenen Kindern die Qual zu ersparen, ist sehr groß“, berichtete Müller aus der alltäglichen Arbeit in Afrika. Einen großen Erfolg kann sich (I)NTACT bereits an die Fahnen heften. In Benin, Schwerpunktland der Aufklärungskampagnen in den vergangenen Jahren, werden Mädchen in weiten Teilen des Landes nicht mehr verstümmelt. „Ich bin sicher, dass im Jahr 2005 kein Mädchen aus Benin mehr beschnitten wird“, erkärte Müller. Die Beschneiderinnen hätten sich überzeugen lassen, ihr Handwerk aufzugeben. Sie wurden umgeschult zu Näherinnen oder anderen Berufen.

Beschneidung ist Teil der weltweiten Diskriminierung von Frauen
Dr. Heiner Geißler, Ex-Bundesfamilienminister hielt die Laudatio auf (I)NTACT. Er kritisierte, dass in den Verhandlungen über die Vergabe von Entwicklungshilfegeldern die Geschlechtsverstümmelung keine Rolle spiele. Nach seiner Auffassung ist die drohende Beschneidung ein Grund, Frauen in Deutschland Asyl zu gewähren. Bisher hätten deutsche Gerichte das in den meisten Fällen abgelehnt. Für die Neuordnung im Irak forderte er die Gleichberechtigung der Frauen. Diese dürften auf keinen Fall von Staats wegen diskriminiert werden. Für ihn ist die Beschneidung von Frauen und Mädchen Teil einer weltumgreifenden Diskriminierung. Geißler erinnerte an Indien, wo jährlich 1,5 Millionen Mädchen nach der Geburt umgebracht würden, weil nur Söhne als Nachkommen willkommen seien. Aber auch in anderen Kulturkreisen wie etwa dem wahabitisch regierten Islam würden Frauen unterdrückt. Beispielsweise dürften sie keinen Sport treiben. Deshalb hat er mit Frauen aus allen im Bundestag vertretenen Parteien an das Internationale Olympische Komitee (IOC) geschrieben und gefordert, Saudi-Arabien von den Olympischen Spielen auszuschließen, da keine Frau im Olympia-Team vertreten sei. Das widerspreche dem Anti-Diskriminierungsgebot in der Satzung des IOC.
Geißler berichtete, dass er zurzeit des öfteren in Köln sei, um Laudationes zu halten. Kürzlich habe er zu Ehren von Kardinal Karl Lehmann gesprochen. „Aber gerade in Köln ist es mir wichtig, darauf hinzuweisen“, erklärte Geißler mit einem Lächeln, „dass ich nicht für jeden Kardinal eine Lobrede halten würde.“

Tipp:
Die Liste aller Preisträger seit 1981 hier.

Text: Rahmann
Foto(s): ran