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„Heimat und Migration“ – Betty Hellmich zeigt Malerei im Gulliver in Köln

Die frühen Wurzeln in ihrem Geburtsland, die enge Verbundenheit zu einzelnen Menschen, einem bestimmten Haus, zu gewissen Bäumen, charakteristischen Gerüchen, Klängen und Farben waren Betty Hellmich offenbar lange nicht bewusst. „Ich hatte meine Herkunft ausgeblendet“, erklärt die gebürtige US-Amerikanerin. Mit knapp zehn Jahren kam die heute über 60-Jährige nach Deutschland, studierte später Sozialarbeit und Freie Kunst.

In zahlreichen ihrer jüngeren Bilder hat die Wahlkölnerin nicht allein ihre persönlichen Erinnerungen festgehalten. Ihre Arbeiten erzählen in einer mal intensiven, mal gebrochenen Farbigkeit und in einer Formensprache, die intuitiv Gegenständlichkeit, Nicht-Figuration und Abstraktion sowie das Spiel mit Symbolik, geometrischen und organischen Formen verbindet, ebenso über ihren aus Afrika stammenden Mann und die gemeinsame Geschichte. Auch geht sie auf die aktuelle Flüchtlingsproblematik ein. Eine Auswahl dieser Werke hängt bis zum 24. September in der Überlebensstation Gulliver. Die Präsentation trägt den Titel „Heimat und Migration“.

Begegnungsort in der Stadtgesellschaft
Gulliver ist eine Einrichtung des Kölner Arbeitslosenzentrums (KALZ) e.V. Sie befindet sich in einem Bahnbogen der Hohenzollernbrücke. Menschen ohne Wohnsitz, Arbeits- und Mittellose können dort Duschen, Toiletten und Waschmaschinen nutzen. Es gibt einen Tagesschlafraum und eine Kleiderkammer, Beratungs- und Gruppenangebote. Im Café werden Frühstück, Abendessen und kleinere Mahlzeiten serviert. Auch kulturelle Veranstaltungen, darunter Kunstpräsentationen, sollen helfen, die durch Kirche, Politik und Wirtschaft geförderte und von bürgerschaftlichem Engagement mitgetragene Adresse des KALZ als Begegnungsort in der Stadtgesellschaft zu verankern.

Arbeit mit Migranten
Im Gulliver könne Kunst zum Fels in der Brandung werden, formulierte Reith auf der Vernissage. Kunst ermögliche den Besuchenden, an Kultur, Kreativität und Farbe teilzunehmen. Schließlich könne sie einen Austausch unter den Gästen anregen. Nachdem Reith eine Dichterin zitiert hatte, die einen Baum als ihre Heimat beschreibt, stellte die Kuratorin fest: „Für viele ist Gulliver die Heimat.“ In seiner Begrüßung freute sich Franz-Xaver Corneth, dass die Präsentation „Heimat und Migration“ thematisiere. Der KALZ e. V., so dessen Stellvertretender Vorsitzender, „ist ja auch unterwegs mit Beratung in der Flüchtlingsarbeit“. Die Arbeit mit Migranten sei ein wichtiger Punkt der KALZ- Tätigkeit. Sie stehe dafür, dass man nicht nur reden, sondern die Probleme anpacken müsse. Reith wie Corneth merkten an, dass es schon immer Flüchtlingsströme gegeben habe. Nun seien sie intensiver geworden und bildeten eine große humane Herausforderung.

„Ich bin selbst eine Migrantin“
Die ausgestellten Arbeiten sind in den vergangenen 20 Jahren entstanden. Kleinformatige entwickelte Hellmich in Acryl auf Papier, größere malte sie in Öl auf Leinwand. Auf das Thema Heimat und Migration sei sie nicht festgelegt, so die im US-amerikanischen Middletown/Ohio geborene und in Südkalifornien aufgewachsene Malerin. „Das hat sich mit der Zeit herauskristallisiert, als mir bewusst wurde, dass ich selbst eine Migrantin bin. Ich kenne meine eigenen Anteile an Migration. Die halte ich fest. Wenn wir näher hinschauen, stellen wir fest, wo unsere Heimat war, ist oder sein wird“, so Hellmich. „Jeder bringt dieses Thema mit.“

Tagebuchbilder in einer Vitrine
Explizit „Diary pictures“ – Tagebuchbilder – sind die Acrylarbeiten betitelt, die Hellmich in einer Vitrine versammelt. Dessen Herzstück ist eine Frucht des Baobap, des afrikanischen Affenbrotbaumes. Mit ihr bringt sie ein greifbares Stück Afrika ins Gulliver. Und die Heimat ihres Gatten, die sie ist auch auf den 14 Bildern präsent. Immer wieder sind Wasser, Boote und Fische, einzelne Menschen und Tiere, schließlich die Kontur des Kontinents auf wenige Quadratzentimeter gebracht – prägnant, abstrahiert, vielfarbig und symbolhaft skizziert.

Das Boot als wiederkehrendes Motiv
Zu den wiederkehrenden Motiven gehört das Boot. Es prägt auch ihre letzten Arbeiten. Jeweils zwei Bilder zeigen leere und eng mit Menschen besetzte Boote. „Boote sind ein Teil unserer heutigen Realität“, sagt Hellmich, und meint nicht Fischer- oder Ausflugsboote. Ihr stehen die Kähne vor Augen, mit denen Flüchtlinge von afrikanischen Küsten aus über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen hoffen. Häufig vergeblich, oft mit tödlichem Ausgang. „Man nimmt die Nachrichten auf, die Bilder bleiben so fest in der Erinnerung.“ Die Rümpfe der von ihr gemalten Boote tragen mehrheitlich ein kräftiges Grün. Steht es hier als Farbe der Hoffnung? Oder für modrigen Belag, der wiederum auf die Untauglichkeit der Schiffe und Gefährlichkeit ihrer Nutzung verweist?

Eine Vielzahl von Schicksalen
So schlägt die Ausstellung einen Bogen von ganz persönlichen zu kollektiven Erinnerungen, von einzelnen Geschichten zu einer Vielzahl von Schicksalen, von individuellen zu gesellschaftlichen Fragen und Wünschen, Herausforderungen, Verantwortungen und Notwendigkeiten.

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Die Ausstellung von Betty Hellmich in der Überlebensstation Gulliver, Trankgasse 20 (Bahnbogen 1 der Hohenzollernbrücke), 50667 Köln, ist bis zum 24. September 2015 geöffnet: montags bis freitags von 6 bis 12 und 13-18 Uhr, samstags und sonntags von 10 bis 18 Uhr.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich