Kein rechter Frieden ohne Gerechtigkeit. Das gilt im privaten wie im lokalen, nicht weniger im globalen Kontext. Die Herbsttagung der Melanchthon-Akademie in der Paul-Gerhardt-Kirche, mitgestaltet von der gastgebenden Evangelischen Kirchengemeinde Köln-Lindenthal und der Evangelischen Studierendengemeinde Köln, nahm die derzeit allerorten aufflammende Diskussion um Gerechtigkeit auf: Im Hinblick auf christliche, islamische wie jüdische Traditionen und religiösen Vorstellungen wurde nach dem gerechten „Maß“ für die globalisierte Welt gefragt, nach der Kraft von Gottes Gerechtigkeit. Und dies alles bezogen auf die drei Themen-Felder Ökonomie, Ökologie und die Region des Nahen Ostens. Schon in der Trinitatiskirche, einen Tag vorher bei der zentralen Reformationsfeier des Evangelischen Kirchenverbands Köln und Region, war deutlich geworden, wie brisant das Thema Gerechtigkeit im Hinblick auf die aktuelle Situation unserer Welt ist – und dass es gerade religiöse Überzeugungen sein können, die hier Lösungsmöglichkeiten bieten: „Gerechtigkeit bringt Frieden hervor, indem sie Ungerechtigkeit ausschließt“, sagte dort Professor Eberhard Busch unter Bezug auf ein Jesaja-Wort. Mit Bedacht wurde die Akademie-Tagung von Anfang an thematisch im Kontext zur zentralen Reformationsfeier des Verbands konzipiert. Und zwei Tage später formulierte es der EKD-Ratsvorsitzende, Bischof Wolfgang Huber, zum Auftakt der EKD-Synode nur wenig anders, denn Gerechtigkeit und die „Vergötzung des Geldes“ waren neben „Klimawandel – Wasserwandel – Lebenswandel“ dort ebenfalls Themen – was es übrigens eben wegen seiner Brisanz bis in die Sonntagabend-Nachrichten bei ARD und ZDF schaffte.
„Dass Gerechtigkeit und Friede sich küssen…“
Nach Einschätzung von Dr. Martin Bock, dem Leiter der Melanchthon-Akademie, ist es der zweitägigen Akademie-Tagung in Köln überzeugend gelungen, die weitgehenden Fragen nach Gerechtigkeit aus theologischer Sicht und im konkreten Umgang mit den Ressourcen unserer Welt in den Blick zu nehmen. „Wir konnten eine globale Perspektive auftun, aber auch konkrete Themen und Probleme ansprechen: Geldverkehr, ökologische Fragen, Problematik im Nahen Osten.“ Sehr konkret sei der interreligiöse Dialog im gemeinsamen Konzert von Mitgliedern der drei monotheistischen Religionen am Abend des ersten Tages unter dem schönen Titel „Dass Gerechtigkeit und Friede sich küssen…“ geworden. Dabei spielten, tanzten und sangen das Sufi-Musik- und Tanz-Ensemble der Ditib Köln-Ehrenfeld, der Lindenthaler Chor Soprano Unisono unter Leitung von Kantorin Ursula Döll, der Schalom-Chor der Synagogen-Gemeinde Köln, sowie zum Abschluss an der von ihm entworfenen und zusammen mit Jugendlichen während des katholischen Weltjugendtags gebauten Klangwand der Sinnersdorfer Künstler Holger Hagedorn, gemeinsam mit dem Publikum.
Unser zinsgesteuertes Wirtschaftssystem setzt „der Habgier keine Grenzen“
Zum Auftakt der Akademie-Tagung fand der Heidelberger Referent Ulrich Duchrow deutliche Worte. Der evangelische Theologie-Professor kritisierte den Umgang innerhalb der evangelischen Kirche mit Geld und deren Anpassung an die neoliberale Wirtschaft. Dadurch liefe man Gefahr, „unser Kirche-Sein“ zu verlieren. Duchow nahm Bezug auf die aktuelle EKD-Denkschrift „Unternehmerisches Handeln in evangelischer Perspektive“. Damit falle man hinter das ökumenische „Sozialwort der Kirchen“ von 1997 zurück, in der eine gerechte Teilhabe an den wirtschaftlichen Möglichkeiten angemahnt werde.
Der katholische Theologie-Professor Thomas Ruster aus Dortmund kritisierte den Wachstumszwang. Das zinsgesteuerte Wirtschaftssystem setze der Habgier keine Grenzen. Zur „Austreibung des Dämonischen aus der Wirtschaft“ forderte er einen solidarischen Umgang mit Geld auch innerhalb der Kirchen. Alternativ sprach er von einer kirchlichen Währung. Christen könnten aus dem bestehenden System „aussteigen“ und eine zinsfreie Währung einführen und verbreiten – innerhalb der Kirchen und darüber hinaus. Zwar könne auch mit einer alternativen Währung Missbrauch getrieben werden, aber sie könne zumindest ein Zeichen setzen, dass Alternativen denkbar sind. Natürlich bemerkte Ruster auch die Gefahr, auf diese Weise ein neues, abgeschlossenes System zu etablieren, das die Kommunikation mit anderen Systemen erschwere oder verhindere.
„Wir müssen von der Analyse zur Aktion kommen“
Globale Gerechtigkeit und gerechtes Wirtschaften aus muslimischer Sicht waren die Themen des Kölner Juristen und Volkswirts Ibrahim El-Zayat. Im Islam gebe es ein weitreichendes Zinsverbot. Die Frage sei nur, wie weit es eingehalten werde. Innerhalb der islamisch geprägten „Sphäre“ sei die gleiche, sich bedrohlich öffnende Schere zwischen armen und reichen Länder zu beobachten wie weltweit. Zur Sprache brachte er die islamische Armensteuer. Sie sei nicht als Almosen zu verstehen, sondern ein Gebot, ein Recht der Armen. Schließlich mahnte El-Zayat: „Wir müssen von der Analyse zur Aktion kommen.“
Einen spirituellen Beitrag lieferte Dr. Francis Macnab. Der australische Theologe und Psychotherapeut sprach über „Unsere moderne Ökologie: Ein altes Problem oder ein andauerndes Mysterium“. Er schlug vor, über einen „Neuen Glauben“ nachzudenken, der die bestehenden unterschiedlichen Glaubenssysteme umgebe. So könne sich eine Kommunität des Glaubens entwickeln, die sich in der ganzen Welt sammle, „wo Menschen nach Wegen zum Helfen und Heilen suchen“. Die globale Gesellschaft des 21. Jahrhunderts mit ihrer stark bedrohten Ökologie müsse die Ehrfurcht vor dem kreativen menschlichen Geist lernen, der durch alle menschlichen Gemeinschaften fließe.
Auch ein Faktor der Gerechtigkeit: Der Umgang mit dem Lebens-Mittel Wasser
Nach dem gut besuchten Sonntagsgottesdienst thematisierte Clemens Messerschmid den „Quellenkrieg und das Wasser im Nahen Osten“. Der Geologe arbeitet mit an Wasserprojekten in der Westbank. Er kritisierte, dass das zur Verfügung stehende Wasser grundsätzlich ungerecht verteilt sei. Entsprechende israelische Regelungen würden der palästinensischen Bevölkerung die Teilhabe am Wasser extrem erschweren. Messerschmid plädierte dafür, sich zur Behebung des Konflikts einzusetzen. So sehe bereits das noch von Rabin angeregte Oslo-Projekt vor, den Palästinensern viel mehr Wasser zukommen zu lassen. Das gleiche Ziel verfolgten israelische Umweltschutzorganisationen.
Abschließend behandelte Rabbiner James Baaden das Thema Wasser in der jüdischen Tradition und Literatur, als spirituelles Zeichen und Element der hebräischen Bibel und im Talmud. „Das Paradies, die vier Paradiesströme und das Überleben dieser Welt“ lautete der Vortrag des früheren BBC-Journalisten. In der jüdischen Diskussion über die vier in der Thora genannten Paradiesflüsse gehe es darum, ob diese mit existierenden identisch seien. Und folglich auch der Garten Eden, von dem sie ausgehen, auf unserer Erde zu verorten wäre. In den fünf Büchern Mose finde sich häufig der Begriff Wasser. So nenne sich Gott selbst „Quelle des lebendigen Wassers“. Richtlinien in der alten Bibel bezögen sich auf Wasser als Ernährungs- und Erfrischungsmittel. Und es gehe eindeutig um Gerechtigkeit, wenn festgeschrieben sei, dass alle Menschen einer Gemeinde, eines Ortes verantwortlich zum Anlegen und Erhalt von Wasservorräten als Gemeinschaftsaufgabe und -besitz beizutragen hätten. Von diesem Prinzip, Wasser in öffentlichem Besitz zu belassen, habe man sich unter der Thatcher-Regierung in England verabschiedet, stellte Baaden fest. Dort habe man das Wasser privatisiert, und keine Kirche habe – mit berechtigtem Verweis auf die Bibel – dagegen Einspruch erhoben.
Vom „produktiven Murren“ zur „Peace-Mass„
Bevor sich zahlreiche der Teilnehmenden auf den Weg zu Groß St. Martin in die Kölner Altstadt machten, um dort die Erstaufführung der „Peace-Mass“ zu erleben, dankte Bock den Mitveranstaltenden: „Ich freue mich, dass die Akademie nicht alleine da steht“, sagte er und hoffte, „dass der Funke der Tagung übergesprungen ist, der Funke des Ärgers oder der Freude“, in jedem Fall konstatierte der Akademieleiter ein „´produktives Murren´, das von uns ausgegangen ist“.
Den musikalischen Abschluss der Akademie-Tagung, dieser „Werkstatt des Geistes“, bildete in Kooperation mit der katholischen Dommusik die „Friedens-Messe“ von Daniel Diestelkamp. Sein Oratorium für Vokalsolisten und Instrumentalensemble, Chor, Schlagwerk und Tanz bildete einen künstlerischen Versuch, aus der Substanz der christlichen Botschaft eine globale Friedensbotschaft zu formulieren – die Schöpfung in ihrer Herrlichkeit aber auch Gefährdung zu schildern.
Foto(s): Broich
