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Handreichung zum Weltjugendtag: Welche Rolle kann die Evangelische Jugend in Deutschland spielen?

Die Evangelische Jugend in Deutschland wird zunächst in ihrer Rolle als Gastgeberin gefordert sein, da für mehrere hunderttausend teilnehmende Besucher(innen) Quartiere zur Übernachtung im Vorfeld und während der Hauptveranstaltung des Weltjugendtages gefunden werden müssen. Es entspricht einer guten christlichen Tradition, dort auszuhelfen, wo die römisch-katholischen Verbände nicht selbst ausreichend Beherbergungsplätze finden können. Dies wird absehbar vor allem in Nord- und Ostdeutschland der Fall sein, wo die römisch-katholische Konfession sich aus historischen Gründen in der Minderheit befindet. Diese selbstbewusste Gastfreundschaft und logistische Unterstützung gewähren sich evangelische und römisch-katholische Christ(inn)en in Deutschland traditionell auch bei der Ausrichtung der jeweiligen Deutschen Evangelischen Kirchentage und Katholikentage.

Gelebte Ökumene: evangelisch-römisch-katholisches Miteinander
Insbesondere im Vorfeld der Hauptveranstaltung des Weltjugendtages in Köln wird es gelegentlich vorkommen, dass die Evangelische Jugend vor Ort, auf Gemeinde-, Kreis- oder Landesebene in ihren verschiedenen Organisationsformen zur Mitwirkung auch an pädagogischen oder programmatischen Aktivitäten der römisch-katholischen Gastgeber in den Diözesen eingeladen wird. Wo die notwendige Offenheit für eine gleichberechtigte Vorbereitung, Gestaltung und Durchführung auf gleicher Augenhöhe bei beiden Partnern gegeben ist, bietet sich eine eigene Form der ökumenischen Kooperation an.
Grundsätzlich sind diese ökumenischen Programmelemente so zu planen, dass sie von allen Beteiligten im gegenseitigen Respekt und im Einklang mit ihrer Tradition verantwortet werden können. Während dies auf evangelischer Seite aufgrund der mehrheitlich deutschen Teilnehmenden relativ einfach zu handhaben sein wird, ist die Abstimmung auf römisch-katholischer Seite in diesen Projekten potenziell vor die Herausforderung unterschiedlichster kultureller Interpretationen des Katholizismus gestellt, da die Teilnehmenden am Weltjugendtag aus nahezu allen Ländern der Erde anreisen. Wenn sie auch mehrheitlich aus Zentral- und Westeuropa kommen werden, kann jedoch je nach Verteilung auf die Diözesen während der Tage der Begegnung eine ganz eigene Zusammensetzung zustande kommen, so dass möglicherweise die Elemente des Vorbereitungsprogramms den evangelischen Mitwirkenden bekannter vorkommen könnten als den römisch-katholischen Gästen aus Übersee.
Wo immer möglich, sollten je nach örtlicher Gegebenheit auch die anderen christlichen Konfessionen etwa der orthodoxen Traditionen (Armenische, Koptische, Aramäische, Syrische, Griechische, Serbische u. a.) miteinbezogen werden, um aus dem evangelisch-römisch-katholischen Miteinander ein wirklich ökumenisches Erlebnis werden zu lassen.

Vorbereitung und Durchführung der Jugendarbeit
Bei Programmen der Jugendarbeit, für deren Vorbereitung und Durchführung die oben beschriebene Offenheit nicht vorausgesetzt werden kann, sollte die Evangelische Jugend je nach eigenem Empfinden abwägen, ob sie eine Einladung zur Teilnahme als Beobachterin annimmt. Für diesen Fall sollte deutlich wer- den, dass evangelische jugendliche bei römisch-katholischen liturgischen Veranstaltungen nur zu Gast sind und diese dadurch keinesfalls zu ökumenischen Programmelementen werden. Möglich ist auch eine weitere Form, die der je eigenen Tradition genügend Raum lässt und in einer gemeinsamen Aktivität neben ökumenischen Gottesdiensten und Gebeten auch dezidiert konfessionelle liturgische Formen gleichsam zum Kennenlernen der anderen Tradition(en) vorsieht.

Am einfachsten wird sich die Kooperation für das Vorprogramm dort darstellen, wo sich die Partner für die Gestaltung pädagogischer Aktivitäten und anderer thematischer Angebote zusammenfinden. Ob sie nun in gewohnter Weise oder aber mit zu dieser Gelegenheit erneuertem ökumenischen Elan zusammenarbeiten – die Mitarbeitenden der evangelischen und römisch-katholischen Jugendarbeit brauchen keinerlei Berührungsängste zu fürchten, wenn ihre gemeinsamen Programme auf der Grundlage des Respekts für die unterschiedliche Ausprägung des gemeinsamen christlichen Bekenntnisses gestaltet werden.

Wie versteht die Evangelische Jugend die Rolle der Jugend in der Kirche?
Grundlegend für das Selbstverständnis der Evangelischen Jugend ist die Auffassung ihrer doppelten Identität. Sie ist einerseits ein demokratisch verfasster und in ihrem Aufbau und ihrem Wirken autonomer Jugendverband. Als solcher zählt sie zu den größten Jugendorganisationen in Deutschland und wirkt auf allen Ebenen an gesellschaftlichen Bildungs- und Meinungsbildungsprozessen mit.
Andererseits ist sie Teil der Kirche der Reformation, wie sie sich in ihrer örtlich und regional unterschiedlich gewachsenen Formen in Landeskirchen oder in evangelischen Freikirchen abbildet. Die Evangelische lugend ist damit nicht etwa nur die „Kirche von morgen“ oder ein Übungsfeld für den kirchlichen Nachwuchs, dem dereinst von den Altvorderen portionsweise Verantwortung übertragen werden kann. Aus ihrem Selbstverständnis heraus ist die Evangelische Jugend in Deutschland Teil der evangelischen Kirche – hier und schon jetzt. Konsequenterweise ist sie bestrebt, wo immer möglich auch heute schon gleichberechtigt mit anderen Altersgruppen und anderen Arbeitszweigen der evangelischen Kirche an deren Leitungsverantwortung teilzuhaben und neben der Selbstbestimmtheit in ihrer eigenen Arbeit auch Mandate in Synoden (Kirchenparlamenten) und anderen Formen der gemeinschaftlichen Leitung als Dienst an der Kirche zu übernehmen. […]

Gleiches Stimmrecht, unabhängig von Alter oder Beruf
So werden ein halbes Jahr nach dem Papstbesuch in Deutschland auch Jugendliche aus der Evangelischen Jugend in Deutschland nach Brasilien reisen, um als Vertreter-(innen) der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) an der IX. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Porto Alegre (Brasilien) teilzunehmen. Als Delegierte werden sie mit dem gleichen Stimmrecht, dem gleichen Rede- und Antragsrecht wie Bischöf(inn)e(n) und Erzbischöfe, Handwerker(innen) und Ärzt(inn)e(n), Metropoliten und Theologieprofessor(inn)en aus den weltweit über 350 Mitgliedskirchen die verantwortungsvolle Aufgabe haben, über die Leitung, die Programmprioritäten und über den Haushalt des Weltkirchenrates zu entscheiden. Bei diesen schwerwiegenden Entscheidungen, mit denen sie den Rahmen der Arbeit des Ökumenischen Rates für die folgenden sieben Jahre festlegen, werden sie die Bedürfnisse der Ökumenischen Bewegung als Ganzes mit den Interessen der sie entsendenden Kirchen abwägen – entscheiden müssen und werden sie jedoch selbst. Auch bei diesem weltweiten Treffen wird die Römische Kurie mit einer großen Delegation zugegen sein. Anders als beim römisch-katholischen Weltjugendtag in Köln werden dort allerdings höchstwahrscheinlich keine jungen Katholik(inn)en das jugendliche Antlitz ihrer Kirche darstellen können.

Die Evangelische Jugend in Deutschland freut sich auf die Begegnung mit den vielen Tausenden Jugendlichen aus allen Erdteilen und auf die konstruktive Auseinandersetzung mit dem Programm und den Veranstaltern des Weltjugendtags. Die Hoffnung der Evangelischen Jugend in Deutschland gilt der Aussicht auf eine vertiefte ökumenische Gemeinschaft auf der gemeinsamen Grundlage des Evangeliums von der Auferstehung Jesu Christi und der freien Gnade Gottes, wie sie in der Heiligen Schrift allen Völkern kundgetan ist.

Text: Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in der Bundesrepublik e. V.
Foto(s): Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in der Bundesrepublik e. V.