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Gulliver: „Ich schaffe es!“ Oder: „Ärzte für Gulliver“. Versteigerung einer Plastik zugunsten eines geplanten Hotels für Obdachlose in den Kölner Bahnbögen

Die Wände des Cafés im Obergeschoss des „Gulliver“ bedeckt ein warmes Gelb. Vor diesem frischen Anstrich und unter jüngst installierten Leuchtkörpern hängen und stehen Arbeiten von Prof. Dr. Gynter Mödder. Hauptberuflich ist der 66-Jährige Nuklearmediziner in Köln. Der Arzt und Wissenschaftler ist aber auch in verschiedenen Bereichen kreativ tätig. Dabei gilt sein Hauptaugenmerk eigentlich der Schriftstellerei, ein wenig auch der Bildenden Kunst. Zu seinen ungezählten wissenschaftlichen Veröffentlichungen gesellen sich populärwissenschaftliche und belletristische. Zuletzt ist, als „Fortsetzung“ von Jonathan Swifts Satire, sein Roman „Gullivers fünfte Reise und die Tyrannei der Alten“ erschienen. Darin entwickelte das PEN-Club-Mitglied eine „Horrorvision von einer Alten-Gesellschaft“, in welcher der Konflikt der Generationen in einen Bürgerkrieg mündet.

Gulliver, die Überlebensstation für Obdachlose unter dem Kölner Hbf, bietet Duschen, ein Café, die Möglichkeit zur Kleiderwäsche und eine Kleiderkammer, medizinische Betreuung, Schließfächer und Postfächer und steht damit gegen die Ausgrenzung von Obdachlosen und Armen, im besten Sinne stadtbürgerliches Engagement. Denn Gulliver ist ein Kooperationsprojekt von Kölner Kaufleuten, Kirche, Lobbyisten und dem Kölner Arbeitslosenzentrum (KALZ), auch „Prominente“ wie Willy Millowitsch oder die „Höhner“ waren oder sind aktiv in ihrem Engagement für die Obdachlosenstation, in der auch immer wieder Ausstellungen stattfinden. Ins Leben gerufen wurde das „Gulliver“ 2001 vom Vorstand des KALZ, des Kölner Arbeitslosenzentrums, Vorstandsvorsitzender des ehrenamtlichen Trägervereins ist Pfarrer Karl-Heinz Iffland aus der Evangelischen Kirchengemeinde Köln-Ehrenfeld.

Auch die von Elvira Reith in der Obdachlosen-Station kuratierte Ausstellung seiner zumeist hölzernen Skulpturen und Reliefs zeigt eine Vorliebe für das bissige wie versöhnliche Wort und hintergründige Denkanstöße. Einerseits sind viele der Exponate mit einem assoziativen Text versehen. „Wer hat eigentlich den Holzweg diskriminiert? Ist die Autobahn etwa schöner? Auf dem Holzweg wird nicht überholt. Es gibt Parallelwege, ohne Konkurrenz“, heißt es zum Objekt „Auf dem Holzweg“. Verschieden bearbeitet, trägt das Brett Rillen, Bemalung und Zeichen. Andererseits belegen die Bildwerke selbst Mödders kritische und humor- bis liebevolle Art, soziale und andere Zustände zu betrachten. In „Der Herrscher“ hat er viele kurze, krumme Nägel ins Holz geschlagen. Überragt werden sie von einem geraden und enorm langen Pendant.

Als Basis seiner beziehungsreichen, skurrilen, oft heiteren Arbeiten dienen Mödders Fundstücke, häufig hölzerne Abfälle und Strandgut. Hinzu kommen Farben, seltener andere Materialien. So werden aus neu komponierten Rahmenresten zentrale Figuren. Eine grob gemalte Uferlandschaft ist mit unterschiedlichen hölzernen „Spitzen“ versehen, „Spitzen der Gesellschaft“, die laut Mödders „oft nur Strandgut oder -bös, durch Zufall ohne Notwendigkeit in Spitzenpositionen geraten“ seien, wo die Luft zwar dünn, Vitalität aber möglich sei, „wenn sie nicht vergessen, dass ihre Basis robustem Bauholz gleicht“. Mödder rückt Unbeachtetes, Verfallenes, Randerscheinungen ins Blickfeld. So verwandelt er einen vergammelten Eichenbalken in ein „Mäusetotem“. Durch Betonung der Struktur und Eigenheiten des Pfostens sowie den Einsatz von Farbe, Aluminium, Mosaik und Lochstein wird aus ihm „ein Individuum von einzig-artigem Wert.“

Das größte Objekt ist die Stele „Gulliver“ oder „Ich schaffe es!“. 270 cm hoch, dokumentiert das mächtige Standbild in seiner Gestaltung Mödders Interesse und Rückgriffe auch auf außereuropäische Kulturen. Es wurde eigens für die Ausstellung gefertigt. Gedacht ist die Stele als kraftvolle, ermutigende „Identifikationsfigur“ für die „Gulliver“-Besuchenden. Zugleich bildet sie den ersten Beitrag im Rahmen der Aktion „Ärzte für Gulliver“. Deren Ziel ist die Realisierung eines lange angedachten „Gulliver“-Projekts, eines ergänzenden Übernachtungsangebotes für Obdachlose. Eingerichtet werden soll „Gulliver´s Hotel“ in einem der benachbarten Bahnbögen. Für eben dieses Projekt stellt Mödder seine Stele zur Verfügung. Sie mit einen Anfangsgebot in Höhe von 1111,11 Euro versteigert. Der Erlös stellt den symbolischen Anfang für die Hotel-Finanzierung dar.

Geöffnet ist die Ausstellung im Gulliver, Trankgasse 20 (Bahnbogen 1 der Hohenzollernbrücke), bis 31. August. Am Freitag, 22. Juni, 19 Uhr, liest Gynter Mödder aus seinem Roman „Gullivers fünfte Reise und die Tyrannei der Alten“.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Broich