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Günter Wallraff zu Gast in der evangelischen Christuskirche von Frechen- Königsdorf

In diesem Leben werden die beiden wohl nicht mehr zusammenfinden. Hier die Legende des deutschen Enthüllungsjournalismus, dort die „professionelle Fälscherwerkstatt“, hier Günter Wallraff, dort die Bild-Zeitung. Die Akten der Prozesse, die sie gegeneinander geführt haben, füllen Regale. Bis zum Bundesverfassungsgericht ging Wallraff, um sich bestätigen zu lassen, dass es rechtens ist, wenn er die Bild-Zeitung als „Fehlentwicklung im deutschen Pressewesen“ bezeichnet. Und er muss es wissen, schließlich war er „der Mann, der bei Bild Hans Esser war“.

Die Stasi-Gerüchte: Ein Rachefeldzug der Bild-Zeitung
In den 70er Jahren hat Wallraff einige Monate unerkannt bei Bild gearbeitet und anschließend in einem Enthüllungsbuch die Methoden beschrieben, mit denen die Wahrheit in der Redaktion bisweilen mit Füßen getreten wurde. Aus dieser Zeit gab Wallraff einige Anekdoten zum Besten im bis auf den letzten Platz besetzten Gemeindezentrum des Bezirks Königsdorf der Evangelischen Kirchengemeinde Weiden und las aus einigen älteren Texten. Das Enthüllungsbuch hat Bild ihm nie verziehen. „Die sind immer noch auf einem Rachefeldzug gegen mich unterwegs“, erklärte Wallraff. Bestes Beispiel seien die Gerüchte, er sei ein Stasi-Informant gewesen, die in Bild jüngst zu lesen waren. „Das kommt alle paar Jahre wieder hoch“, fuhr Wallraff fort und versicherte, dass er niemals mit der Stasi zusammengearbeitet habe. Es gehe um mehrere Besuche in der damaligen DDR zwischen 1968 und 1971. Damals habe er DDR-Archive eingesehen, um Material gegen einen NS-Verbrecher zu sammeln, der in Hamburg als angesehener Geschäftsmann unbehelligt lebte. „Das waren Archive, aus denen sich alle seriösen Journalisten bedienten“, so Wallraff.

Ohne sein Wissen habe ihm die Stasi damals den Tarnnamen „Wagner“ gegeben. In der „Wagner-Akte“ könne man lesen, er habe Informationen weitergegeben aus den Bereichen „Massenvernichtungsmittel“, „Schockwirkungen“ und „Schussgeschwindigkeiten“. Er als „Kriegsdienstverweigerer“ sei auf diesem Gebiet wohl kaum jemand, der irgendwelche militärischen Geheiminformationen hätte weitergeben können, sagte Wallraff mit einem verständnislosen Schulterzucken. Die Kampagne gegen ihn gehe immer weiter. Rachefeldzug eben. Im Übrigen habe er den ersten Prozess in dieser Sache gewonnen. Wie so oft. Wallraffs Bücher sind, wie er selbst sagt, „weitgehend gerichtsbeglaubigt“, da fast immer Prozesse gegen sie angestrengt wurden. „Bis auf einige Nebensätze konnten alle Bücher so bleiben, wie sie waren“, erklärte Wallraff, der sich darüber freut, dass ein zweiten Enthüllungsbuch über die Bild-Zeitung, „Der Aufmacher“, mittlerweile als Schulbuch anerkannt ist. Große Auflagen erzielte er auch mit „Ganz unten“, der Geschichte des Gastarbeiters Ali, in dessen Rolle er schlüpfte, oder mit „Ihr da oben, wir da unten“.

Wallraff habe seinen Büchern aber auch Taten folgen lassen, berichtete Jürgen Streich, Journalist und Sachbuchautor, der Wallraff nach Königsdorf eingeladen hatte. So habe er sowohl Wolfgang Biermann nach dessen Ausbürgerung 1976 aufgenommen als auch später Salman Rushdie bei sich in Köln-Ehrenfeld versteckt, nachdem dieser von den iranischen Mullahs mit dem Tod bedroht worden war.

Heute ist es ruhig geworden um den Enthüllungsjournalisten. Seinen 60. Geburtstag hat er in einem afghanischen Dorf gefeiert. An diesem Tag wurde eine Mädchenschule eingeweiht, die Wallraff gestiftet hat: „Es war halt gerade eine Lebensversicherung fällig geworden.“

Text: Rahmann
Foto(s): ran