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Große Geschichte und alltägliche Eindrücke: Ausstellung zu 400 Jahren Evangelische Kirchengemeinde Mülheim am Rhein

Ein Querschnitt sollte es werden, ein Querschnitt durch 400 ebenso abwechslungsreiche wie unterschiedliche Jahre der Evangelischen Kirchengemeinde Mülheim am Rhein. Herausgekommen ist eine informative und spannende Ausstellung mit exakt 100 Exponaten, die in der evangelischen Friedenskirche an der Wallstraße 70 noch bis 24. Mai zu sehen ist.



Subjektive, aber spannende Auswahl
Vor zwei Jahren, im Zuge der Vorbereitungen auf das große Jubiläum, entstand die Idee einer Ausstellung bereits. „Vor einem Jahr haben wir dann intensiv angefangen, das Material zu sichten und Stücke auszuwählen“, erzählt Dr. Christiane von Scheven, Mitglied der Kirchengemeinde. Gemeinsam mit den engagierten Gemeindegliedern Roswitha Kamphausen, Elke Hübner und Lothar Petersen, beim Aufbau unterstützt von Dieter Siegers, überlegte sich von Scheven ein Konzept und suchte interessante Exponate aus. „Wir sind alle keine Historiker“, betont sie. Die Auswahl, die letztlich zu sehen ist, sei subjektiv, gebe aber viele Facetten des evangelischen Lebens in den vergangenen vier Jahrhunderten wieder. „Vor allem die alltäglichen Ereignisse und Begebenheiten fanden wir sehr spannend“, ergänzt von Scheven. Ein detaillierter Katalog zur Ausstellung erläutert die einzelnen Exponate.

Unionsurkunde hat zentralen Platz in der Ausstellung
Die größte Fundgrube für die Ausstellungsgestalter war das umfangreiche Archiv der Kirchengemeinde. Der frühere Pfarrer Dietrich Grütjen half dem Kreis, indem er eine umfassende Liste der einzelnen Archivalien erstellte. Die Unterlagen über die reformierte Gemeinde reichen zurück bis zu den Anfängen 1610, die frühen Dokumente der lutherischen Gemeinde dagegen wurden bei der großen Eisflut von 1784 größtenteils vernichtet. 1837, unter dem Druck des preußischen Königs, haben sich die reformierte und die lutherische Gemeinde zur heutigen Evangelischen Kirchengemeinde Mülheim am Rhein vereinigt. Die Unionsurkunde hat einen zentralen Platz in der Ausstellung bekommen. „Wir haben uns bei der Auswahl der Dokumente aber nicht nur am Inhalt, sondern auch an der Optik orientiert“, sagt von Scheven. So wurden auch Urkunden mit prächtigen Siegeln oder Briefe mit der schwungvollen Unterschrift eines Mitglieds der Familie Andreae ausgewählt.

Exponate reichen von 1621 bis 1960
Das älteste Exemplar der Ausstellung ist ein Konsistorialbuch von 1621, sozusagen eine fortlaufende Inhaltsangabe über die Ereignisse innerhalb der Gemeinde. Bis 1960 reicht die Zeitspanne, die abgedeckt wird. Und eine überraschende Erkenntnis machten die ehrenamtlichen Ausstellungsgestalter bei der Vorbereitung: „Je näher wird der Gegenwart kamen, desto schlechter wurden die gefundenen Dokumente“, so von Scheven. Damit meint sie natürlich die Qualität der Druckwerke. Ein Beispiel dafür ist die legendäre „Eisbibel“, eines der Highlights der Schau.

Das beeindruckende Buch wurde 1736 in Halle gedruckt und 1766 von der Gemeinde angekauft. 1784, bei der großen Eisflut, wurde die damalige Kirche zerstört. Die Bibel aber trieb auf einer Eisscholle, der Legende nach bis in die Ruine der Kirche, und konnte gerettet werden. Eine weitere Legende betrifft das Abendmahlgeschirr, bestehend aus Kanne, Kelch und Dose, das angeblich nach der Eisflut von der Familie Andreae gestiftet wurde.

Almosen und Totengräber-Rechnung
Andere Dokumente wiederum belegen die soziale Situation in Mülheim in früheren Zeiten. So ist die Verfassungsurkunde des interkonfessionellen Vereins zur Armenpflege in Mülheim von 1817 zu sehen. Als von Ökumene noch nicht die Rede war, engagierten sich hier bereits evangelische und katholische Christen für Bedürftige. Und wer die Debatten um Hartz IV in den vergangenen Monaten aufmerksam verfolgt hat, dürfte einige verblüffende Parallelen zu den Texten in dieser Urkunde finden. 1831 haben sich dann evangelische Frauen zur Unterstützung armer Witwen und Wöchnerinnen zu einem Verein zusammengeschlossen. Weitere Zeitdokumente: Die Auflistung von Almosen, die eine Frau Bilgen aufm Damm über zehn Jahre lang von der Gemeinde erhalten hat, oder das ausdrückliche Verbot für minderjährige Studenten, die bei der Gemeinde untergebracht waren, sich zu verloben. Geschäftsmäßig nüchtern dagegen ist die Abrechnung des Totengräbers Daniel Eulenberg über Leichentücher und Beerdigungskosten.

Liste aller Pfarrer auf der Empore
Die Empore in der Friedenskirche ist den Pfarrern der Evangelischen Kirchengemeinde Mülheim am Rhein vorbehalten. Neben einer Auflistung aller Prediger, die dort tätig waren, gibt es auch hier einige Einblicke in das alltägliche Leben eines evangelischen Pfarrers in der Vergangenheit. So sind das Testament und der Nachlass des Pfarrers Ludwig Wilhelm Lepper ebenso erhalten wie ein erzürnter Brief des Predigers Wenzeslaus Nucella. Der wurde 1704 von der Gemeinde abgesetzt und reichte daraufhin eine Klage wegen seines Hausrates ein.

Große Resonanz im Jubiläumsjahr
Nicht immer also herrschte eitel Sonnenschein bei den Protestantinnen und Protestanten auf der rechten Rheinseite. Einige Gesangsbücher beispielsweise belegen den Streit um das „Bergische Gesangbuch“, das der Mülheimer Pfarrer Wilhelm Reche Anfang des 19. Jahrhunderts durch eine neue Ausgabe mit von ihm verfassten Liedern ersetzte. Doch dem Streit folgte stets die Versöhnung, so dass die Evangelische Kirchengemeinde Mülheim am Rhein auf mittlerweile 400 Jahre zurückblicken kann. Und das Interesse an der Gemeinde ist groß. „Die Resonanz bei den bisherigen Veranstaltungen im Jubiläumsjahr war toll“, Freute sich Pfarrerin Wilma Falk-van Rees. Sowohl die Konzerte als auch die Predigtreihe mit früheren Pfarrern der Gemeinde waren gut besucht. Und einen regen Zuspruch erhoffen sich auch die vier Ausstellungsgestalter.

Öffnungszeiten
Bis einschließlich Pfingstmontag, 24. Mai, ist die Ausstellung über 400 Jahre Evangelische Kirchengemeinde Mülheim am Rhein in der Friedenskirche, Wallstraße 70, zu besichtigen. Öffnungszeiten sind donnerstags von 16 bis 21 Uhr, freitags und samstags von 16 bis 20 Uhr, sonntags von 13 bis 18 Uhr und nach telefonischer Vereinbarung unter der Rufnummer 0221/962 50 20.

Text: Jörg Fleischer
Foto(s): Fleischer