Die Kölner Blues-Legende Richard Bargel setzte gleich zu Beginn der Flüchtlingsmatinee den Ton für die folgenden zwei Stunden: „Now I‘ve come into your town, will you let me in or let me down?“ fragen darin Schutzsuchende: „Nun, da ich in eurer Stadt angekommen bin, öffnet ihr mir die Tür oder lasst ihr mich im Stich?“.
Pfarrer Hans Mörtter, der als Moderator durch die Veranstaltung führte, muss da nicht lange überlegen, und er machte auch keinen Hehl daraus, dass er die vom Bund vorgesehenen Leistungen für Flüchtlinge als unzureichend ansieht: „Wir widersprechen, wir sind ungehorsam gegenüber der Regierung“, sagte er im Namen des Aktionsbündnisses „#Türauf“.
Alle Beteiligten haben der Anfrage sofort zugestimmt
„Die anderen sitzen draußen in der Sonne, aber Sie sind die Guten“, begrüßte Co-Moderatorin Bettina Böttinger die Besucherinnen und Besucher in der ansehnlich gefüllten Kölner Philharmonie, denn der Erlös der 25 Euro teuren Eintrittskarten geht nun an die Flüchtlingsarbeit. Böttinger übte sich auch in Bescheidenheit. So schwierig sei die Organisation der Matinee nicht gewesen, alle Beteiligten hätten auf Anfrage umgehend zugesagt. So gaben das Gürzenich-Orchester und der Chor der Oper Köln die Ouvertüre von Rossinis „Wilhelm Tell“, Auszüge aus Verdis „Macbeth“ und den Gefangenenchor aus „Nabucco“. Die ukrainische Sängerin und Komponistin Mariana Sadovska trug politische Lieder aus ihrer Heimat vor, für rauere Töne sorgte neben Bargel Blues-Sängerin Inge Sagemüller, die außerdem mit Sadovska ein viel umjubeltes Duett sang.
Tragische Schicksale von Bootsflüchtlingen
Bestseller-Autor Frank Schätzing und Schauspielerin Svenja Wasser lasen Auszüge aus den Romanen „Das Meer am Morgen“ von Margaret Mazzantini beziehungsweise „Gestrandet“ von Yussouf Amine Elalamy vor, in denen es um dramatische und tragische Schicksale von Bootsflüchtlingen geht. Elias Bierdel, ehemaliger Vorsitzender der Hilfsorganisation Cap Anamur und nun Vorstand des Vereins „borderline europe – Menschenrechte ohne Grenzen“, war gerade von der griechischen Insel Lesbos zurückgekehrt, die in Sichtweite des syrischen Festlands liegt: „Für Touristen gibt es natürlich Fähren zwischen Syrien und Lesbos, aber die dürfen die Flüchtlinge natürlich nicht benutzen. So kann man von den Fähren aus die völlig überladenen Boote der Flüchtlinge beobachten, die nach Lesbos wollen“, beschrieb er die makabre Szenerie. Helfen dürfe man nicht, sonst mache man sich der Schlepperei schuldig.
Flüchtlinge sind zu 80 Prozent Frauen
Im Gespräch mit Bettina Böttinger gab Bierdel auch zu bedenken, dass in Nachbarländern wie der Türkei oder dem Libanon bereits Millionen der insgesamt rund 20 Millionen syrischer Flüchtlinge lebten, während die EU gerade einmal 250.000 aufgenommen habe. „Dabei wäre das doch eine gute Gelegenheit, der arabischen Welt zu zeigen, dass wir Freunde sind. Das wäre auch für das mittel- und langfristige Verhältnis sinnvoll.“ Ermutigend seien aber beispielsweise die Kölner Willkommensinitiativen.
Zwangsheirat, Gewalt, Verstümmelung
Monika Hauser, Gründerin der Frauenrechtsorganisation medica mondiale, die kriegstraumatisierten Frauen medizinische und psychologische Hilfe bietet, betonte, dass von den weltweit mehr als 50 Millionen Flüchtlingen mindestens 80 Prozent Frauen seien. Die verließen häufig aus geschlechtsspezifischen Gründen – Zwangsheirat, Gewalt, Verstümmelung – ihre Heimat und seien auf der Flucht ebenfalls sexualisierter Gewalt ausgesetzt. „Es fehlt auch in Köln noch an speziellen Unterbringungsmöglichkeiten für diese Frauen, zu oft müssen sie mit Männern unter einem Dach leben“, sagte Hauser.
Sozialdezernentin Reker auf der Suche nach Wohnraum
Sozialdezernentin Henriette Reker widersprach nicht, gestand auch Fehler der Kommunen ein, die es versäumt hätten, Wohnraum für Flüchtlinge vorzuhalten. „Damit hätte man die derzeitige Dynamik des Zustroms aber unmöglich auffangen können“, so Reker. Sie forderte Mieter und Vermieter auf, die Verwaltung über leer stehende Wohnungen oder andere Räumlichkeiten, die für die Unterbringung genutzt werden könnten, in Kenntnis zu setzen.
Menschen so behandeln, wie man selbst behandelt werden will
Pfarrer Mörtter fasste zusammen: keine Arbeitserlaubnis, keine Deutschkurse, nicht einmal ausreichende medizinische Versorgung für Flüchtlinge in den ersten Monaten ihres Aufenthalts in Deutschland: „Die Würde des Menschen ist hierzulande wieder antastbar“, resümierte er, und erinnerte leidenschaftlich an den kategorischen Imperativ des Philosophen Immanuel Kant, wonach man andere Menschen so behandeln solle, wie man selbst behandelt werden möchte.
Beifall für das „Stammbaum“-Lied mit den Bläck Fööss
Dann kamen mit Bommel Lückerath, Hartmut Priess und Kafi Biermann drei Bläck Fööss auf die Bühne, um mit den anderen eine textlich aktualisierte Version des „Stammbaums“ zu singen. Darin waren ausdrücklich Ankömmlinge aus Syrien, Afghanistan oder Nigeria genannt, das Gürzenich-Orchester ließ Klezmer-Klänge und orientalische Passagen in die Musik einfließen – ein Abschluss, für den es tosenden Beifall gab.
Foto(s): Hans-Willi Hermans