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Gotteshaus bleibt Gotteshaus: Die Riehler Kreuzkapelle wird künftig als Synagoge genutzt

Die Umkehr – Hebräisch: Teschuva – sei eines der wichtigsten Konzepte im jüdischen Denken, erklärte Marten Marquardt seinen Zuhörerinnen und Zuhörern in der Kölner Melanchthon-Akademie. Aber auch im christlichen Glauben sei sie fest verankert, das zeige schon die Herrnhuter Losung: „Das Recht wird zur Gerechtigkeit umkehren und alle, die aufrichtigen Herzens sind, werden ihm folgen.“ Als Akt der Teschuva sieht der Pfarrer im Ruhestand und ehemalige Leiter der Akademie auch einen Schritt an, der für die Evangelische Kirche im Rheinland bislang einmalig ist: Am kommenden Sonntag wird mit der Riehler Kreuzkapelle in der Stammheimer Straße 22 ein christliches Gotteshaus entwidmet, damit es künftig als Synagoge genutzt werden kann.

Mit dem Seminar „Brüche und Brücken“, das auf großes Interesse stieß, wollten Marten Marquardt und Dr. Martin Bock, sein Nachfolger als Akademieleiter, jetzt auf das bedeutsame Ereignis vorbereiten. Marten Marquardt gab dazu einen Einblick in die wechsel- und leidvolle gemeinsame Geschichte von Christen und Juden in Köln. Gesicherten Quellen zufolge seien die Juden spätestens seit dem zweiten nachchristlichen Jahrhundert in der Stadt vertreten gewesen. Lange, bis zur Zeit der Kreuzzüge, konnten sie das gesellschaftliche Leben ohne Einschränkungen mitgestalten, als Ackerbauern oder Handwerker, Ärzte oder Richter arbeiten. Sie waren geachtet aufgrund ihrer internationalen Beziehungen und ihres kaufmännischen Geschicks, ihr angestammtes Viertel am Rathaus lag im Herzen Kölns.

Massakern und Plünderungen in Köln
Alles änderte sich, als mit den Kriegszügen gegen die Muslime im Heiligen Land auch die Unterschiede in Glaubensfragen zu den hier ansässigen Juden verstärkt ins Bewusstsein der Öffentlichkeit drangen. Die Juden wurden des Mordes an Jesus beschuldigt, sie wurden verdächtigt, Ritualmorde an Christinnen und Christen zu begehen und Brunnen zu vergiften. Es kam auch in Köln zu Massakern und Plünderungen – oft genug waren die religiösen Gründe nur vorgeschoben, in Wirklichkeit ging es um die Besitztümer der Juden. Der Höhepunkt dieser Entwicklungen war 1424 mit der Ausweisung der Juden aus Köln erreicht.

Freundschaftliche Vereinbarung
Zwei Jahre später beschlossen Bürgermeister, Rat und die Gemeinde St. Laurenz, die Synagoge, die in unmittelbarer Nachbarschaft des Rathauses stand, zur Ratskapelle mit dem Patronat „Maria in Jerusalem“ umzubauen. Der Altar wurde auf dem Sockel des Tora-Schreins errichtet. Vor diesem historischen Hintergrund wertet Marquardt die freundschaftliche Vereinbarung über die Umwandlung einer christlichen Kapelle in eine Synagoge als Umkehrung der brutalen Zwangschristianisierung eines jüdischen Gotteshauses – das Gebäude der einstigen Ratskapelle selbst steht dafür nicht mehr zur Verfügung, es wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört.

Zuflucht in der Kapelle
Allerdings ist auch das Verhältnis zwischen Juden und Protestanten in Köln alles andere als unbelastet – und für die Abgründe ist gerade die Riehler Kreuzkapelle ein Stein gewordenes Zeugnis. Während hier nach der Machtübernahme zunächst die dem Nazi-Regime nahestehenden „Deutschen Christen“ das Sagen hatten, gewährten ab Mitte der 30er Jahre Gemeindeglieder, die sich der Bekennenden Kirche zurechneten, getauften Juden Zuflucht in der Kapelle. Es gab eine Kleiderkammer, eine Küche und Unterrichtsräume für Kinder. Die Kreuzkapelle wurde dann zur Außenstelle des Berliner Büros Grüber, das aus rassistischen Gründen verfolgten Christen zur Auswanderung verhalf. Unter anderem arbeiteten hier der Krankenhauspfarrer Ernst Flatow und der Kirchenmusiker Julio Goslar.

Worte hängen noch im Raum
Doch als die Vernichtungsmaschinerie der Nationalsozialisten begann, wurden auch Protestanten mit jüdischen Wurzeln in die Konzentrationslager deportiert. Und in der Kreuzkapelle fanden sogenannte Schlussgottesdienste für die getauften Juden statt, die – so mag es aus heutiger Sicht scheinen – die ungeheuerlichen Vorgänge noch mit Gottes Segen begleiteten. Marquardt erkennt in den „Schlussgottesdiensten“ den „verzweifelten Kompromiss“ einer Kirche, die ihre Existenz nicht durch offene Opposition gegen das Nazi-Regime gefährden, andererseits dessen Opfer nicht ohne verbindlichen Abschied in die Lager gehen lassen wollte. „Die Worte dieser Gottesdienste hängen immer noch in der Kapelle“, so Marquardt.

Sie informierten über die Geschichte der Kreuzkapelle: Dr. Martin Bock und Marten Marquardt

Freude über diesen Weg
Daher sei es ein „mutiger Schritt“, wenn Juden in diesen Räumen nun ihre Gottesdienste feiern möchten. Es handelt sich dabei um die rund 100 Mitglieder zählende Jüdische Liberale Gemeinde Kölns, die den Namen die Namen Gescher LaMassoret trägt, was so viel wie „Brücke zur Tradition“ bedeutet. Sie wurde 1996 gegründet wurde und versammelte sich zeitweise in der Melanchthon-Akademie. Als der Wunsch nach eigenen Gottesdiensten laut wurde, boten ihr die Riehler Protestanten dazu die Kellerräume in der Kreuzkapelle an, die seit 2001 auch regelmäßig für diesen Zweck genutzt wurden. Nachdem sich die Protestanten 2007 entschieden hatten, ihr Gemeindeleben auf die Stephanuskirche in der Brehmstraße zu konzentrieren, stand die jüdische Gemeinde vor der Frage, ob sie Kapelle ganz nutzen wollten: „Das war ein schwieriger Weg“, sagte der Riehler Pfarrer Uwe Rescheleit während der Aussprache nach Marquardts Vortrag. „Wegen der Vergangenheit dieser Räume gab es seit 2008 große Diskussionen innerhalb der jüdischen Gemeinde, bis 2013 der Beschluss gefasst wurde. Das war sehr bewegend, nun freuen wir uns, dass wir diesen Weg gehen können.“

Zentrum mit überregionaler Ausstrahlung
Auch die Union Progressiver Juden in Deutschland als Dachverband der liberalen jüdischen Gemeinden hat ihr Plazet gegeben und denkt daran, in der Stammheimer Straße 22 ein liberales jüdisches Zentrum mit überregionaler Ausstrahlung zu etablieren. Von der protestantischen Kirchenleitung gibt es keine Bedenken: „Von der Rheinischen Landeskirche hörte man immer wieder: ‚Wir sind stolz auf euch‘“, sagte Pfarrerin Ulrike Gebhardt, Synodalbeauftragte für das christlich-jüdische Gespräch im Kirchenkreis Köln-Mitte. „Und dass Präses Manfred Rekowski beim Entwidmungsgottesdienst die Predigt hält, sagt ja schon alles.“ Von der Landeskirche sei auch die Zusicherung gekommen, dass sie die Gemeinde finanzielle Unterstützung erhält, denn bei den Verkaufsverhandlungen werde selbstverständlich nicht der tatsächliche Immobilienwert zugrunde gelegt: „Wir hoffen, dass wir noch vor den Sommerferien einen Termin beim Notar verabreden können“, so Gebhardt. Auch Manfred Kock, ehemaliger Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, begrüßte die Umwandlung der Kapelle in eine Synagoge. Gerade wegen der Geschichte der Räume: „Wir brauchen solche Symbolorte.“

Tag der Entwidmung
Der Entwidmungsgottesdienst beginnt am Sonntag, 21. Februar, um 11 Uhr in der Kreuzkapelle Riehl, Stammheimer Straße 22. Dabei wird auch der Geschichte des Hauses gedacht. Die Entwidmung wird Stadtsuperintendent Rolf Domning vornehmen.

Text: Hans-Willi Hermans
Foto(s): Hans-Willi Hermans/Christopher Clem Franken