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Geschichte und Geschichten rund um die Heilige Nacht

„Je suis Weihnachtsmarkt“, eröffnete Jürgen Becker den Abend und erinnerte an die Opfer des zurückliegenden Anschlags in Berlin. „Ich mag eigentlich keine Weihnachtsmärkte“, ergänzte er sein Statement und appellierte an das Publikum in der voll besetzten Christuskirche, die eigenen kulturellen Werte nicht aufzugeben.

Das Wort des Jahres 2016, „post-faktisch“, bildete die Überleitung: Post-Faktisch bedeutet, Fakten zugunsten von Emotionen zu ignorieren, also auch „Fake-News“, die besser ins Weltbild passen, zu glauben. Das Weihnachtsfest, auch für Nicht-Christen aus der christlich-abendländischen Kultur nicht wegzudenken, beruht auf der Anpassung einiger Fakten: König Herodes, vor dessen Verfolgung Josef und Maria flüchteten, ist belegt, starb aber vier Jahre vor Christi Geburt. Der echte Jesus wurde nicht am 24. Dezember geboren, aber weil es ein winterliches Fest-Vakuum gab und die Feiertage germanischer Götter noch frei waren, verlegte man seinen Geburtstag in den Dezember. „Der Geburtstermin hat die frühen Christen nicht interessiert – die feierten Ostern“, ergänzte Dr. Martin Stankowski. „Fakten kommen auf den Tisch, Emotionen bleiben trotzdem erhalten“, versprach Becker.

Weihnachtlicher Kulturmix
Für die Emotionen sorgte das Bläserquartett „Talking Horns“ mit Bernd Winterschlader. Ihr erster musikalischer Beitrag, das ursprünglich katholische Weihnachtslied „Es ist ein Ros' entsprungen“, wurde nach der ersten Strophe gekonnt verjazzt. Ins protestantische Gesangbuch fand die Fassung von Michael Praetorius Eingang, das ursprüngliche Marienlied ist älter. Fremdes oder aus anderen Glaubensrichtungen Tradiertes zu integrieren und Positives daraus zu ziehen, ist, so befand Becker, sei nicht nur die Stärke der Rheinländer. Bereits die Römer verbanden Bauernsalat und Bergpredigt, Griechisches und Jüdisch-Christliches.

Morgen kommt der Weihnachtsmann
So manche heute friedliche Weise hatte ursprünglich kriegerische Züge. Auch weltliche Einflüsse nehmen im Laufe des 19. Jahrhunderts zu: Der Weihnachtsmann taucht auf und beschenkt brave Kinder zum Fest der Liebe mit Kriegsspielzeug. „Morgen kommt der Weihnachtsmann, kommt mit seinen Gaben. Trommel, Pfeife und Gewehr, Fahn und Säbel und noch mehr, ja ein ganzes Kriegesheer, möcht’ ich gerne haben“, hieß es im Originaltext Hoffmann von Fallerslebens. Einen Rap mit textlichen Seitenhieben auf Rüstung und Konsum, verfasst vom Kölner Pfarrer Klaus Schmidt, legten die Talking Horns nach der traditionellen Bläserfassung nach.

Der historische Nikolaus war Türke
Die Vermischung der grundverschiedenen Figuren Nikolaus und Weihnachtsmann prägt die heutige Bildwelt. Das goldene Buch und drei goldene Kugeln, manchmal auch goldene Äpfel, sind die Attribute des heiligen Mannes. Stankowski erinnerte daran, dass die Goldkugeln an die Legende erinnern, nach der Nikolaus von Myra drei jungen Frauen, die der Vater mangels Mitgift nicht standesgemäß verheiraten konnte, schenkte. So mussten sie nicht Prostituierte werden. „Der historische Nikolaus war Türke, der heutige auch – als DHL-Bote“, beschloss Becker den Exkurs.

Die „hohe Zeit“
Neben Göttern, die nicht zueinander gehören, kombiniert das Weihnachtsfest auch Kalender, die nicht zueinander passen, so Becker: Zwölf Tage liegen meist zwischen Weihnachten und dem 6. Januar, bis zur Kalenderreform durch Papst Gregor XIII. Der Neujahrstag. Entstanden ist dieser Zeitraum durch die Abweichung des Mond- und Sonnenkalenders um 12 bis 13 Tage, führte Stankowski aus. Bräuche und Sagen ranken sich auch um diese „Hohe Zeit“, bekannt auch als Raunächte oder „Los-Zeit“. Die Zukunft konnte man in dieser Zeit vorhersagen, junge Frauen konnte im Traum der künftige Gatte erscheinen.

Blockflöte und Weihnachtsbäckerei
Ein kleiner musikalischer Exkurs, eingeleitet von einer auf der Blockflöte ohrenstrapazierend quergeblasenen Version von „In der Weihnachtsbäckerei“ von Rolf Zuckowski leitete den Abschluss ein. Deutsche Weihnachtslieder singt man langsam und in Dur, die US-amerikanischen und englischen Weihnachtslieder, von „Jingle Bells“ bis „Last Christmas“, sind simpler, flotter aber ebenfalls in Dur, Jesus kommt allerdings nicht mehr vor. „Eine Religion ohne Weihnachten hat in Europa keine Chance“, beschloss Stankowski den Abend.

Einnahmen für den guten Zweck
„Wir hätten das mehrfach veranstalten können“, freute sich Bernhard Genau vom Aktionskreis Dritte Welt Holweide e. V. Bis auf den letzten Platz ausverkauft präsentierte sich die Christuskirche zum Auftritt der Kabarettisten Dr. Martin Stankowski und Jürgen Becker, musikalisch untermalt von den „Talking Horns“. Hiltrud Genau rechnete mit rund 3.000 Euro Einnahmen, um Schulprojekte in Bangla Desh zu unterstützen. Dankbar ist der Aktionskreis Pfarrer Otmar Baumberger, der die Kirche bereits zum dritten Mal für die Benefizveranstaltung, die in der Gesamtschule Holweide und im Hörsaal des Holweider Krankenhauses nicht mehr stattfinden konnte, zur Verfügung stellte – und damit den Abschluss der Feierlichkeiten „111 Jahre Christuskirche“ beging.

Kabarett mit Konrad Beikircher
Der Aktionskreis Dritte Welt Holweide e.V. veranstaltet regelmäßig Kabarettabende, deren Erlös Schulprojekte in Khulna/ Bangla Desh unterstützt. Am Freitag, 17. März, 20 Uhr, tritt Konrad Beikircher mit seinem Programm „Passt schon“ in der Christuskirche Dellbrück, Dellbrücker Mauspfad 361, auf.

Text: Annette von Czarnowski
Foto(s): Annette von Czarnowski