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Gerechtigkeit? Bibelwort mit aktueller Brisanz bei der zentralen Reformationsfeier des Evangelischen Kirchenverbands Köln und Region 2008

„Alles, was Recht ist?!“ – unter diesem Motto feierte der Evangelische Kirchenverband Köln und Region in der Trinitatiskirche in der Kölner Innenstadt die zentrale Reformationsfeier. Im Mittelpunkt stand das biblische Wort „Und der Gerechtigkeit Frucht wird Friede sein“ (Jesaja 32,17) – ein Thema, mit dem die Protestanten den Nerv des aktuellen Tagesgeschehens trafen.



Protestantische Ansage zur Zeit
„Dass es jedoch in diesen Wochen von solcher Brisanz sein und mit solcher Vehemenz diskutiert werden würde, konnten wir nicht ahnen“, sagte der stellvertretende Stadtsuperintendent Rolf Domning bei der Begrüßung der Gäste in der vollbesetzten Trinitatiskirche. Aber die nicht enden wollenden Berichte und Meldungen über die Finanz- und Bankenkrise werfen natürlich auch eine Frage nach Gerechtigkeit auf. Somit waren die Reformationsfeier und ihre Predigt für den stellvertretenden Stadtsuperintendenten einmal mehr eine „protestantische Ansage zur Zeit“. Einfache Antworten aber, so Domning, gebe es in einer „globalisierten Welt der totalen Vernetzung und systemischen Abhängigkeit“ nicht. Auch vor vorschnellem Populismus warnte er entschieden. Die biblische Gerechtigkeit, um die es an diesem Abend ging, sei eine Verheißung, die auf dieser Welt nie vollkommen erreicht werden könne. Also bloß eine „Vertröstung aufs Jenseits“?

Demokratie und Gerechtigkeit
Bürgermeisterin Elfi Scho-Antwerpes maß dem Thema im Zeitalter der Globalisierung eine besondere Bedeutung zu: „Die Stärke des Rechts muss das Recht des Stärkeren überwinden“, forderte sie in ihrem Grußwort. Fast schon apokalyptische Untertöne hatte ihr Appell: „Nur in gemeinsamer Sicherheit und Verantwortung, nur in Solidarität und Partnerschaft werden die Völker, Staaten und Kulturen das Überleben der Menschheit und des Planeten dauerhaft sichern können.“ Gerechtigkeit könne dabei nicht alleine funktionieren, „Demokratie und Gerechtigkeit im globalen Kapitalismus – dazu gibt es keine Alternative“. Die Herausforderungen seien die Überwindung von Hunger, Armut und Ausbeutung, die gerechte Teilhabe an Bildung, Kultur und Demokratie. Und, so betonte die Bürgermeisterin, es sei gut, dass die evangelische Kirche auf der Seite derjenigen stehe, die die Verantwortung für diese Herausforderungen annehmen und tragen.

Unfriede als Frucht einer wahnsinnigen Ungerechtigkeit
Die Predigt zum Thema hielt Professor Eberhard Busch von der evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Göttingen. Der sah in dem Wort Jesajas einen „Satz irdischer Weisheit“, der aber seine „Quelle in der göttlichen Wahrheit“ habe. Nur eine „rechte Gerechtigkeit“ schaffe wirklichen Frieden, eine „falsche Gerechtigkeit“ bringe lediglich Scheinfrieden oder Waffenruhe. Das bedeute im Umkehrschluss aber nicht, dass eine „rechte Gerechtigkeit“ eine Rechtfertigung für sogenannte „gerechte Kriege sei“, betonte der Theologe mit Blick auf das Engagement der USA im Irak. Frieden, so die eindeutige Botschaft von Busch, werde durch Gerechtigkeit, nicht durch Gewalt errichtet. Und das in einer Welt, die mehr ist „als die Schar der Gläubigen. Die Welt. Das sind die Menschen, die weit weg von uns wohnen und die wir nie zu Gesicht bekommen. Und das sind die Menschen, die nebenan wohnen und neben uns in der überfüllten Straßenbahn stehen“. Gott habe die Welt versöhnt, den Globus, schlug Busch sehr elegant den Bogen zum beherrschenden Thema Globalisierung. „Es herrscht auf unserem Globus ein Unfrieden, der die Frucht einer wahnsinnigen Ungerechtigkeit ist“, konstatierte er. In diesem Zusammenhang sprach er sehr deutlich von einem „globalen Krieg neuer Dimension“. Im Zeitalter der Globalisierung dürften wir nicht nur an die materiellen Vorteile denken, sondern auch an eine globale Barmherzigkeit, die zu Gerechtigkeit und damit zum rechten Frieden führe. „Neoliberalismus ist die Ideologie der sozialen Ungerechtigkeit“, und die führe weder zu „rechter Gerechtigkeit“ noch zum dauerhaften Frieden in der Welt.

Die gesamte Predigt von Professor Busch zum Nachlesen finden Sie hier.

Musik vom Oratorienchor Köln
Bei aller aktuellen Brisanz des Themas – die Reformationsfeier war keine kämpferische Veranstaltung. Die mahnenden Worte waren eingebettet in eine warme Atmosphäre, zu der vor allem die Gesänge des Oratorienchors Köln unter der Leitung von Kirchenmusikdirektor Andreas Meisner beitrugen. Unterstützt von der hervorragenden Akustik in der Trinitatiskirche ließen die Lieder „das Herz aufgehen“, schwärmte Rolf Domning. Unter den zahlreichen Besuchern der Zeremonie befanden sich auch Dean Justin Welby von der anglikanischen Kathedrale Liverpool, der frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Manfred Kock, und, als Vertreter der katholischen Kirche Kölns, Stadtdechant Johannes Bastgen und Hannelore Bartscherer, Vorsitzende des Katholikenausschusses. Sie alle nutzten nach der Feier die Möglichkeit, die Themen Gerechtigkeit und Frieden bei „Getränken und Gesalzenem“ weiter zu erörtern.

Text: Jörg Fleischer
Foto(s): Fleischer