Wo seit 1997 das Mahnmal Löwenbrunnen auf dem Erich-Klibansky-Platz an der Helenenstraße in Köln steht, war einst ein Zentrum jüdischen Lebens und Lernens. Neben einer 1884 eingeweihten Synagoge befanden sich auf dem Areal ein Lehrerseminar mit einer jüdischen Volksschule sowie die „Jawne“, das erste jüdische Reformrealgymnasium im Rheinland. 1938 wurde zudem die Israelitische Volksschule Lützowstraße hierher verlegt. Es ist insbesondere der Erinnerungsarbeit der verstorbenen Eheleute Dieter und Irene Corbach zu verdanken, dass die Geschichte dieses Ortes und seiner Einrichtungen, das Schicksal vieler Schüler und Lehrer nicht in Vergessenheit gerieten. Die Corbachs – beide waren Synodalbeauftragte für das christlich-jüdische Gespräch im Kirchenkreis Köln-Rechtsrheinisch – haben den Löwenbrunnen mit Hilfe privater Spenden gestiftet. Sein Name leitet sich ab von dem von „Jawne“-Schüler und Bildhauer Hermann Gurfinkel gefertigten Skulptur „Löwe von Juda“, die das Mahnmal krönt. Auf den Brunnenseiten sind die Namen von über 1.100 aus Köln deportierten, ermordeten jüdischen Kindern verewigt. Vor allem ihnen ist diese Gedenkstätte gewidmet. Anlässlich des ersten weltweiten Holocaust-Gedenktages veranstalteten Evangelischer Kirchenverband Köln und Region, Katholisches Stadtdekanat Köln und die Synagogen-Gemeinde Köln hier eine Gedenkstunde.
Erinnerung kann nie ernst genug genommen werden
Bei Minustemperaturen vermochten zumindest die Sonnenstrahlen und die von Verena Guido vorgetragenen jiddischen Lieder ein wenig Wärme zu erzeugen. Die ermordeten Kinder hätten alle eines gemeinsam gehabt, stellte Stadtsuperintendent Ernst Fey fest: „Sie alle waren unschuldig.“ Und Opfer einer menschenverachtenden Politik. Das Geschehene mache sprachlos. „Erinnerung kann nie ernst genug genommen werden“, betonte Fey. Hasstiraden, verurteilte er die antisemitischen Äußerungen des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad würden jegliche Menschenwürde mit Füßen treten. Erinnerung hole das Gestern zurück. Erinnerung sei Mahnung und Warnung. „Warnung, früh genug, dass so etwas nie wieder geschehen darf.“
Der Begriff Auschwitz muss eine Brücke zur Zukunft schlagen
Der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz am 27. Januar 1945 durch die Rote Armee werde auch in Köln an verschiedenen Orten und mit unterschiedlichen Veranstaltungen gedacht, so Bürgermeisterin Elfi Scho-Antwerpes. Die Gedenkstätte Löwenbrunnen, die leider nur wenige Kölner kennen würden, erinnere an die jüngsten und schwächsten Opfer, an jüdische Kinder. Sie seien mit ihren Eltern, Geschwistern oder allein deportiert worden. „Viele von ihnen starben in Auschwitz.“ Sie bedauerte die noch lange nach Kriegsende praktizierte Aussparung der NS-Geschichte und damit des Themas Verfolgung und Deportation im Schulunterricht. „Meine Generation hat sich das alles erfragen müssen“, wandte sie sich besonders an die zahlreich anwesenden SchülerInnen. Der Begriff Auschwitz dürfe nicht nur der Erinnerung gewidmet sein. „Er muss eine Brücke zur Zukunft schlagen, sie anders zu gestalten.“ Gedenktage wie dieser würden uns an diese Aufgabe mahnen. Daher seien sie nicht nur Pflicht, sondern auch als Chance zu begreifen, formulierte Scho-Antwerpes. „Wir alle sind dazu aufgerufen, in unserem Alltag ein Klima des Verständnisses zu schaffen.“
El male rachamim – Gott voller Barmherzigkeit
Die mit der Organisation betraute Pfarrerin Ulrike Gebhardt, Synodalbeauftragte für das christlich-jüdische Gespräch im Kirchenkreis Köln-Mitte des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region, konnte neben den Repräsentanten der Veranstalter auch Ruth-Rebekka Fischer-Beglückter begrüßen. Die ehemalige „Jawne“-Schülerin, die nach dem Pogrom 1938 mit ihrer Mutter und zwei Geschwistern nach Chile emigrierte und heute wieder in Köln lebt, sprach Psalm 79 auf Hebräisch, Ernst Fey übersetzte. Rabbiner Netanel Teitelbaum von der Synagogen-Gemeinde betete unter anderem das „El male rachamim“ (Gott voller Barmherzigkeit).
Über 130 Kinder konnten gerettet werden
Vier SchülerInnen der Kaiserin-Augusta-Schule trugen Gedichte der mit 18 Jahren im KZ ermordeten Selma Meerbaum-Eisinger vor. In ergreifend klarer Sprache sind darin ihre Naturbeobachtungen, ihre Sehnsucht nach Leben und Liebe und die Nähe des gewaltsamen Todes im Lager beschrieben. Anna (13) und Johanna (12) von der nahe gelegenen Königin-Luise-Schule fassten in freiem Vortrag zusammen, was sie über die Historie der 1942 geschlossenen „Jawne“ und das Wirken von dessen Direktor Erich Klibansky erarbeitet hatten. Weitsichtig hatte Klibansky versucht, möglichst viele seiner Schüler vor dem Zugriff der Nazis nach England in Sicherheit zu bringen. Über 130 Kinder konnten so gerettet werden. Er selbst wurde im Juli 1942 mit seiner Familie deportiert und ermordet.
Das Gedächtnis an Direktor Dr. Erich Klibansky
„Bei kriegerischen Auseinandersetzungen, bei Gräueltaten und Terror
sind auch heute noch immer wieder Kinder betroffen. Sie erleben eine gebrochene Welt“, sagte vor dem Schlussgebet Stadtdechant Johannes Bastgen. „Ein unvergleichbares Schicksal hätten die damals verfolgten, deportierten und ermordeten jüdischen Kinder erlitten.“ Eine Gräueltat, wie es sie bis dahin in der Geschichte der Menschheit wohl nicht gegeben habe. Im Anschluss an die Gedenkstunde besuchten zahlreiche der Teilnehmenden in der angrenzenden Kreishausgalerie die Ausstellung „Die Jawne zu Köln. Zur Geschichte des ersten jüdischen Gymnasiums im Rheinland und zum Gedächtnis an Direktor Dr. Erich Klibansky, 1900-1942“. Erarbeitet von Irene und Dieter Corbach, wurde sie erstmals 1990 im Kölner Rathaus präsentiert. Derzeit wird sie betreut vom Arbeitskreis Lernort Jawne.
Foto(s): Engelbert Broich