„An unserer Schule ist Platz für verschiedene Nationen und Religionen“, betonten Fünftklässler der Gesamtschule St. Augustin. „Wir freuen uns, dass es Unterschiede gibt.“ Das sei gut, dadurch könne man voneinander lernen. Im Rahmen eines Projekts zum bundesweiten „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“ hatten sie sich insbesondere mit dem Schicksal der jungen Jüdin Hanna im „Dritten Reich“ beschäftigt. Allein durch die selbstlose Hilfe anderer habe sie überleben und später nach Israel auswandern können. „Wir setzen uns ein für Solidarität“, so die Schülerinnen und Schüler. Angelehnt an Hannas im Versteck notierten Wunsch, gerne wie ein Schmetterling fliegen zu können, hatten die Mädchen und Jungen viele bunte Falter gemalt. Bilder, so schön farbig und lebendig, wie sich eben auch eine Schulklasse mit Kindern unterschiedlicher Herkunft darstellt – oder überhaupt eine durch Vielfalt geprägte Gesellschaft.
„Das ist ein gutes Zeichen für ein tolerantes Miteinander.“
Mit ihrem Beitrag bereicherten die St. Augustiner Schülerinnen und -Schüler die diesjährige Gedenkstunde an der „Kinder-Gedenkstätte Löwenbrunnen“ auf dem Erich-Klibansky-Platz an der Helenenstraße in Köln. Während des Nationalsozialismus waren über 1.100 jüdische Kinder und Jugendliche aus Köln und dem Umland deportiert und ermordet worden. Ihre Namen sind auf den Bronzetafeln des von Irene und Dieter Corbach initiierten Löwenbrunnens zu lesen. „Das ist ein ganz fester Termin“, begrüßte Pfarrerin Ulrike Gebhardt die treuen wie neuen, die jüngeren wie älteren Gäste. Von den Corbachs auf den Weg gebracht und lange unter Federführung von Irene Corbach durchgeführt, wird die Gedenkstunde seit vielen Jahren vom Evangelischen Kirchenverband Köln und Region, der Synagogen-Gemeinde Köln und dem Katholischen Stadtdekanat in Verbindung mit dem Arbeitskreis „Lern- und Gedenkort Jawne“ veranstaltet. „Es ist gute Tradition, dass Menschen aus Köln und Umgebung, Menschen unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Religion und aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen hier zusammenkommen“, sagte Dr. Rainer Lemaire vom Schulreferat des Evangelischen Kirchenverbandes. „Das ist ein gutes Zeichen für ein tolerantes Miteinander.“
Domning: „Mich bewegt diese Gedenkstunde jedes Jahr aufs Neue“
Stadtsuperintendent Rolf Domning bezeichnete die Veranstaltung als wichtigen und unerlässlichen Moment der Erinnerung. „Mich bewegt diese Gedenkstunde jedes Jahr aufs Neue. Dass wir das Fenster der Erinnerung öffnen und zurückschauen und aushalten, was damals geschehen ist, geschehen konnte, ist immer wieder schwer.“ Mehr denn je müsse man denen entgegentreten, die die ungeheuerlichen Geschehnisse in der NS-Zeit am liebsten verschweigen, verleugnen oder verharmlosen wollten. „Wir müssen auch denen entgegentreten, die sehr offen rassistisch oder auch auf unmerkliche subtile Art Vorurteile schüren und Stimmung machen gegen Israel und die Juden.“ Der „latente Antisemitismus“, den es laut einer jüngst veröffentlichten Studie bei erschreckenden zwanzig Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung gebe, zitierte Domning den Historiker Peter Longerich, Koordinator der Studie, gründe auf Vorurteilen, Klischees oder „schlichtem Unwissen über Juden und Judentum“. Deshalb sei diese Gedenkstunde unendlich wichtig, weil sie das Unfassbare auch den Jugendlichen, für die das Geschehen in eine immer weitere Ferne rücke, weiter erzählen könne. „Ich freue mich ganz einfach darüber, dass neben Überlebenden von damals immer wieder Jugendliche unserer Tage diese Stunde mitgestalten.“
„Erinnern, das ist Arbeit“, so Scho-Antwerpes
Bürgermeisterin Elfi Scho-Antwerpes stand noch unter dem Eindruck der kurz zuvor besuchten Ausstellung zum Kölner Jugend- und Schülergedenktag in der Königin-Luise-Schule (Alte Wallgasse/Eingang Albertusstraße), die bis einschließlich 11. Februar läuft. Wiederum haben einzelne Schüler, Schulklassen und Schüler-/Jugendgruppen sich unter dem Motto „Erinnern – eine Brücke in die Zukunft“ mit eigenen, sehr unterschiedlichen Projekten dem Thema gewidmet. „Erinnern, das ist Arbeit“, so Scho-Antwerpes. Die Schüler sagten, sie hätten in der Beschäftigung mit dem Holocaust eine „schlimme Zeit durchlebt“. „Sie haben mitgefühlt, waren erschüttert und sprachlos“, fasste die Bürgermeisterin einige der Wirkungen zusammen. „Es ist wichtig, dass wir das Erinnern nicht vergessen. Dass wir der jungen Generation die Geschehnisse nahe bringen und mit ihr darüber sprechen, was gewesen ist.“ Ebenso wichtig sei, Kinder und Jugendliche an die Hand zu nehmen, sie zu respektvollem Tun anzuleiten. Sie stark zu machen sei nicht nur Aufgabe von Lehrern, sondern von Verantwortlichen aus vielen Bereichen, etwa aus Politik und Kirche und aus Kultur und Sport.
Gespräche mit dem Holocaust-Überlebenden Kurt Marx
Ein weiterer Schülerbeitrag stammte von der Arbeitsgemeinschaft „Forschen – Entdecken – Erinnern“ der Hauptschule Mechernich. Die Zehntklässler riefen die Namen von deportierten jüdischen Kindern ihrer Gemeinde in Erinnerung. Darunter Hilde Herz und Jack Kaufmann, die mit 14 beziehungsweise vier Jahren ermordet wurden. Sie berichteten auch von ihren Gesprächen mit dem Holocaust-Überlebenden Kurt Marx. Er könne verzeihen, aber nicht vergessen, habe er den Schülern gesagt. Und ihnen die Hand zur Versöhnung gereicht. Von Marx stammt auch eine von den Schülern präsentierte Fotografie der Gedenkstätte in dem nahe Minsk gelegenen Wald von Maly Trostenez. Dort sind einige Zehntausende Menschen ermordet worden, darunter viele Kölner und die Eltern von Kurt Marx. „Wir stehen auch hier, um gegen jede Art von Diskriminierung ein Zeichen zu setzen“, sagten die Schülerinnen und Schüler. Sie machten deutlich, dass viele von ihnen beziehungsweise ihre Eltern aus verschiedenen Herkunftsländern stammten – und sie gerade diese Verschiedenheit und kulturelle Fülle sehr schätzten.
Friedenslieder für die Verstorbenen
Die Gedenkstunden am Löwenbrunnen sind immer auch Zeiten des Gebetes. So las die Holocaust-Überlebende Ruth-Rebecca Fischer-Beglückter Psalm 79 auf Hebräisch, Dr. Rainer Lemaire die deutsche Übersetzung. Fischer-Beglückter besuchte als Schülerin die Jawne, das erste jüdische Reform-Realgymnasium im Rheinland, das wenige Meter vom heutigen Löwenbrunnen entfernt stand. Yaron Engelmayer, Rabbiner der Synagogen-Gemeinde Köln, trug das jüdische Gebet „El male rachamim“ (Gott voller Barmherzigkeit) und Psalm 110 vor. Bevor auch Pfarrer Monsignore Albert Kühlwetter ein kurzes Gebet sprach, zitierte er einen jüdischen Mystiker des 18. Jahrhunderts: „Das Vergessenwollen verlängert das Exil, und das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung.“ Abschließend trat noch einmal der Schalom-Chor der Synagogen-Gemeinde Köln unter Leitung von Ekaterina Margolin auf. In dessen Friedenslied stimmten viele der Anwesenden ein.
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