Zuvor hatten sich 25 Schülerinnen und Schüler der Johannes-Gutenberg-Realschule in Bergisch Gladbach-Bensberg am Kölner Lern- und Gedenkort Jawne drei Stunden mit Schicksalen von ehemaligen Schülern des einstigen jüdischen Reform-Realgymnasium an der St.-Apern-Straße beschäftigt. Hatten sich die Achtklässler, angeleitet von Mitgliedern des Arbeitskreises Lern- und Gedenkort Jawne und ihrer Geschichtslehrerin Brigitte Mehler, insbesondere den lokalen gesellschaftlichen wie politischen Verhältnissen vor 1933 und während des nationalsozialistischen Regimes gewidmet. Nun stellten die Jugendlichen an der unmittelbar benachbarten Kindergedenkstätte Löwenbrunnen in kleinen Gruppen die Ergebnisse ihrer Recherchen vor.
Dort lud der Arbeitskreis des Lern- und Gedenkortes Jawne am Jahrestag der Novemberpogrome 1938 zu einer Gedenkstunde. Auch an diesem Ort in der Innenstadt, wo neben der Jawne das jüdische Lehrerseminar, die Volksschule Morijah sowie Synagoge der orthodoxen Gemeinde in Köln standen, hätten Ausschreitungen stattgefunden, betonte Dr. Rainer Lemaire. Stellvertretend für die vielen im Arbeitskreis ehrenamtlich Engagierten begrüßte der Schulreferent im Evangelischen Kirchenverband Köln und Region die Versammelten. Es sei ein wunderbares Zeichen, dass junge Menschen sich mit der NS-Zeit auseinandersetzten, dass sie lernten und fragten, so Lemaire. Auch heute wolle man gemeinsam erinnern und ein Zeichen gegen das Vergessen setzen.
Aussagen von Jawne-Schülern
In ihren kurzen Beiträgen zitierten die Realschüler zunächst Aussagen von Jawne-Schülern zum normalen Leben und Schulalltag vor 1933. Ebenso gingen sie auf die danach sich drastisch verändernde und stetig verschlimmernde Situation für Juden ein – von der Diffamierung über die Entrechtung bis hin zur Verfolgung und Deportation. Jüdische Kinder seien auf dem Schulweg beleidigt und mit Steinen beworfen, bald aus Sport- und Turnverein ausgeschlossen worden. Sie hätten nichtjüdische Schulen verlassen müssen. Später sei die Städtische Israelitische Volksschule in der Lützowstraße mit der Jawne zusammengelegt worden. „Häufig war die Hoffnung, es geht vorüber. Aber es ging nicht vorüber.“ Mit Informationen wie dieser ergänzte und verband Lemaire die einzelnen Schüler-Statements.
Der weitsichtige Jawne-Direktor
In diesen thematisierten sie auch die Kindertransporte nach England. Diesen habe sich der weitsichtige Jawne-Direktor Dr. Erich Klibansky angeschlossen und 130 seiner Schülerinnen und Schüler gerettet. Zu ihnen zählt Henny Franks. Schülerinnen trugen aus deren Erinnerung an das Novemberpogrom vor: „Sie haben alles zerschlagen in der Wohnung meines Großvaters.“ Dort habe ein herrliches, von ihr sehr geschätztes Familienbild gehangen, das Nazi-Schergen auf die Straße geworfen und zertreten hätten. Ein anderes Foto ihrer Familie habe sie mit nach England nehmen und bewahren können. Heute lebt sie 93-jährig in London.
Im Namen aller Opfer
Auf den Seitenplatten des 1997 errichteten Löwenbrunnens wird namentlich an über 1100 aus Köln und Umgebung deportierte und ermordete Kinder und Jugendliche erinnert. „Manche Namen fehlen“, sagte Lemaire. Aber es gebe auch das große Glück, dass einige Namen heruntergenommen werden müssten. Beispielsweise Henry (ehemals Heinz) Oster. „Wer konnte erwarten, dass ich das Litzmannstadt-Ghetto, Birkenau, Auschwitz, Plawy und Buchenwald überlebe?“, schrieb Oster vor wenigen Tagen an den Arbeitskreis. Er sei nicht nur stolz, seinen Namen auf dem Gedenkbrunnen zu finden. Zudem sei er der lebende Beweis dafür, dass der Nazi-Versuch, auch alle Kölner Juden zu ermorden, nicht gelungen sei. „Im Namen aller Opfer der Jawne-Schule danke ich euch allen für die Gedenkfeier, mit der Hoffnung, dass so etwas sich niemals wiederholt“, las Lemaire aus Osters E-Mail vor.
Dank von Hans-Werner Bartsch
Bürgermeister Hans-Werner Bartsch (CDU) dankte dem Arbeitskreis Lern- und Gedenkort Jawne, dass er das Gedenken an eine dunkle Zeit in dieser Stadt aufrechterhält. Den Schülerinnen und Schüler sagte er Dank für ihre Beiträge. Für ihren Mut und ihre Energie, sich mit dem schwierigen Thema NS-Vergangenheit zu beschäftigen. Wenn man den Begriff „Kristallnacht“ das erste Mal höre, könne man an etwas Schönes, Glitzerndes denken, meinte der städtische Vertreter. Aber ganz im Gegenteil benenne dieses Wort etwas Zerstörerisches, Grausames. Auch heute lebten wir in einer Welt, die sich ständig verändere, so Bartsch. Aber wir könnten unser Wissen über vergangene Ereignisse nutzen, damit menschenverachtende Dinge nicht mehr passierten.
Weitere Grußworte
Abschließend brachte Lemaire weitere Grußworte von überlebenden jüdischen Kölnerinnen zu Gehör. Von Alisa Harth, die sich immer freue, dass „die Gedenk-Aktivitäten weiter gehen… Die Hauptsache ist, dass Kinder dabei sind und davon lernen.“ Ebenso von Monique Joseph alias Helga Kaufmann, die einst die Volksschule in der Lützowstraße besuchte. Ihre kurze Nachricht schloss Joseph mit dem Gruß Shalom. Lemaire erläuterte den Realschülern, dass mit dem hebräischen Begriff ein allumfassender Frieden gemeint sei. „Ein friedliches Zusammenleben auf der Erde.“
Foto(s): Engelbert Broich