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Gedenken für die Opfer des Nationalsozialismus in der Antoniterkirche: Jene „stillen Helden“, die verfolgte Menschen retteten, können noch heute Vorbild sein

„Wer nur ein einziges Leben rettet, rettet die ganze Welt“, zitierte Pfarrer Mathias Bonhoeffer einen Talmud-Spruch. Gemünzt ist er auf die „unbesungenen Helden“, auf die „stillen Heldinnen und Helden“ – auf die Menschen, die in der Nazidiktatur aus politischen, weltanschaulichen, religiösen oder sozialen Gründen Verfolgten halfen und retteten. Die Mut hatten, Zivilcourage bewiesen. Ungeachtet der Gefahr für das eigene Leben. Denn die Unterstützung von Regime-Gegnern, „Landesverrätern“ und „Volksfeinden“ war mit harten Strafen bedroht, mit Fürsorgeentziehung, Schutzhaft, Zuchthaus, KZ-Haft bis hin zur Todesstrafe.

„Erinnern – Eine Brücke für die Zukunft“
Die Anzahl der Helfer sei gering gewesen, so Bonhoeffer. Mit mehr Zivilcourage hätte die Zahl der Geretteten im Verhältnis zur Zahl der Ermordeten weitaus höher ausfallen können. „Die ´stillen Helden´ können heute ein Vorbild sein. Ihnen ist zu danken“, schloss der Pfarrer seine Begrüßung in der evangelischen Antoniterkirche an der Schildergasse. Dort fand anlässlich des Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar die zentrale Gedenkstunde in Köln statt. Wie in den Vorjahren wurde sie veranstaltet von einem breiten Unterstützerkreis. Ihm gehören Einrichtungen, Vereine, Parteien, Initiativen und andere an. Darunter die Evangelische Gemeinde Köln, die Melanchthon-Akademie des Evangelischen Kirchenverbands Köln und Region und die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) in Köln. Sie alle tragen dieses Gedenken schon seit Jahren unter dem Motto „Erinnern – Eine Brücke für die Zukunft“ mit. Stets ist die mit einem anschließenden Mahngang verbundene Veranstaltung allen von den Nationalsozialisten Verfolgten und Ermordeten gewidmet. Gleichwohl steht, im jährlichen Wechsel, jeweils eine andere Opfergruppe im Mittelpunkt des Gedenkens.

Thema: „Untertauchen-Verstecken“
Unter musikalischer Mitwirkung des Markus Reinhardt Ensembles nahm das diesjährige Programm insbesondere die „stillen Heldinnen und Helden“ in den Blick. „Schade, dass es nur so wenige waren“, lautete das Bedauern in einer von drei SprecherInnen vorgetragenen Textcollage. Sie stammt von Irene Franken, wurde inszeniert von Josef Tratnik. In der Collage kam nicht nur die rasche Entrechtung und Verfolgung, später Ermordung von Menschen, die verschiedenen Opfergruppen angehören, zur Sprache. Verwoben wurde diese chronologische Darstellung einerseits mit Informationen und Begriffen zum Thema Untertauchen-Verstecken: mit der ausdrucksstarken Schilderung von Gefühlen der Verfolgten in diesen schrecklichen Situationen – sich behaupten müssen, dahin dämmern, in der Menge untertauchen, in der Einsamkeit eines Kellers oder der Ödnis eines Trümmergrundstücks ausharren. Andererseits waren die Texte verwoben mit der Nennung von Motiven mutiger Frauen und Männer, die den bedrohten Menschen auf vielfältige Art halfen oder zu helfen versuchten.

„Für uns sind sie Vorbilder“
Diese Helfenden kamen aus allen sozialen Schichten. Es waren Verwandte, aus dem Augenblick heraus oder Zufallsbegegnung Agierende, mehrheitlich Frauen. Und sie halfen den Verfolgten aus unterschiedlichen Motiven: aus persönlicher Freundschaft, durch Mut oder Verantwortungsbewußtsein, Abenteuerlust oder Liebe, Gegnerschaft zum NS-Regime, aufgrund einer ethisch-christlichen Haltung oder aus Wut. Diese Retterinnen und Retter „gewährten einen Schlafplatz, fanden Verstecke, brachten auch unbekannte Personen aufs Land, gaben vertrauliche Informationen weiter, verkauften für Verfolgte wertvolle Gegenstände“. Sie erschlichen sich Bestätigungen, gingen eine Scheinehe ein, beruhigten Mitwissende, stellten Geldgierige zufrieden…
Um jemanden zu verstecken, seien schätzungsweise zehn bis zwanzig Menschen nötig gewesen, sagte eine der Sprecherinnen. Zahlenmäßig habe die zufällige Hilfe überwogen. Viele Helfende hätten ihre Schützlinge vorher nicht gekannt. „Die Geschichte der Helfer ist die Geschichte zahlreicher einzelner Menschen. Ihre Geschichten sind untrennbar mit denen der Geretteten verflochten. Für uns sind sie Vorbilder.“

„Gefahr für Leib und Leben“ – und: trotzdem!
Einige dieser Vorbilder wurden im Verlauf des Abends genannt. Die Zeitzeugen Alexander Groß, Hartmut Unger und die Nachgeborene Anne Lütkes schilderten, wie sich „stille Heldinnen und Helden“ für ihre Familien eingesetzt haben. Groß nannte den Priester Hans Valks aus der Kölner Gemeinde St. Agnes. Er habe nicht nur die Angehörigen der Familien Spiegel und Alfred Oppenheimer gerettet. Auch der Familie Groß habe Valks geholfen, „wo er nur konnte“. Er habe eine bemerkenswerte Unerschrockenheit gegenüber den Nationalsozialisten an den Tag gelegt. Nachdem Alexanders Vater, Nikolaus Groß, als führender Vertreter der katholischen Arbeiterbewegung im Rheinland im Zusammenhang mit dem gescheiterten Hitler-Attentat vom Juli 1944 im August verhaftet worden war, erkundigte Valks sich am Kölner Gestapo-Sitz im „EL-DE-Haus“ nach dessen Verbleib. „Er konnte von Glück sagen, dass er nur abgewiesen wurde.“ Jede Hilfsleistung für „Hoch- und Landesverräter“ habe Gefahr für Leib und Leben bedeuten können. Nikolaus Groß wurde einen Tag später nach Ravensbrück verlegt, gefoltert und nach dem Todesurteil des Volksgerichtshofes am 23. Januar 1945 in Berlin hingerichtet. Der damals zuständige Pfarrer an St. Agnes habe einen Trauergottesdienst für den Ermordeten abgelehnt. Statt seiner habe Valks, der vor wenigen Jahren hochbetagt starb, die Totenmesse gelesen.

Auch eine Hilfe: Schutz im familiären Umfeld bieten
Hartmut Unger würdigte unter anderen auch Dr. Karl Koch, Kaplan an St. Alban, dessen Haushälterin sowie drei Damen aus der Pfarre, die seinen Vater Dr. Otto Unger im Keller eines zerstörten Hauses im Pfarrgarten versteckt gehalten hatten. Hartmut Unger und seine Mutter Charlotte wurden nach ihrer Flucht in die Lausitz denunziert und verhaftet. Sie konnten sich befreien, wurden wieder versteckt und erlebten im Mai 1945 in Dessau das Kriegsende. Ihre HelferInnen hätten, ohne einander zu kennen, einen Verbund gebildet, unabhängig ihrer Weltanschauung, so Unger. „Es waren einfach alles anständige Menschen.“
Anne Lütkes berichtete von der Rettung ihrer Großmutter, Mutter und zwei Tanten durch Gabriele und Kurt Neven DuMont und dessen Sekretärin Fräulein Volkenborn. Das Ehepaar Neven DuMont habe nicht irgendwo geholfen, sondern Schutz im eigenen, familiären Umfeld geboten. Die Geretteten hätten nach 1945 über ihre Geschichte geschwiegen. Erst am Ende ihres Lebens bruckstückhaft davon erzählt. Am Beispiel von Wladislaw Partyenewicz, der durch die Familie Kaine gerettet wurde, sollte der Einsatz von couragierten Menschen auch für Zwangsarbeiter vorgestellt werden. Leider versagte die Technik, die filmische Darstellung musste abgebrochen werden.

Auch heute ist nicht selten Zivilcourage notwendig
Bevor der anschließende Mahngang die Teilnehmenden zur Kirchenruine St. Alban mit dem Mahnmal „Trauerndes Elternpaar“ von Käthe Kollwitz führte, wo Bürgermeisterin Elfi Scho-Antwerpes ein Grußwort von Oberbürgermeister Fritz Schramma verlas, wurde auf die Bedeutung und Notwendigkeit von Zivilcourage zu allen Zeiten verwiesen. Auch in der Gegenwart. Heute würden in Köln beispielsweise Migranten ohne Aufenthaltsgenehmigung versteckt, die in ihren Herkunftsländern von Folter und Tod bedroht seien. Die Situation für die Helfenden sei natürlich nicht vergleichbar mit der NS-Zeit, weil heute höchstens Geldstrafen drohten. Dennoch sei es auch jetzt notwendig, Zivilcourage zu zeigen. Verdeutlicht wurde dies anhand des Berichts einer jungen Türkin in Köln mit „illegalem Status“. Vorgetragen von einer Schauspielerin, ging es darin um die Qualen der Untergetauchten, um das Gefühl des Gefangenseins, um die Hilfe durch Fremde. Insbesondere um Unterstützung im Rahmen des Wanderkirchenasyls und der Kampagne „kein Mensch ist illegal“, die in der Kölner Antonitergemeinde 1998 ihren Anfang genommen haben.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Broich