Hierzulande gilt der Jahrestag der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz am 27. Januar 1945 durch die Rote Armee seit 1996 als Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus. Seit kurzem wird er weltweit begangen. Die zentrale Gedenkveranstaltung in Köln findet regelmäßig in der evangelischen Antoniterkirche an der Schildergasse statt. Diverse Einrichtungen, Vereine, Parteien, Initiativen und andere, darunter die Evangelische Gemeinde Köln, die Melanchthon-Akademie im Evangelischen Kirchenverband Köln und Region oder die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) in Köln, tragen dieses Gedenken unter dem Motto „Erinnern – Eine Brücke für die Zukunft“ mit. Stets ist die mit einem Mahngang verbundene Veranstaltung allen von den Nationalsozialisten Verfolgten und Ermordeten gewidmet. Gleichwohl steht, im jährlichen Wechsel, jeweils eine andere Opfergruppe im Vordergrund. In diesem Jahr wurde insbesondere der jüdischen Schicksale in der NS-Zeit gedacht; aber auch die Situation von Jüdinnen und Juden in Deutschland und Köln nach 1945 beleuchtet.
„Der Holocaust wird nie der Vergangenheit angehören“
Zum Auftakt der Veranstaltung sorgte Mark Rosenthal, jüdischer Kantor und derzeit als Tenor an der Oper Bonn engagiert, mit dem a capella vorgetragenen Erinnerungsgebet „El malei Rachimim“ für Ergriffenheit unter den rund 250 Besuchenden. Später brachte er, von dem Organisten Thomas Frerichs begleitet, Psalmvorträge zu Gehör. Nach der Begrüßung durch Pfarrer Mathias Bonhoeffer verlas Ratsmitglied Lothar Lemper ein Grußwort von Oberbürgermeister Fritz Schramma. Darin betonte der OB: „Der Holocaust wird nie der Vergangenheit angehören können. Deshalb ist die Befreiung von Auschwitz keine Befreiung von unserem Gedächtnis.“ Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand denn auch in Wort und Bild die Erinnerung an die mit der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 einsetzende verstärkte Ausgrenzung und Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung. Ihre rasch vollzogene systematische Entrechtung, bald Verfolgung und Vertreibung, Ausplünderung und Ermordung.
„Die Saat der Nazis war aufgegangen“
Als Kölner Zeitzeugin berichtete Hannelore Hausmann, Jahrgang 1928, Tochter einer katholischen Mutter und eines jüdischen Vaters, zunächst von den tagtäglichen Erniedrigungen. Von dem Verbot für Juden, Kinos zu besuchen, Straßenbahnen oder öffentliche Bänke zu benutzen. Auf den Sitzgelegenheiten stand in der Regel – eines der zahlreichen auf die Leinwand projizierten Foto belegte es – „Nicht für Juden“ oder „Nur für Arier“. Vater und Tochter Hausmann fuhren hin und wieder doch mit der Straßenbahn. Sie nahmen trotzdem auf Bänken Platz, immer auf der Hut vor möglicher Entdeckung. Die war jederzeit möglich. Denn auch der Vater, der wie andere Juden inzwischen zur Schwerstarbeit im Straßen- oder Hausbau verpflichtet worden war, musste den markanten gelben Stern tragen. „Wir hatten immer Angst“, fasste Hausmann zusammen. Am 27. Juli 1942 wurde ihr Vater in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Sie selbst entkam wenig später der Verhaftung, konnte sich bei Bekannten in Wilhelmshaven und entfernten Verwandten in der Eifel verstecken. Nach dem Krieg habe sie weiterhin Antisemitismus, wenn auch abgemildert, erlebt. „Die Saat der Nazis war aufgegangen. Bedauern über das Geschehene hörte ich ganz selten. Ich fühlte mich noch immer bedroht, entwickelte eine besondere Art der Abgrenzung.“ Erst jetzt könne sie darüber reden und schreiben. „Aber die Angst hält mich immer noch gefangen“, so Hausmann.
„Wenn wir sie nicht in unseren Herzen bewahren, sind sie endgültig gestorben“
Der „nachgeborene“, jüdische Journalist und Publizist Günther Ginzel blickte in zwei „Fenster“: in die Geschichte seiner Familie, auf seine Eltern, die als einzige mit viel Glück jenseits der Alpen überlebten: „Denunziantentum war viel gefährlicher als Gestapo und SA.“ Ebenso blickte Ginzel auf jüdische Waisenkinder aus Köln und dem Rheinland, die 1944 mit einem der letzten Transporte in den Tod deportiert wurden. „Keines dieser Kinder hat überlebt. Ich habe sie ´adoptiert´. Wenn wir sie nicht in unseren Herzen bewahren, sind sie endgültig gestorben.“ Ginzel erinnerte weiter an die Situation in Köln Ende April 1945. Damals habe eine kleine Gruppe jüdischer Überlebender die neue Kölner Gemeinde in den Trümmern der Synagoge Roonstraße gegründet. „Hier fanden auch die ersten Gottesdienste statt.“ Aus eigener Erfahrung erinnerte Ginzel an den damals herrschenden Optimismus unter den Juden in Köln. An den herzlichen Umgang mit dem Nachwuchs. Daran, wie man „zum Trotz“ an alte Traditionen angeknüpft und selbstverständlich auch Karneval gefeiert habe.
Gedenkgang zu einstmals jüdischen Adressen in Köln
Der anschließende Gedenkgang führte über drei Stationen zum Erich-Klibansky-Platz an der Helenenstraße. Zunächst schritten die knapp 250 Teilnehmenden aus der evangelischen Antoniterkirche zum nahen Kaufhof. Dort hatte 1914 Leonhard Tietz das damals größte und modernste Warenhaus Europas eröffnet. Schon bald nach der Machtergreifung Hitlers im Januar 1933 sah sich auch dieses jüdische Unternehmen antisemitischer Propaganda ausgesetzt. Bereits 1934 war der Arisierungsprozess, die Enteignung der jüdischen Inhaber und Anteilseigner, sowie die Namensänderung in Westdeutsche Kaufhof AG vollzogen. Am Standort des Opernhauses wurde an die 1861 dort eingeweihte Synagoge Glockengasse, Zentrum der konservativen Juden Kölns, erinnert. Mit den anderen jüdischen Gotteshäusern in Köln wurde sie während des Pogroms im November 1938 in Brand gesteckt und verwüstet. Auf ihre einstige Existenz und Zerstörung verweist eine kleine Gedenktafel am Operngebäude. Über die Pfeilstraße, wo man der ermordeten Familie des Bäckers Siegbert Mendel gedachte, zogen die Teilnehmenden abschließend zur ehemaligen Adresse des 1942 geschlossenen jüdischen Reformrealgymnasiums Jawne. An der St.-Apern-Straße war einst ein Zentrum jüdischen Lebens und Lernens. Dort stand die 1884 eingeweihte Synagoge der orthodoxen jüdischen Kölner, befanden sich ein Lehrerseminar mit einer jüdischen Volksschule sowie das Gymnasium. Der ehemalige Schulhof der Jawne ist nach ihrem letzten Direktor Erich-Klibansky-Platz benannt. Er ermöglichte einem Teil der Schüler- und Lehrerschaft die Emigration nach England, wurde aber selbst mit seiner Familie in Weißrussland ermordet. Auf dem Erich-Klibansky-Platz steht seit 1997 auf Initiative des inzwischen verstorbenen Ehepaars Dieter und Irene Corbach, beide waren nacheinander Synodalbeauftragte für das christlich-jüdische Gespräch im Evangelischen Kirchenkreis Köln-Rechtsrheinisch, das Mahnmal Löwenbrunnen. Dessen Seiten tragen die Namen von über 1.100 aus Köln und Umgebung deportierten und ermordeten jüdischen Kindern. Vor allem ihnen ist diese Gedenkstätte gewidmet.
Foto(s): Broich