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Führungen und Youtube-Kanal: 1700 Jahre jüdisches Leben in Köln-Mülheim

Im Jahr 2021 wird in besonderer Weise daran erinnert, dass seit 1700 Jahren Juden in Köln-Mülheim leben. Im Rahmen des Gedenkjahres bietet Dietrich Grütjen, Pfarrer i.R., Führungen auf dem Jüdischen Friedhof Mülheim an, sowie Führungen zu den „Stolpersteinen“ in Mülheim. Zudem gibt es einen Youtube-Kanal mit zahlreichen Beiträgen zu den verschiedensten Themen und eine ausführliche Broschüre.

„Wir haben uns vor drei Jahren, als die 80-jährige Wiederkehr der Reichsprogromnacht war, bei einer Gedenkveranstaltung mit der Geschichtswerkstatt Köln-Mülheim zusammen getan und wollten den Friedhof dokumentieren“, sagt Dietrich Grütjen. „Am Jahresanfang haben wir angefangen, unsere Broschüre zu drucken.“ Durch die langjährige Beschäftigung mit dem Thema seit 1976 wurden sehr viele Informationen zusammengetragen und nun gebündelt. So wurde im Jahr 1978, als Grütjen Pfarrer in Köln-Mülheim war, ein Rabbiner aus Toronto eingeladen. Daraus ist eine enge Zusammenarbeit entstanden.

In diesem Jahr ist noch vieles geplant: „Es gibt einige Veranstaltungen, wie Führungen, aber es soll auch noch weitere Veranstaltungen der Geschichtswerkstatt geben, wie zum Beispiel eine Fahrradtour. Mit einem Mülheimer Gymnasium soll es ein Theaterstück mit der Geschichtswerkstatt geben“, plant Grütjen.

„Die erste Führung ist im Juni bereits ausgebucht“, sagt Grütjen. „An dem Thema herrscht ein großes Interesse. Die Führungen dauern etwa anderthalb Stunden, bei den Stolpersteinen vielleicht etwas länger.“

Die Geschichte jüdischen Lebens ist sehr bewegt

Im Jahr 321 sandte der römische Kaiser Konstantin ein Schreiben nach Köln, in dem er die Erlaubnis erteilte, dass Juden in den Rat der Stadt berufen werden konnten. In diesem Jahr wird darum dieses Jubiläum gefeiert: „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland.“ Nach den Pestpogromen in Köln mussten die Juden im Jahr 1424 Köln verlassen. Die vertriebenen Juden ließen sich in Deutz nieder, zogen ins Herzogtum Jülich-Berg und somit auch nach Mülheim. Die Vertreibung dauerte bis 1794, als die Franzosen die diskriminierenden Gesetze gegen die Juden aufhoben.

Die erste urkundliche Erwähnung eines Mülheimer Juden stammt aus dem Jahr 1656; es war der Arzt Salomon Hoyses. Einhundert Jahre später erhielten mehrere Deutzer Familien mit einem „Geleidbrief“ die Erlaubnis, in Mülheim zu wohnen. Von den 381 Häusern, die 1770 in einer Steuerliste Mülheims standen, hatten 8 Häuser jüdische Besitzer. Diese Familien errichteten den Jüdischen Friedhof mit dem ältesten Grab von 1753 für Jacob Abraham Katz.

Die Juden unterhielten ein kleines Bethaus in einem ihrer Häuser (Freiheit zwischen Stöckerstraße und Bachstraße). Die Eisflut von 1784 zerstörte diese Synagoge genauso wie die lutherische Kirche in der Kirchturmstraße. So wie die lutherische Kirche neu errichtet wurde (heute: Friedenskirche Wallstraße), bekam die jüdische Gemeinde eine neue Synagoge. Sie wurde als Hinterhaus in der Freiheit 78 errichtet.

Für die jüdischen Bürger Mülheims begann im 19. Jahrhundert ein wirtschaftlicher Aufstieg und eine zunehmende Integration in die Mehrheitsgesellschaft. Besonders sichtbar wird das an der Familie Cahen-Leudesdorff. Abraham Cahen-Leudesdorff begründete die ACLA, eine noch heute existierende Fabrik. Er war Mitglied des Mülheimer Stadtrates, wie auch drei weitere Mitglieder seiner Familie. Sein Grabstein ist zweisprachig, deutsch und hebräisch, während die älteren Steine nur eine hebräische Inschrift haben.

Die meisten Grabsteine ab dem Beginn des 19. Jahrhunderts zeigen die Neigung zur Assimilation vieler Juden an die deutsche Gesellschaft. Das Hebräische tritt immer mehr zurück. Die Zugehörigkeit zur deutschen Identität wird betont (Militärdienst, Verdienstorden, etc.).

Mit dem Nationalsozialismus kam der Antisemitismus, der über Hunderte von Jahren das Leben der Juden bedrohte, auch in Mülheim auf seinen grausamen Höhepunkt. Die Synagoge in Mülheim wurde am 10.11.1938 zerstört. Auch auf dem Friedhof zeugen Gräber von den Opfern der Shoa. Die letzte Beerdigung auf dem Friedhof fand 1942 statt: Helene Speyer-Holstein war mit einem Herzversagen im Lager in Müngersdorf verstorben. Von den 19.500 Bürgern Kölns wurden etwa 11.000 Opfer der NS-Zeit, die anderen konnten emigrieren, wenige überlebten die KZs. Als der Krieg zu Ende war, lebten noch etwa 30-40 Juden in Köln.

Einige Juden kehrten nach Deutschland zurück. Unter ihnen auch Ernst Simons, Sohn des letzten Rabbiners von Deutz, dessen Mutter, eine geborene Mohl, aus Mülheim stammte. Ernst Simons gehörte zu den Begründern der „Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit“, die 1958 begründet wurde. Ernst Simons war ein unermüdlicher Partner für Christen, die das Gespräch mit den Juden suchten. In der evangelischen Gemeinde Mülheim und in der katholischen Pfarrgemeinde Liebfrauen bildete sich 1978 ein Arbeitskreis. Anlass war ein ökumenischer Gottesdienst zur 40-jährigen Wiederkehr der „Reichspogromnacht“, an dem auch Ernst Simons teilnahm.

Der Arbeitskreis suchte in der Folgezeit nach Spuren der jüdischen Bürger Mülheims. So kam es zum Kontakt mit Rabbiner Erwin Schild, der seit 1982 über 30 Jahre lang immer wieder nach Mülheim kam, um hier und an vielen anderen Orten der Bundesrepublik Vorträge über das jüdische Leben und seine Familiengeschichte zu halten. Mit ihm gemeinsam wurde von den beiden Kirchengemeinden der große Gedenkstein errichtet, der als Erinnerung und Mahnung auf dem Jüdischen Friedhof Mülheim steht.

Beiträge auf Youtube

Im Internet finden sich Darstellungen zu besonderen Aspekten der Geschichte der Kirchengemeinde. Sie werden fortlaufend durch weitere Beiträge ergänzt. Es gibt unter anderem Youtube-Beiträge zu „Eine kleine Mülheimer Kirchen-Geschichte“, „Zeit der Not“, „Kaufleute und Fabrikanten, „Die Eisflut 1784, „Die Leppers. Eine Pfarrersfamilie im Westerwald“ und „Die Niederländischen Schiffer vor Köln. 1600-1800″:

www.geschichte-kirche-koeln-muelheim.de

Speziell zu dem jüdischen Friedhof in Köln-Mülheim gibt ein veröffentlichtes Video auf Youtube. Hieran haben Grütjen und Hartmut Schloemann zusammen gearbeitet:

Dietrich Grütjen, Pfarrer i.R., bietet Führungen auf dem Jüdischen Friedhof Mülheim an: am 13. Juni und 26. September 2021, 14.30 Uhr, Haltestelle Mülheim Berliner Straße, Linie 4. Bitte melden Sie sich an bei: Dietrich Grütjen, Tel.: 0221 – 843156; dietrich.gruetjen@gmx.de Männer bitte Kopfbedeckung mitbringen!

In Mülheim können wir über 45 „Stolpersteine“ ins Nachdenken kommen. Dietrich Grütjen, Pfarrer i. R., lädt ein zu einem Gang zu einigen Häusern Mülheims, in denen bis zu ihrer Deportation Juden gelebt haben. Ihre Geschichte haben wir in den letzten Jahrzehnten wieder entdeckt. Es gibt viel zu erzählen – auch zu jüdischem Leben von 321 bis heute. Treffpunkt Friedenskirche, Wallstraße, 19. September 2021. 14:30 Uhr, Führung durch Dietrich Grütjen, Pfarrer i. R.

Text: APK
Foto(s): APK