You are currently viewing „Führe uns nicht weiter in Versuchung“: Diskussion im Sindorfer Gemeindezentrum zum Thema Energiewende und wir

„Führe uns nicht weiter in Versuchung“: Diskussion im Sindorfer Gemeindezentrum zum Thema Energiewende und wir

Das Einfache ist oft das Schwere. Und noch schwerer ist es oft, es einfach zu machen. Das wurde klar bei einer Podiumsdiskussion im Sindorfer Gemeindezentrum. „Was können die Menschen in unserer Region zur Energiewende beitragen?“ lautete das Thema.

Die Podiumsgäste

V.l.: Sammy Wintersohl, Volker Rotthauwe, Jutta Schnütgen-Weber, Martin Klöti, Dr. Bernhard Seiger

Gäste auf dem Podium waren Jutta Schnütgen-Weber, die 1980 in Bonn die Grünen mitgegründet hat, lange für die Partei politische Mandate wahrgenommen hat und jetzt den Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) vertritt, Volker Rotthauwe vom Institut für Kirche und Gesellschaft der Evangelischen Kirche von Westfalen, Martin Klöti von der Organisation „Neustart“ aus der Schweiz und vertraut mit dem Thema Nachhaltigkeit, sowie Dr. Bernhard Seiger, Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Köln-Süd. Die Moderation des Abends übernahm Sammy Wintersohl, Leiter des Amtes für Presse und Kommunikation des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region.

Eingangsstatements

Volker Rotthauwe stieg direkt mit einer starken These zum Thema ein: „Wir müssen uns von der Illusion verabschieden, dass wir unseren Lebensstil durch noch mehr Wissen verändern werden.” er fragte weiter, wie die Menschen dahin kommen dass aus diesem Wissen zunächst einmal Wollen und danach Handeln wird. „Wie kommen wir zu einer Ethik des Genug?”, fragte er weiter.  Es brauche Orte, Rituale, es brauche Vergewisserung und es brauche realistische Ziele. Suffizienz sei ein wichtiges Stichwort. Damit wird in der Wissenschaft das Streben nach einem möglichst geringen Rohstoff- und Energieverbrauch bezeichnet.

Jutta Schnütgen-Weber wollte nicht von der Umwelt, sondern von der Mitwelt sprechen. Sie sah sich auf dem Podium als Stellvertreterin für alle Lebewesen, die nicht Menschen sind. Der Mensch müsse den Schritt wagen in die Richtung „Nicht alles ist für mich da“. Man solle sich mal beim Einkaufen fragen: „Was brauche ich wirklich?“

Martin Klöti forderte Solidarität mit der Mitwelt, mit Hühnern, Schweinen, Bäumen und allem anderen. Ernährung, Wohnen und Mobilität seien die drei Felder, auf denen das Streben nach Suffizienz die größten Erfolge verspreche.

Dr. Bernhard Seiger zitierte aus dem Ersten Buch Mose: „Und Gott der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.“ „Uns ist die Welt aufgegeben zum Bewahren“, fuhr der Superintendent fort. „Das sollten wir zur Grundlage machen für alles, was wir tun.“ Seiger verwies auch auf den großen Respekt vor der Schöpfung, der zum Beispiel in den Liedern aus dem Gesangbuch zum Ausdruck komme.

Ausblick

Wer eine andere, nachhaltige Landwirtschaft wolle, müsse bei sich selbst anfangen, erklärte Schnütgen-Weber. „Wir alle haben toleriert, wie unsere Lebensmittel hergestellt werden. Als ich ein Kind war, lag der Anteil der Lebenshaltungskosten für Nahrungsmittel viel höher als heute. Es ist nicht ehrlich zu sagen, wir retten die Arten und der Wohlstand und Konsum bleiben gleich.“

Rotthauwe empfahl Interventionen bei den Politikern. „Das ist wie beim Rauchen. Da wurde so lange über die Gefahren des Tabakkonsums informiert, bis die Politik reagiert hat.“ Klöti stimmt ihm zu: „Wir können Bürgerbewegung sein. Wir können Politik machen.“ Dr. Seiger sah das auch so: „Wir Bürger müssen handeln. Das Verbraucherverhalten hat in der Vergangenheit Sortiment in den Supermärkten verändert.“ Er sprach sich aber gegen straffe gesetzliche Regelungen für das Verhalten der Konsumenten aus.

Kritik

Das Plenum beteiligt sich an der Podiumsdiskussion

Schnütgen-Weber verwies auf die Europawahl. „Die Ergebnisse haben gezeigt, dass es den Bürgern reicht.“ Klöti ging einen Schritt weiter: „Wir sind systematisch unmündig gemacht worden. Schauen Sie nach England. Das Land kann sich nicht mehr selbst regieren nach der Abwendung von Europa. Hören Sie auf Ihre Herzen, Ihre Lust und Ihr Verlangen und handeln Sie danach.“ Klöti plädierte für die Selbstermächtigung der Bürgerinnen und Bürger. „Oft höre ich, dass man bei REWE mit einer Tauschwährung nichts einkaufen kann. Wir in der Schweiz haben an vielen Orten gezeigt, dass Vieles möglich ist. Es gibt bei uns Bezirke, in denen die Menschen weitestgehend autark leben nach Regeln, die sie sich selbst gegeben haben.“

Auch das Publikum beteiligte sich intensiv an der Diskussion. Eine Frau erinnerte an ihr Engagement gegen das Regime in Südafrika unter dem Motto „Kauft keine Früchte der Apartheid“. Später habe man erfahren, dass sich die Opposition sehr wohl durch diese Initiative gestärkt gefühlt habe. Wichtig sei, so die Aktivistin: „Man muss zu mehreren sein.“ Sie regte an, die Kirche möge eine Kampagne gegen Online-Handel starten, um die Händler vor Ort zu stärken. Deren wirtschaftliche Schwierigkeiten seien auch Teil der sozialen Frage, die sich aktuell stelle. „Nur eine Gesellschaft, in der es gerecht zugeht, kann sich gerecht auf den Weg machen.“

Viele Wortmeldungen drehten sich um die Situation der Landwirtschaft vor Ort. „Wir wollen, dass lokale Bauern am Leben bleiben.“ Ein Landwirt aus Kerpen erklärte, dass aus seiner Sicht das Volk immer schon ruhig gestellt worden sei mit „Brot und Spielen“. „Und wenn ich heute die Lebensmittelpreise und das Fernsehprogramm sehe, ist das immer noch so.“

Ein Mann aus dem Publikum monierte die Plastikflasche auf dem Podium. Dr. Seiger nannte die Kritik „völlig gerechtfertigt“. In den Gemeinden müsse man reflektieren, was zur Gewohnheit geworden sei und wo man Gewohnheiten ändern könne. „Muss es in den Gemeindehäusern im Winter wirklich 23 Grad warm sein?“

Ein Zuhörer fragte, ob es nicht möglich sei, dass die Kirche Grundstücke beispielsweise für Tiny-Houses zur Verfügung stelle. Dem erteilte Dr. Seiger eine freundliche Absage. „Meine Gemeinde besitzt genau zwei Grundstücke. Auf einem steht der Kindergarten, auf dem anderen die Kirche.“ Der Superintendent empfahl, sich dafür an staatliche Stellen zu wenden

Hoffnung

Rotthauwe nannte die Bewegung „Friday for Future“ einen Hoffnungsträger. „Die Jugendlichen haben großen Spaß. Die sind nicht so streng und so rigoros wie wir früher.“ Er kritisierte die Kirchen. „Wir waren mal Vorreiter bei der Eine-Welt-Bewegung und bei der Friedensbewegung. In Sachen Klimapolitik sind wir das nicht mehr. Wir müssen aufpassen, dass wir die Initiative der jungen Leute nicht ersticken, indem wir sie zu fest ans Herz drücken.“

Dr. Seiger stimmte ihm zu: „Ich glaube, das Thema ist uns irgendwie weggerutscht. „Wir sollten den Schwung in der politischen Landschaft nutzen, um mit unseren Partnern das Richtige zu tun.“ Er nannte als Beispiel die Verbesserungen, die gerade der Radverkehr in Köln erfährt. Auch die Gemeinden sollten ihr eigenes Mobilitätsverhalten in Frage stellen. „Müssen wir Ausflüge in Bussen machen statt Rad zu fahren.“ Auch jeder Einzelne sei gefragt bei seinem Reise- und Flugverhalten.

Empfehlungen

Schnütgen-Weber empfahl jedem, sich in der Politik zu engagieren. „Wir brauchen mehr Bürgerbeteiligung. Jetzt ist ein Zeitfenster offen, um Haltungen in der Gesellschaft zu verändern.“

Dr. Seiger nannte Bildung wichtig. „Unsere Melanchthon-Akademie hat gerade eine Reihe im Programm, die sich um das nachhaltige Leben dreht. Das ist ein Feld, um das wir uns als Kirche kümmern.“

Klöti brachte das Vaterunser ins Spiel. „Wir haben es geschehen lassen, dass wir uns versündigt haben. Führe uns nicht – weiter – in Versuchung. Sondern erlöse uns von dem Bösen. Und vergib uns unsere Schuld. Das führt zu Amnestie. Und danach zu einem Neuanfang.“

Text: Stefan Rahmann
Foto(s): Stefan Rahmann