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Frühjahrsgespräch des Stadtsuperintendenten im Haus der Evangelischen Kirche:

Die Abhängigkeiten sind wechselseitig. "Religion ist ein notwendiger Teil von Bildung. Und Bildung ist ein notwendiger Teil von Religion", sagte Pfarrer Markus Zimmermann, Superintendent des evangelischen Kirchenkreises Köln-Nord, im Refektorium im Haus der Evangelischen Kirche in Köln. Zuvor hatte Stadtsuperintendent Rolf Domning zahlreiche Pressevertreter zum Frühjahrsgespräch begrüßt. Das Thema lautete "Religion – wirklich nur Privatsache? Bedarf das in Deutschland seit 1945 bewährte konstruktiv-kritische Miteinander von Staat und Kirche einer neuen Verhältnisbestimmung?"

Diskutiert wurde an diesem Abend ausgiebig über das sogenannte "zweite Kopftuchurteil" des Bundesverfassungsgerichts. "Eines ist klar", erklärte Zimmermann, der zehn Jahre als Religionslehrer am Montessori-Gymnasium in Köln-Bickendorf gearbeitet hat: "Schule darf kein Missionsort sein. Wenn ein Lehrer oder eine Lehrerin eine Kette mit einem Kreuz oder ein Kopftuch trägt, ist das nicht schwierig, wenn es Ausdruck individueller Orientierung ist. Schwierig wird es, wenn Druck ausgeübt wird oder damit eine Form von Separation oder ein missionarisches Statement einhergeht." Entscheidend sei die religiöse Neutralität des Staates, so auch Thomas vom Scheidt, Schulreferent für Gymnasium und Gesamtschule des Evangelischen Schulreferats. "Für die Schulleitung ist das Urteil sicherlich eine Herausforderung", so vom Scheidt, der darauf verwies, dass die Schulen nun selbst entscheiden könnten, bei einer extremistischen Haltung oder bei einer Störung des Schulfriedens das Tragen des Kopftuchs zu verbieten.

Drei Thesen zum Verhältnis von Kirche und Staat
Domning stellte zu Beginn drei Thesen zum generellen Verhältnis von Kirche und Staat zur Diskussion. "Christlicher Glaube bedeutet Einmischung: Ich bin der Überzeugung, dass christlicher Glaube weit über das Private hinausgeht. In dieser theologischen Tradition unserer Kirche stehe ich jedenfalls. In der Geschichte der Bundesrepublik waren Christinnen und Christen immer auch mutige und streitbare Diskussionspartner. Und sie waren Gestalterinnen und Gestalter von Gesellschaftsräumen und Öffentlichkeiten." In einer globalisierten Welt, so der Stadtsuperintendent, wachse die Suche nach ethischen Deutungsmustern für die Bewertung politisch kontroverser Themen. Das könne man bei der aktuellen Frage nach dem Umgang mit Flüchtlingen exemplarisch beobachten. "Staat und Gesellschaft brauchen die Stimme der Kirche gerade dort, wo gesellschaftliche Probleme eine ethische Dimension berühren, die politisches Handeln nicht mehr abbilden kann."

Kirche kann für ein angstfreies Miteinander eintreten
Der Stadtsuperintendent forderte ein "neues gesellschaftliches Klima der Gestaltbarkeit ohne Angst". Die Pegida-Bewegung habe deutlich gezeigt: "Das Alles-ist-möglich-Gefühl einer Leistungsgesellschaft ist in einigen Milieus längst dem dumpfen Gefühl der Angst gewichen, dass man morgen schon zu den Abgehängten gehören könnte. Die Kirche hat hier einen ebenso wichtigen Auftrag wie die Politik: Sie kann für ein angstfreies Miteinander eintreten, sie kann Spielräume für gesellschaftliche Gestaltung aufschließen, und sie kann dies mit großer Authentizität tun, weil sie in ihrem Kern für eine lebensbejahende Botschaft steht."

"Der Kosmos" Schule als Spiegelbild der Gesellschaft
Dazu diene auch der Religionsunterricht, nahm Superintendent Zimmermann in seinem Statement den Faden auf. "Der Kosmos Schule eignet sich deshalb sehr gut als Ausgangspunkt für Überlegungen und Reflexionen, weil er ein Spiegelbild der Gesellschaft in konzentrierter Form ist." Allen Unkenrufen zum Trotz sei Religion bei jungen Menschen durchaus noch ein Thema, mit dem sich viele beschäftigten: "Sie nehmen wahr, dass der Satz zutrifft: Wer nichts über Religion weiß, glaubt alles." Um zu einer eigenen Entscheidung gelangen zu können, was für sie als Lebensdeutung taugt, brauchten und erwarteten junge Menschen seriöse und objektive Informationen. Die biete der Religionsunterricht, der im Übrigen niemandem ein Bekenntnis aufdränge. Allerdings gelte unbedingt: "Religionsneutralität ja, Religionslosigkeit nein!"

Zeit für Zuwendung in Gesprächen, Gottesdiensten und Freizeitangeboten
Das Mitwirken der Kirchen an der Gestaltung der vom Grundsatz her religionsneutralen Gesellschaft habe sich bewährt und sei nicht zuletzt von der Politik gewünscht. Als Beispiele nannte Zimmermann den Betrieb von Kindergärten, Schulen, Krankenhäusern und Seniorenzentren sowie die seelsorglische Arbeit bei Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten. Aber auch die Zeit, die sich "Kirche" nehme für Zuwendung, Gespräche, Gottesdienste und Freizeitangebote. "Wir sollten im Übrigen auch nicht dem Irrtum verfallen, der Staat verhalte sich dann neutral, wenn er die Religion ins Private abdrängt. Im Gegenteil: Vielmehr gibt er in diesem Moment seine Neutralität auf und nimmt Partei für ein rein säkulares, atheistisches Weltbild."

"Alles ist erlaubt, aber nicht alles dient dem Guten"
Mit Blick auf den Terroranschlag auf die Redaktion der Satire-Zeitschrift "Charlie Hebdo" stellte Zimmermann dann noch die Frage: "Darf Satire alles?" Für die Antwort zog der Superintendent den Apostel Paulus zu Rate. Der schrieb im ersten Korintherbrief im Zusammenhang mit Speisevorschriften für Christinnen und Christen: "Alles ist erlaubt." Kurz darauf schränkte er jedoch ein: "Aber nicht alles dient dem Guten. Alles ist erlaubt, aber nicht alles baut auf." Das heiße, so Zimmermann: "Nicht nur meine eigene Freiheit und Würde sind schützenswert, sondern auch die des anderen. Meine respektvolle Rücksichtnahme auf die Gedanken- und Glaubensfreiheit des und der anderen schafft und sichert erst eine wirkliche Freiheit für alle."

Text: Stefan Rahmann
Foto(s): Stefan Rahmann