Die Ökumene war ein großes Thema in der achtjährigen Amtszeit von Manfred Rekowski als Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland. Und so war es nur folgerichtig, dass die Veranstaltung der Melanchthon-Akademie und der Karl-Rahner-Akademie, in der Rekowski auf seine Amtszeit zurückblickte, unter dem Motto „Zeiten der Umkehr? Ökumene als Haftungs- und Hoffnungsgemeinschaft“ stand.
Teilnehmende
Am 20. März tritt der 62-Jährige in den Ruhestand. Die Moderatoren Dr. Martin Bock, Leiter der Melanchthon-Akademie, und Norbert Bauer, Leiter der Karl-Rahner-Akademie, begrüßten zwei Gäste, die Rekowski sich gewünscht hatte und die ihn „bewegt und begleitet haben“, wie Dr. Martin Bock in seiner Begrüßung formulierte: Claudia Lücking-Michel, stellvertretende Vorsitzende des Zentralkomitees der deutschen Katholiken und ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete, und Pfarrer Frank Heidkamp, mittlerweile Stadtdechant von Düsseldorf, waren der Einladung in die Melanchthon-Akademie gefolgt. Das Gespräch wurde als Zoom-Konferenz übertragen.
Bauer bat die beiden, ihre Tätigkeit vorzustellen. „Wir sind das erste Zentralkomitee, das es weltweit gegeben hat“, erklärte Lücking-Michel. „Wir treffen uns als Vollversammlung mit 200 Mitgliedern, gestalten die Laienarbeit und verantworten sie mit.“
Heidkamp ist seit dem 1. September 2020 Stadtdechant in der Landeshauptstadt. Er war vorher Pfarrer in Düsseldorf am Rheinbogen und davor in Wuppertal. Dort hat er Rekowski kennengelernt, der vor seiner Zeit als Präses als Superintendent und Pfarrer in Wuppertal tätig war. „Der Stadtdechant ist das Sprachrohr der Stadt gegenüber dem Erzbischof. Er ist aber auch zuständig für die Zusammenarbeit mit den evangelischen Kirchengemeinden, den interreligiösen Dialog und den Kontakt zu den städtischen Institutionen“, beschrieb Heidkamp seine Aufgaben.
„Frei in Christus verändern wir die Welt“
Auf die Frage, was ihn ökumenisch besonders geprägt habe, warf der Noch-Präses einen Blick in seine Kindheit. Aufgewachsen ist er auf einem kleinen Bauernhof in Polen im ehemaligen Ostpreußen. Seine Eltern und er fühlten sich in „sehr evangelischen Bezügen aufgehoben“. Ökumene gab es dort nicht. Rekowski hat vor einiger Zeit seinen Wurzeln nachgespürt bei einem Besuch in Polen. „Das war sehr bewegend, in ein Land zu kommen, in dem ich geboren wurde und wo ich kein Wort mehr verstehe.“
In Polen leben 40 Millionen Menschen, darunter 70.000 Mitglieder der lutherischen Kirche. „Aber die Wirksamkeit von Kirche hängt nicht von der Größe ab“, habe ich dort gelernt: „Wir gucken hier bei uns an immer auf die Zahlen. In Polen sind die Protestanten sehr selbstbewusst und sagen: Frei in Christus verändern wir die Welt. Wobei das natürlich nicht so einfach ist.“ Ökumene erfuhr Rekowski, als er im Alter von zehn Jahren mit der Familie ins Rheinland übersiedelte.
Ökumene
„Da lernte ich den real existierenden Katholizismus kennen.“ Später, als Pfarrer, schob er die Ökumene an der Basis an. Mit Schulgottesdiensten mit der katholischen Nachbargemeinde. Mit der gemeinsamen Telefonseelsorge und einem ökumenischen Hospiz. Die evangelische Kirche auf dem Weg in die Diaspora ist auch ein Thema, das den Präses umtreibt. „Bei meinem Amtsantritt in Wuppertal lebten dort zwei Drittel Protestanten. Heute sind es noch 21 Prozent. 30 Prozent der Grundschüler und -schülerinnen gehören keiner Konfession an.“
Heidkamp erinnerte an vergangene Zeiten. „Wann Manfred Rekowski und ich uns das erste Mal begegnet sind, weiß ich nicht mehr. Ich weiß aber, dass er immer mit einem kleinen Elektro-Auto fuhr und auch schon mal am Straßenrand stand, weil er keinen Saft mehr hatte.“ Das ökumenische Hospiz sei damals ein Zeugnis gewesen der guten Zusammenarbeit zwischen Protestanten und Katholiken.
Mit einem Schmunzeln erinnerte sich der Stadtdechant an eine Andacht in einer lebendigen Krippe mit Rekowski in Wuppertal-Elberfeld. „Das war für den Kollegen sehr ungemütlich. Er ging auf Distanz zu den Tieren.“ „Und das, obwohl ich vom Bauernhof komme“, entgegnete Rekowski lachend.
„Damit Christen vor Ort noch eine Heimat haben“
Ob ein etwaiger Diaspora-Status der christlichen Kirchen die Gefahr der Abgrenzung berge, fragte Norbert Bauer. „Nein“, erwiderte Heidkamp. Es gehe darum, dass die Christen und Christinnen im Gespräch blieben, sich gemeinsam auf den Weg machten und bei geringerer Finanzkraft zum Beispiel Gebäude gemeinsam nutzten, „damit Christen vor Ort noch eine Heimat haben“.
Rekowski ergänzte: „Für uns ist das Evangelium substanziell und relevant. Wir müssen Dominanzverzicht lernen. Anfang der 80er Jahre waren die Schulgottesdienste in unseren Kirchen ökumenisch. Heute hören wir aus den Schulen: Ihr könnt gern zu Schulbeginn in unsere Aula kommen. Der Imam kommt übrigens auch. Da ist auch ein Stück weit Demut gefragt.“ Auch Lücking-Michel betonte die Gemeinsamkeiten: „Wir können nur durch Überzeugung wirken. Sonntags kommt keiner mehr in die Gottesdienste, weil er muss.“ Heidkamp erinnerte an den Kölner Erzbischof Joseph Kardinal Höffner, der von der „Geh-hin-Kirche“ gesprochen habe. „Wir müssen viel mehr über die Orte nachdenken. Ich habe einen Gottesdienst in einem Autokino gefeiert. Die Resonanz war absolut positiv.“
Lücking-Michel gab zu bedenken: „Wir sind nicht mehr Geh-hin-Kirche. Wir müssen aufpassen, dass wir hinterherkommen, so schnell, wie die uns verlassen. Wir müssen schauen, dass wir bei den Menschen sind, wir müssen unsere Hausaufgaben machen, aufräumen und systemisch was verändern. Aber der synodale Weg frisst sehr viel Zeit. Wir arbeiten gegen alte, fast monarchische zentralistische Strukturen.“
„Gemeinsam am Tisch des Herrn“
Auch das ökumenische Papier „Gemeinsam am Tisch des Herrn“ wurde besprochen an diesem Abend in der Melanchthon-Akademie. „Es gibt nicht ein Abendmahlsverständnis. Aber wenn wir uns auf eine gewisse Vielfalt einigen, könnte das eine Brücke sein“, erklärte Rekowski. „Ich habe gelernt, die andere Haltung nicht schwach zu reden, sondern mir ihre Stärken anzugucken.“
Lücking-Michel nannte das Papier einen Lichtblick. „Es ging nicht darum, der langen Tradition der Streitpapiere ein weiteres hinzuzufügen. Jede und jeder kann aus eigener Überzeugung beim Abendmahl der anderen Konfession hinzutreten. Nicht jede Postkarte, die aus Rom kommt, ist eine theologische Lehrschrift. Eine Einladung zum Abendmahl ist etwas anderes als ein interkonfessionelles Abendmahl. Einladung heißt, dass man willkommen ist.“
Heidkamp bewertete das Papier als „gute Möglichkeit, ins Gespräch zu kommen und miteinander zu ringen“. Bedauert wurde allerseits, dass der Ökumenische Kirchentag in Frankfurt in der dritten Maiwoche wohl nicht wie geplant stattfinden wird. „Ich bin mit der Trauerarbeit noch nicht fertig. Was stattdessen gehen wird, damit habe ich mich noch nicht befasst. Wir hatten ja vor kurzem eine Zoom-Synode. Am Anfang habe ich gedacht, da geht wenig. Aber es geht ganz viel.“ Was beim Präses im Ruhestand geht, steht noch nicht fest. Er wird ein Ehrenamt ausüben, wahrscheinlich im diakonischen Bereich. „Irgendwas Unspektakuläres.“
Foto(s): Stefan Rahmann