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Frauen fordern: „Mehr interreligiösen Dialog in stürmischen Zeiten“

Mitte September trafen sich rund 50 Frauen zum ersten Frauenmahl in der Jesus-Christus-Kirche in Köln-Esch zum Thema „Reformation heute“.

In diesem Jahr wollte die Evangelische Kirchengemeinde Pesch Frauen etwas Besonderes anbieten, erzählt Pfarrerin Siegrid Geiger, seit rund drei Jahren in der Gemeinde zuständig für Seniorenarbeit. Sie hatte dieses Format, das es bereits seit 2011 gibt, schon in anderen Gemeinden erlebt und fand, es passe sehr gut nach Esch. „Hören, reden, speisen“ fasste sie es zusammen. Ihr Wunsch: Die Frauen sollen neue Ideen und Inspiration mit nach Hause nehmen.

Geigenklänge einer ungarischen Musikerin
Zu fünft oder zu sechst saßen sie an den Tischen und genossen das dreigängige Menü. Zwischendurch ertönten wundervolle Geigenklänge der ungarischen Musikerin Zsuzsanna Penzes-Büdenbender, die Johann Sebastian Bach, Bela Bartok und ein ungarisches Volkslied musikalisch kredenzte. Zwischen den Gängen näherten sich drei Referentinnen den vielfältigen Aspekten des Themas „Reformation“.

Kirche radikal verändern
Jutta Maneke arbeitet als Supervisorin und Mediatorin. Früher war sie Lehrerin. Die ehemalige Frauenbeauftragte der Kirchenkreise Bad Godesberg-Voreifel und Köln-Mitte engagiert sich in der Tradition der Bekennenden Kirche in der ökumenischen Bewegung „Kairos“ für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung. Sie möchte die Kirche radikal verändern. Dabei geht es ihr vorrangig um das westliche Wirtschaftssystem, das bei vielen Menschen Leistungsdruck, Versagensängste und Zukunftsängste schüre. „Unser Wirtschaftssystem tötet“, zitierte sie Papst Franziskus. Die Reformation 1517 habe die Menschen vom Druck befreien wollen und sich gegen die Kommerzialisierung des Heils ausgesprochen, so Maneke. „Gott erlöst uns aus Gnade, nicht wegen des Geldes“, stellte sie klar. Für die Mediatorin geht es im Jubiläumsjahr „500 Jahre Reformation“ darum, „ein neues ‚Wir‘ zu etablieren. Ihre Forderung: Auf eine neue Weise miteinander solidarisch werden und Grenzen überwinden lernen.

„Koranauslegung per Anstrengung“
Als zweite Rednerin trat die Kölner Muslima Miyesser Ildem vom Zentrum für islamische Frauenforschung und Frauenförderung ans Mikrofon. Neben der Luther-Fahne stehend, erinnerte sie an die Verdienste der Katharina von Bora für die Reformationsbewegung. In ihrer Religion, dem Islam, sei es immer noch so, dass die Hoheit über die Koranauslegung bei den Männern liege. Sie plädierte für eine „Koranauslegung per Anstrengung“, für genaues Lesen und Hinschauen statt einseitiger Berufung auf Traditionen, die mit den Worten begründet würden „Das hat mir mein Vater gesagt.“

Frauen können die Gesellschaft reformieren
„Wir Muslima sind keine homogene Masse, die gleichgesteuert vor sich hin lebt“, betont sie und wünscht sich, dass Muslimas als eigenständige Frauen wahrgenommen werden. Ildem will sich „für mehr interreligiösen Dialog in stürmischen Zeiten“ einsetzen. Sie ist davon überzeugt, dass Frauen die Gesellschaft reformieren können. Viele muslimische Frauen würden sich für mehr Geschlechtergerechtigkeit und gegen das religiöse Patriarchat einsetzen: „Da simmer dabei!“

Reformation und Politik
Als letzte hatte sich die Düsseldorfer Bürgermeisterin Klaudia Zepuntke nach einem Termin direkt auf den Weg nach Köln gemacht und freute sich über das leckere Mahl, da sie seit dem Frühstück nichts mehr gegessen habe. Frauenmahle seien eine wunderbare Tradition, um miteinander ins Gespräch zu kommen, so Zepuntke. Die ehrenamtliche Bürgermeisterin ist seit 1990 hauptamtliche Gemeindeschwester der Emmaus-Kirchengemeinde mit rund 17.000 Mitgliedern. Wenn sie mit ihrem Fahrrad durch „ihre Gemeinde“ radele, treffe sie alle sozialen Schichten. „Ich nehme mir die Zeit, genau hinzusehen und zuzuhören“. Als junge Mutter trat sie 2009 der SPD bei, weil sie „nicht nur meckern, sondern mitgestalten“ wollte.

Martin Luther und die Politik von heute
In ihrem Vortrag an diesem Abend stellte sie drei zentrale Begriffe des Reformators Martin Luther in den Mittelpunkt und verband sie mit politischen Forderungen. Luthers Begriff der „Freiheit“, mit dem er mündige Christen aufforderte, Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen, müsste heute übersetzt werden in „Bildung, Bildung, Bildung, Unabhängigkeit und Sicherheit.“ Zur Gerechtigkeit erklärte Luther vor 500 Jahren, dass vor Gott alle Menschen gleich seien. Daraus ergeben sich für Zepuntke „Teilhabe und gleiche Chancen für alle“ als heutige politische Forderung. Luthers Nächstenliebe setzte die Politikerin mit dem Begriff der Solidarität gleich.

Frauenkabarett „Hermanns & Putzler“
Nach so viel Futter für Geist und Körper gab es als Nachtisch noch eine Portion für die Lachmuskeln mit den beiden Kabarettistinnen Susanne Hermanns und Sabine Putzler. Zum Thema „Reformation heute“ schmissen sie sich Begriffe um die Ohren: Demokratie und Selbstbestimmung, Kirchenmusik und soziale Gerechtigkeit, Bibel und Frauenordination. Sie erzählten von diskriminierenden Erfahrungen als Protestanten im „hillige Kölle“ und zickten sich als lispelnde Handpuppen Luzie und Laura gehörig an. Auch die Verwandlung von Frauen in schwingenden Kleidern zu grölenden Fußballfans im Stadion gelang ihnen ohne Probleme. Beim Spiel „Protestanten gegen Katholiken“ gab es Fangesänge auf Lateinisch und eine Neufassung des Liedes „Ein feste Burg ist unser Gott“.

Ein gelungener Abend
Und wie gefiel es den Frauen? Ingrid Hanemann aus Esch fühlte sich sehr wohl in netter Gesellschaft. Maria Biel aus Widdersdorf fand das Frauenmahl toll und hat interessante Dinge erfahren. „Ich will so viel sagen, dass mir gar nichts einfällt. Es ist so ein Rundum-Paket. Ich fühle mich sehr verwöhnt, es ist Nahrung für Körper, Geist und Seele“, lacht Gabriella Stanko-Ensel, die sich in der gemeindlichen Flüchtlingsarbeit engagiert. Petra Gräff fand den Islam-Vortrag besonders interessant und überlegt nun, ob sie Miyesser Ildem einmal in ihre Einrichtung einladen soll. Fazit: An allen Tischen wurde viel diskutiert und gelacht, und es herrschte eine gute Stimmung.

Zweites Frauenmahl?
Auch Pfarrerin Geiger ist zufrieden mit dem ersten Frauenmahl und kann sich gut vorstellen, irgendwann einmal ein zweites zu veranstalten, wenn die Kirche in Pesch renoviert und die Gemeindeglieder in Esch, Pesch, Auweiler und Lindweiler ihr endgültiges Zuhause gefunden haben.

Text: Jutta Hölscher
Foto(s): Jutta Hölscher