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Filmtipp: Ernst Barlachs „Der Schwebende“ in der Antoniterkirche

Mimik und Gestik sprechen von Trauer über gesehenes, erfahrenes Leid. Verinnerlichung – offenbar dem Irdischen, dem Jetzt entrückt – kennzeichnet die überlebensgroße Figur, die in der evangelischen Antoniterkirche in der Kölner Schildergasse hängt: Dergestalt ist der bronzene „Schwebende“ von Ernst Barlach (1870-1938).

Gedanken bei den Opfern des Krieges
Es handelt sich um den (wohl 1939) vom originalen Werkmodell angefertigten zweiten Guss. Der Erstguss hing von 1927 bis 1937 im evangelischen, gotischen Dom im mecklenburgischen Güstrow. Zu dessen 700-Jahr-Feier hatte der bedeutende deutsche Bildhauer das „Güstrower Ehrenmal“ realisiert – gewidmet den Toten des Ersten Weltkrieges. „Für mich hat während des Krieges die Zeit stillgestanden. Sie war in nichts anderes Irdisches einfügbar. Sie schwebte. Vor diesem Gefühl wollte ich in dieser im Leeren schwebenden Schicksalsgestalt etwas wiedergeben.“ Mit Worten wie diesen erläuterte Barlach seine Arbeit. Die Gedanken des „Schwebenden“, so sein Schöpfer, „sind bei den Opfern des Krieges, seine Augen sind geschlossen, nichts lenkt ihn ab von seinem Erinnern“.

Zweiter Guss überstand Naziregime
Als „entartete Kunst“ war 1937 die ebenso „Engel“ bezeichnete Plastik aus dem Dom entfernt und schließlich 1941 eingeschmolzen worden. Der zweite Guss überstand das Naziregime und den Zweiten Weltkrieg in einem Versteck in der Lüneburger Heide. Später zum Kauf angeboten, konnte er mit Hilfe großzügiger Spenden von Kölner Unternehmen und Bürgern für die nach schwerer Kriegsbeschädigung wiedererrichtete Antoniterkirche erworben werden. Bevor der „Schwebende“ zur Wiedereinweihung im Mai 1952 im nördlichen Seitenchor installiert wurde, hatte man eine Abformung vorgenommen. Mittels dieser erfolgte im Frühjahr 1952 ein für den Dom in Güstrow bestimmter Nachguss.

Film am 21. und 26. Mai
Über Ernst Barlachs „Der Schwebende“ in der Antoniterkirche hat nun die Kölner Autorin Martina Müller mit einem WDR-Team für die WDR-Reihe „west.art Meisterwerke“ einen Film gedreht, Länge: fünf Minuten. Ausgestrahlt wird er im WDR Fernsehen am Dienstag, 21. Mai 2013, 23.10 Uhr. Eine Wiederholung erfolgt am Sonntag, 26. Mai 2013, 12.25 Uhr. Wer die Sendung verpasst (hat), kann den Beitrag anschließend im Internet aufrufen: http://www.wdr.de/tv/westart/meisterwerke.

Vor der Erstausstrahlung haben wir mit Martina Müller, der Autorin des Films, gesprochen.

Frau Müller, für wie viele Beiträge insgesamt sind Sie in der Reihe „west.art Meisterwerke“ verantwortlich?
Martina Müller: Als Autorin bin ich für Buch und Regie verantwortlich, bereite die Dreharbeiten vor, mache das Schnittkonzept und finde anschließend in Zusammenarbeit mit dem Komponisten Nicolas Nohn eine passende Musik. Gut 100 Filme habe ich so für die „west.art Meisterwerke“ inzwischen gemacht, eine Reihe, die seit 2006 im WDR Fernsehen gezeigt wird, dienstags um 23.10 Uhr. Wir zeigen Malerei, Skulptur, Photographie, Lichtkunst, Architektur, Installationen – kurz, Herausragendes aus allen Epochen der Kunstgeschichte vor allem in Nordrhein-Westfalen. „Der Schwebende“ von Ernst Barlach ist in diesem Format das 227. Meisterwerk.

Wann und unter welchen Umständen sind Sie dem „Schwebenden“ erstmals begegnet?
Martina Müller: Ich kannte Barlachs Engel aus früheren Besuchen in der Antoniterkirche, hatte ihn immer im Hinterkopf. Dass wir ihn jetzt für die Reihe gedreht haben, war ein Wiederaufleben einer alten Idee, angeregt durch den Hinweis der Redakteurin Susanne Kampmann.

Wie wirkte die Plastik zunächst auf Sie, hat sich dieser Eindruck bei späteren Besuchen verändert?
Martina Müller: Da muss ich ein wenig ausholen. Vor ein, zwei Jahren habe ich den „Turm der Mütter“, eine kleine Plastik von Käthe Kollwitz, in den „Meisterwerken“ vorgestellt. Früh gealterte Arbeiterfrauen mit Kleinkindern, eine Festung aus Röcken und Schürzen. Mütter, die sich weigern, ihre Kinder als Kanonenfutter herzugeben, entstanden 1938, ein Jahr vor Beginn des Zweiten Weltkriegs. Nun sah ich in Barlachs Mahnmal für den Ersten Weltkrieg erneut Käthe Kollwitz: Der Schwebende trägt ihre Gesichtszüge. Beide Künstler, Kollwitz und Barlach, haben sich am kollektiven Hurra-Geschrei im Hinblick auf den ersten Weltkrieg beteiligt. So hatte zum Beispiel Käthe Kollwitz den Wunsch ihres 18-jährigen Sohns unterstützt, sich freiwillig zum Kriegsdienst zu melden. 1914 starb er an der Front. Wie nun Kollwitz und Barlach auf die katastrophalen Folgen des Kriegs in ihren Arbeiten reagiert haben, das hat mich interessiert.

War Ihnen die spannende Geschichte der Plastik von Anfang an bekannt, was fasziniert Sie daran besonders?
Martina Müller: Ich wusste, dass „Der Schwebende“ ein Zweitguss ist, aber wie es dazu in der Nazizeit kam, war mir nicht klar. Und es ist ja noch heute nebulös, wie es Bernhard A. Böhmer gelungen ist, den „Engel“ erneut gießen zu lassen und vor allem welche Motive den Freund Barlachs dabei gelenkt haben, der ja als Kunsthändler auch in engem Kontakt zur NSDAP stand. All das aufzuarbeiten und darzustellen war mir allerdings bei einem Fünf-Minuten-Film nicht möglich. Dennoch eine interessante Geschichte. Überrascht hat mich, dass ich erst bei den Dreharbeiten bemerkt habe, dass der Engel an den Ketten hängend keineswegs statisch ist: Der Schwebende in der Antoniterkirche schwebt tatsächlich.

Was prädestiniert den „Schwebenden“ für die Aufnahme in die Reihe west.art Meisterwerke?
Martina Müller: Zunächst einmal war Barlachs Skulptur schon bei ihrem ersten Auftritt – 1927 im Güstrower Dom – alles andere als das, was man sich von einem Kriegerdenkmal erwartete. Heldentum, Glorifizierung. Nichts davon bei Barlach. Nur ein einsam trauerndes Wesen als Mahnmal für die Opfer des Ersten Weltkriegs. Darüber hinaus mag ich sehr, wie Barlach einen Körper gleichsam in Flugposition darstellt: das schwere Gewand, die scharf konturierten Falten, die gestraffte Form einer Figur, die mit gekreuzten Armen vor der Brust das Kinn energisch nach vorn streckt – als sei Schweben nur eine Frage der Haltung.

Wie empfanden Sie die Aufnahmebedingungen in der Antoniterkirche?
Martina Müller: Eine so großzügige Unterstützung der Dreharbeiten lieben wir, haben wir ja nicht immer. Wunderbare Organisation und Betreuung durch Annette Scholl, unkomplizierte Mithilfe durch die Küsterin Ulrike Severitt und sehr gefreut hat mich die geduldige Mitwirkung von Pfarrer Markus Herzberg.

Hat die zweitägige Drehzeit, die intensive Beschäftigung mit dem Mahnmal Ihre Einschätzung des „Schwebenden“ noch einmal beeinflusst?
Martina Müller: Es ist immer aufregender, sich mit einem Kunstwerk im Hinblick auf eine geplante Arbeit zu beschäftigen. In meinem Fall: Wie kann daraus ein Film entstehen? Sehen und Erleben sind bei Recherche und anschließenden Dreharbeiten sehr viel intensiver. Bin gespannt, ob der Film funktioniert, wenn er am 21. Mai ausgestrahlt wird und freue mich auf Reaktionen

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich