Vor 100 Jahren, im Jahr 1924, wurde der Grundstein für eine durch die evangelische Kirche organisierte Diakonie in Köln gelegt. Damals gründeten die „Evangelischen Gemeinden Groß-Kölns“ das „Zentral-Jugend- und Wohlfahrtsamt“ im CVJM-Haus an der Antoniterstraße mit fünf Fürsorgerinnen und zwei Bürokräften. Zu den ersten Arbeitsfeldern zählten Jugendfürsorge und Vormundschaften, die Krankenpflege sowie die sogenannte Wanderer- und Gefährdetenfürsorge. Die ersten hauptamtlichen Fürsorgerinnen und ein Fürsorger unterstützten vor allem arme evangelische Familien, wo die Not am größten war.
Das Jubiläum wurde mit einem Festgottesdienst in der bis auf den letzten Platz gefüllten Kartäuserkirche gefeiert. Stadtsuperintendent Bernhard Seiger leitete die Liturgie. Die Dialogpredigt hielten Oberkirchenrätin Wibke Janssen, Leiterin der Abteilung Theologie und Ökumene im Landeskirchenamt, und Marina von Ameln, die sich in Köln um die gemeindenahe Diakonie kümmert. Für mitreißende Musik sorgte Thomas Frerichs; es sang der zum Jubiläum gegründete Chor aus Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Diakonie.
Von Ameln erläuterte das Motto des Jubiläumsjahres „#einefüralle“: „Das ist natürlich kein exklusiver Anspruch.“ Man müsse eher in Richtung der drei Musketiere denken: „Einer für alle.“ Gemeinsam und nachhaltig wolle man Gutes bewirken für eine demokratische und solidarische Gesellschaft. Die Diakonie sei eine von verschiedenen Akteuren, die für die Menschen da seien, die in Not sind, ergänzte Janssen. „Und wir sind für alle da, selbstverständlich auch für die, die nicht evangelisch sind. Mit unserer Arbeit spiegeln wir das bunte Köln wider“, führte von Ameln fort. „Wir wünschen uns als Kirche, für alle Menschen da zu sein. Manchmal beneide ich die Diakonie. Sie ist wirklich ganz nah dran an den Menschen und an der ganzen Gesellschaft“, sagte Janssen.
Gott habe viel übrig für die Gesellschaft. Die Oberkirchenrätin erinnerte an die Worte des Propheten Jeremia: „So spricht der Herr Zebaoth, der Gott Israels, zu allen Weggeführten, die ich von Jerusalem nach Babel habe wegführen lassen: Baut Häuser und wohnt darin; pflanzt Gärten und esst ihre Früchte; nehmt euch Frauen und zeugt Söhne und Töchter; nehmt für eure Söhne Frauen und gebt eure Töchter Männern, dass sie Söhne und Töchter gebären; mehrt euch dort, dass ihr nicht weniger werdet. Suchet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe wegführen lassen, und betet für sie zum Herrn; denn wenn’s ihr wohl geht, so geht’s euch auch wohl.“ Diese Worte, so Janssen, richteten sich an das Volk Israels im Exil. Auch heute gebe es viele Menschen, die ihre Heimat verlassen hätten. Sie würden von der Diakonie beim Neustart unterstützt, und die Worte Gottes seien zeitlos richtig. Viele Geflüchtete würden die Aufträge Gottes erfüllen und Häuser bauen, Gärten anlegen und Familien gründen. Solche Beispiele habe es immer schon gegeben, etwa während der Industrialisierung, als Bauern und Handwerker aus ländlichen Strukturen in die Städte aufgebrochen seien. Der Staat habe sich damals kaum gekümmert.
Vor kurzem habe man 125 Jahre Bahnhofsmission gefeiert, gegründet von gut situierten bürgerlichen Frauen, die andere, insbesondere junge Frauen, vor unseriösen Angeboten und der Ausbeutung am Arbeitsplatz schützen wollten. Die Diakonie müsse gemeindenah sein, berichtete von Ameln aus ihrem Arbeitsfeld. Es gebe stärkere Bedürfnisse vor Ort. Deshalb werde die Diakonie in Zukunft noch mehr Wert darauf legen, Hand in Hand mit den Gemeinden zu arbeiten. Soziale Arbeit sei immer mit politischen Auswirkungen verbunden.
Janssen schloss mit den Worten: „Gott fordert nicht, dass wir ihn im Tempel preisen. Stattdessen fordert er: Setzt euch ein, damit ihr mich nicht vergesst. Suchet der Stadt Bestes.“
Festgottesdienst: Auftakt der Woche der Diakonie
Mit kreativen Angeboten, einem Kaffeetreff, einem Jugendevent, einer Mitmachausstellung für Kinder, der Möglichkeit, helfende Gruppen und Vereine kennenzulernen, wurde die Diakonie in all ihrer Vielfalt unter anderem in Bergisch Gladbach, Bensberg, Rösrath, Leichlingen und Burscheid sicht- und erlebbar.
Der Auftaktgottesdienst zur Woche der Diakonie fand im Altenberger Dom statt, eine Ausstellung zu 100 Jahren Diakonie in Köln und Region im benachbarten Martin-Luther-Haus inklusive einer gut besuchten „Liebe geht durch den Magen“-Kaffeetafel schloss sich an.
Zum Festgottesdienst hatten Marina von Ameln, Pfarrerin für Gemeindenahe Diakonie, und Pfarrerin Claudia Posche aus Altenberg eingeladen, musikalisch wurde er von Domorganist Andreas Meisner sowie der Domkantorei gestaltet. Da an diesem Sonntag auch der Tag des offenen Denkmals unter dem Begriff „Expedition Heimat 2.0 – Wahr-Zeichen, Zeitzeugen der Geschichte“ stattfand, verbanden sich in Gottesdienst Gedanken zu Heimat mit dem, was die diakonische Arbeit ausmacht: Menschen mit Respekt begegnen, gesellschaftliche Teilhabe für alle im Blick haben und so, unabhängig von Religion oder Herkunft, ein Heimatgefühl ermöglichen.
In ihrer Predigt verdeutlichte Pfarrerin von Ameln, dass Heimat beileibe kein einfacher Begriff ist. Jeder und jede hat eine ganz eigene Definition des Wortes, die mit Freude, vielleicht Leid, Geborgenheit, Liebe oder Verlust verknüpft ist. Möglicherweise auch mit einem Duft, einem Lied oder einem Dialekt. „Heimat, das sind die Menschen, mit denen ich verbunden bin. Der Philosoph Karl Jaspers definierte Heimat als den Ort, wo ich verstehe und verstanden werde. Auch Gott schenkt mir Heimat“, erklärte die Pfarrerin.
Menschen in ihrer Heimat ein gutes, würdevolles Leben zu ermöglichen, sei ein großes Anliegen der diakonischen Arbeit, schon seit den ersten Zuwanderern Anfang des 20. Jahrhunderts, ergänzt durch das Bemühen, Menschen, fern ihrer Heimat bei einem würdevollen Ankommen zu helfen. Denn Begleitung und Unterstützung sei bei einem Neuanfang ungemein wichtig. „Was uns Heimat eigentlich heute bedeutet, ist gerade ein grundlegendes Thema in der Gesellschaft“, hat die Pfarrerin beobachtet. Am Aktionsstand in der Bergisch Gladbacher Fußgängerzone auf der Vereins- und Kulturmeile im Rahmen des Stadtfestes seien die Menschen als Teil der Woche der Diakonie zum Thema „Würde unantastbar“ ins Gespräch gekommen, berichtete sie.
Begriffe wie Gastfreundschaft, Respekt, Treue und Verlässlichkeit erinnerten in der Predigt an die vorangegangene Lesung aus Hebräer 13, einem Aufruf zu einem christlichen Leben, in dem der Verfasser dazu mahnt, gastfreundlich und bescheiden zu sein, sich Menschen in Not anzunehmen. Das Glaubensbekenntnis von Dietrich Bonhoeffer passte außerdem gut zum Thema Diakonie. Darin heißt es unter anderem: „Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen. Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage so viel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen.“ Besser hätte die diakonische Arbeit kaum beschrieben werden können.
Foto(s): Stefan Rahmann / Matthias Pohl