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„Fastenzeit“ – Eine Ausstellung in der Paul-Gerhardt-Kirche

Brot-Reste, Knöchelchen, Olivenkerne und Blätter, Gräten, tote Insekten, ein Vogelskelett und vieles mehr hat Susanne Waltermann mit Zwirn auf weißen Pappkartons befestigt. Statt weg geworfen und dem natürlichen Verfall ausgesetzt, sind diese Fundstücke aus den 90er Jahren nun unter Glas gerahmt. Insgesamt vierzig dieser Objektkästen hat die in Köln lebende Künstlerin zur Installation „Natürlicher Plan für vierzig Tage“ gefügt. Sie ist zu sehen im Altarraum der Lindenthaler Paul-Gerhardt-Kirche. „Fastenzeit“ nennt Waltermann ihre dort vom Forum Paul-Gerhardt-Kirche Förderverein e.V. veranstaltete Ausstellung, in der außerdem 13 „Kleider“-Bilder präsentiert werden.


Jüdisch-christliche Tradition
Der „Natürliche Plan für vierzig Tage“ lenkt unseren Blick auf Nebensächliches, auf Überreste verschiedener Art. Der (notwendige) stete Lauf von Werden und Vergehen kommt einem in den Sinn. Eben so die Lebensweisheit, loslassen und sich von Ballast, sei er materieller oder psychischer Natur, befreien zu können. Die Anzahl der Objektkästen ist angelehnt an die jüdisch-christliche, die biblische Tradition, in der die Vierzig oft genannt wird bezüglich der Vorbereitung, der Hinwendung auf ein Ereignis. Auch das Fasten von Moses und Elias fällt darunter, eben so die vierzig Tage von Jesus in der Wüste. Entsprechend wird in Waltermanns Installation, meint der Kölner Literatur-Professor und Prädikant Volker Neuhaus, der im Rahmen des der Vernissage am Aschermittwoch vorausgehenden Gottesdienstes zur Ausstellung predigte, vierzig Mal „der Vorgang des Entäußerns, des Leer-Werdens, der zum Fasten gehört, dem Betrachter sinnfällig vor die Augen gestellt“.

Kleidungsstücke als durchgehenedes Motiv
„In ihrer schlichten Monumentalität“, so Neuhaus, würden auch Waltermanns Bilder Denkanstöße geben und „so zu Vorlagen für Meditationen“ werden, „die den ´Natürlichen Plan für vierzig Tage´ geistig und geistlich komplettieren.“ Das durchgängige Motiv dieser mehrheitlich großformatigen Bilder sind Kleidungsstücke. Sie stehen zumeist einzeln auf papierenem Grund, sind gefertigt in Mischtechniken. Bis auf eine weisen diese Arbeiten ein besonderes Charakteristikum auf: Sie sind stellenweise bis großflächig mit Zwirn oder, wie „Schönes warmes Totenhemd“(2003), mit Wollfäden durchnäht. „Großes Rosenhemd (Nr. 2)“ (2003), „Brautkleid mit Rosenblättern“ und „Strümpfe Nr. 4“ (1998) tragen angenähte Rosenblätter. Sie erscheinen einerseits aufgesetzt, andererseits wie Öffnungen. Aber nicht wie Löcher im Gewand, sondern wie körperliche Verletzungen, vernarbende Wunden – wie Wundmale von Märtyrern.
Meist ungerahmt hängen die Kleiderbilder an der Wand. Unmittelbar ist die zwiebel- oder hautähnliche Textur des aus mehreren Schichten bestehenden Papiers erlebbar. Sie ist Bildträger und Werkstoff zugleich. Ihre Falten und Risse erinnern an eine vergängliche, verletzte Hülle. Versehen mit Nähten und anderen Behandlungsspuren. Der horizontal oder rasterförmig, wie ein Zeichenstift eingesetzte Zwirn, der bewusst grob, unregelmäßig, ja „unsauber“ genäht ist, schafft dabei oft nicht nur eine zusätzliche Bildebene. Er vermittelt zudem eine lebendige Struktur und Stofflichkeit. Bisweilen erweckt er sogar, beispielsweise im „Hemd“ (2003/05), einen reliefartigen, plastischen Eindruck. Dann scheint das objekthafte Motiv nahe einem realen Gegenstück, in das man hinein zu schlüpfen vermag.

Kleider stehen für menschliche Gedanken und Gefühle
Waltermanns „Kleidungsstücke“ sind nicht natürlich nicht nur „Hemd“ oder „Hose“. Die leeren Hüllen sind Stellvertreter abwesender Körper. Und wenn dann, wie in den kleinformatigen, jüngsten Arbeiten in Aquarell und Gouache , „Im weißen Kleid klein“ und „Im weißen Kleid mit angehobenem Rock“, auch menschliche Figur aufscheint, befindet sich die zudem gesichtslose Protagonistin in einem Stadium zwischen Konkretisierung und Auflösung.
Waltermann thematisiert mit ihren Kleiderbildern zutiefst menschliche Gedanken und Gefühle. Sie aktiviert existenzielle Fragen. Sie kehrt das Innere nach außen. Dafür mag das umgedrehte Beinkleid „Hose, meine, auf links“ (2003/05) stehen, dessen leere Taschenbeutel außen herabhängen. Dies mag die provokativ wie ironisch mit Selbstvorwürfen und -zweifeln absichtlich krakelig beschriftete „Hose des Scheiterns (linkes Bein) und des Versagens (rechtes Bein)“ (2004/06) belegen: „Verpasst ist verpasst glaubst du denn du kriegst noch einmal so eine Chance (…)“

Noch bis 19. März zu sehen
Geöffnet ist die Ausstellung in der Paul-Gerhardt-Kirche, Gleueler Straße/Lindenthalgürtel, 50935 Köln, bis 19. März 2006 montags bis freitags von 17 bis 19 Uhr, sonntags von 11 bis 14 Uhr sowie nach telefonischer Vereinbarung unter 0221-432733.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich