Pfarrerin Sandra Nehring reflektiert über die Kraft des Durchhaltens und der inneren Stärke in schwierigen Zeiten. Sie findet Inspiration in dem Garten eines alten Mannes, der ihm als persönliches Refugium Energie und Trost schenkt. Nehring meint: „Ein Kraftort ist ein Ort, an dem ich mich getragen fühle, an dem ich mich wohl fühle und der mir Energie gibt.“ Sie glaubt, dass dieser Garten für den alten Mann genau das ist – sein persönlicher Kraftort, der ihm immer wieder neue Energie geschenkt hat. Gärtnern mit Gott, hat er es genannt. So zeigt er uns, wie wichtig es ist, in schwierigen Zeiten an seinem persönlichen Kraftort festzuhalten und sich von ihm tragen zu lassen.
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Den ganzen Text zum Nachlesen:
Die hohen kahlen Bäume vor seinem Fenster scheint der alte Knabe gar nicht wahrzunehmen, auch wenn sein Blick immer wieder nach draußen schweift. Vor mir sitzt er in seinem Bett im Hospizzimmer. Er sitzt aufrecht und schaut nach draußen. 96 Jahre alt ist er und er erzählt mir von der Fülle seines Lebens – von den Tiefen, aber auch und ganz besonders von seinem Garten. Von seinem kleinen Bauerngarten mitten im „Vädel“ mit den drei Meter hohen Buschbäumen, mit den Feuerbohnen in leuchtendem Rot und Grün. Mit dem Lavendel, aber auch mit dem Fenchel. Und je mehr er erzählt, desto mehr merke ich, dass auch mein Blick in diesen Garten schweift, in diesen kleinen Bauerngarten und ich rieche förmlich die Pflanzen vor mir, die sonnenreifen Tomaten und die Tagetes, die blühend-gelb überall sind. Er nimmt mich mit in diesen Garten, in dem er so viel Zeit verbracht hat. „Gärtnern mit Gott“ hat er es genannt. Am Ende des Gesprächs verabschiede ich mich. Ich stelle mich vor ihn und darf ihn segnen. Für mich immer ein besonderer Moment. Und wenn ich ihm die Hände auflege, dann spüre ich unter meinen Händen nicht nur die Falten, die das Leben gezeichnet hat. Eine kleine Narbe ist da auch, die ich unter meinen Fingerspitzen fühle. Jetzt ganz besonders merke ich aber diese Ruhe, ja vielleicht auch Dankbarkeit, die von diesem Menschen ausgeht. Und ich merke, dass dieser Kraftort, dieser Garten mit ihm etwas gemacht hat. Er ist ihm ein Ort, an dem er auch da dann hinreisen kann, als sein Leben eng und schmal geworden ist, als er in diesem Hospizzimmer ist. Auch da ist er eben Kraftort, Zufluchtsort. Ich verabschiede mich von ihm und nehme selbst etwas mit an dem Tag: Den Wunsch in mir, auch meinen Kraftort zu finden und ihn zu pflegen, wie der alte Knabe sein Bauerngarten.
Foto(s): Thorsten Levin