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Evangelische Kirchengemeinde Köln-Riehl verabschiedete sich von der Kreuzkapelle

Die ehemalige Küsterin Erna Junge dachte daran, wie der Altar jahrelang für Gottesdienste vom erhöhten Teil der Kreuzkapelle die drei Stufen hinab auf das Niveau der Gemeinde getragen werden musste: „Das war ganz schön anstrengend.“ Roswitha Soergel, die in der Riehler Gemeinde aufgewachsen ist, berichtete, wie der frühere Pfarrer und Superintendent Hans Encke seine Predigten den jüngeren Gemeindegliedern stets „kindgerecht“ erläutert hatte – und wie berührt sie später war, als sie von dessen Engagement für die Bekennende Kirche erfuhr. Der ehemalige Gemeindeamtsleiter Frank Schröer erzählte, wie engagierte Gemeindeglieder hier ab 1997 das Café Kreuzkapelle zu einem beliebten Begegnungsraum machten.

Die Stimmen von Mitarbeitern und Gemeindegliedern waren ein besonders bewegender Teil des Gottesdienstes, mit dem sich die Riehler Gemeinde am Sonntag von ihrer Kreuzkapelle in der Stammheimer Straße verabschiedete. Das Gotteshaus war voll, zahlreiche Gemeindeglieder, die hier getauft und konfirmiert wurden, die hier geheiratet hatten oder sich in Trauergottesdiensten von Angehörigen und Freunden verabschiedet hatten, wollten in der Kapelle ein letztes Mal zusammen das Abendmahl feiern. Doch gleichzeitig war den Anwesenden bewusst, dass sie Zeugen eines „historischen Ereignisses“ waren, „das einmalig in der Bundesrepublik sein dürfte“, wie es Bürgermeister Dr. Ralf Heinen in seinem Grußwort auf dem Empfang im Anschluss an die Feier bezeichnete.

Ein Abschied und ein Neuanfang
Außer Heinen nahmen auch hohe kirchliche Vertreter an der Feier teil, denn die Kreuzkapelle wurde entwidmet, um schon in naher Zukunft Synagoge der liberalen jüdischen Gemeinde Kölns, Gescher LaMassoret, zu werden. Ein Abschluss also, der zugleich ein Neuanfang unter veränderten Vorzeichen ist. Uwe Rescheleit, Pfarrer der Riehler Gemeinde, gedachte in seinem Rückblick auf die Geschichte der 1911 errichteten Kapelle jener „dramatischen und tragischen Jahre“ der Nazi-Diktatur, als etwa wegen der Beschäftigung des Kirchenmusikers Julio Goslar, eines Gemeindeglieds jüdischer Abstammung, ein regelrechter Kirchenkampf zwischen den Deutschen Christen als Anhängern des Regimes und ihren Gegnern von der Bekennenden Kirche ausbrach. Den hatten letztere gewonnen, doch auch wenn hier ab 1940 eine Hilfsstelle für Christen eingerichtet wurde, die wie Goslar aus rassistischen Gründen verfolgt wurden, so fanden hier nur wenige Jahre später doch auch jene unsäglichen „Schlussgottesdienste“ statt, mit denen getaufte Juden in die Vernichtungslager verabschiedet wurden.

Aufarbeitung des dunklen Kapitels
Doch nachdem dieses dunkle Kapitel in den 90er Jahren aufgearbeitet wurde, eröffnete sich, so Rescheleit, ein „neuer Weg voller Hoffnung“, als die noch junge liberale jüdische Gemeinde Kölns 2001 – die Stephanuskirche in der Brehmstraße war bereits seit 1965 das Zentrum der evangelischen Gemeindelebens – im Souterrain Räume bezog, um dort ihre Gottesdienste zu feiern. „Geschwisterliche Beziehungen“ zwischen Christen und Juden hätten sich im Haus entwickelt, sodass der letzte Schritt, die Übernahme des historisch belasteten Gebäudes, denkbar wurde. Dass es nun soweit ist, begrüßte Manfred Rekowski, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, in seiner Predigt beim Entwidmungsgottesdient mit freudigen Worten: „Was für ein Geschenk, was für ein Geschenk an uns als christliche Gemeinde! Was für ein Wunder für uns, nach all der Schuld, die wir als Kirche gegenüber Jüdinnen und Juden auf uns geladen haben!“

Presbyterin Renate Heidenbluth, Stadtsuperintendent Rolf Domning, Präses Manfred Rekowski  und Pfarrer Uwe Rescheleit tragen das Kreuz und die Bibel nach der Entwidmung aus der Kreuzkapelle zur Stephanuskirche.

„Konsequentes Eintreten gegen Antisemitismus“
Rekowski hob hervor, dass die ehemalige Kapelle „ein Gotteshaus bleiben“ werde: „Gottes Dienst an den Menschen wird auch weiter hier gefeiert werden.“ Denn Juden und Christen seien durch gemeinsame Wurzeln verbunden, wobei die Juden dem Ursprung näher seien: „Durch Jesus Christus sind wir mit zum Gott Israels Hinzugerufene.“ Die künftige Nutzung als Synagoge sei ein wichtiger Schritt im Prozess der „Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden“, sagte der Präses, und den Christen komme darin die Rolle der Zuhörenden, Lernenden, ja – unter Bezugnahme auf die „Fußwaschung“ der Jünger aus dem Johannes-Evangelium, die fester Bestandteil der Gründonnerstagsgottesdienste der Gemeinde ist – auch der Dienenden zu. Dieses „Dienen“ könne sich heute in „sehr konkreter, gelebter Solidarität“ und im „konsequenten Eintreten gegen Antisemitismus“ äußern.

„Zentrum jüdischen Lebens im Rheinland“
Rolf Domning, Stadtsuperintendent des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region, nahm nach dem Abendmahl die feierliche Entwidmung „gemäß dem Entwidmungsbeschluss des Presbyteriums der Evangelischen Kirchengemeinde Köln-Riehl vom 19. August 2015 vor“ und stellte die Kreuzkapelle „außer Dienst“. Bevor er symbolisch die beiden Kerzen auf dem Altar ausblies, betonte Domning, der auch Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Köln-Mitte ist: „Wir freuen uns zugleich, dass an diesem Ort weiterhin gebetet, gelernt und ein Dialog der Religionen gepflegt werden wird.“ Zusammen mit dem Jüdischen Landesverband Nordrhein-Westfalen und der liberalen jüdischen Gemeinde in Köln freuten sich die Kölner Protestanten auf das geplante „Zentrum jüdischen Lebens im Rheinland“.

Blumen von der jüdischen Gemeinde
Nach dem Ende der Feier verteilten Kinder und Erwachsene der jüdischen Gemeinde in dem ehemaligen Kirchenraum Blumen an die Gemeindeglieder und sangen zum Klang einer Klarinette jüdische Lieder, in die zahlreiche Anwesende gern einstimmten. Eine Geste, die mit viel Applaus bedacht wurde. Danach nahm Pfarrer Rescheleit das große Holzkreuz von der Wand hinter dem Altar ab und trug es, gefolgt von einer kleinen Prozession, durch die Riehler Straßen und einen Teil der Flora bis zur Stephanuskirche.

Die Vorsitzende der Union Progressiver Juden in Deutschland, Sonja Guentner, sprach ein Grußwort auf dem Empfang.

Liberale Traditionen können wachsen
Auf dem dortigen Empfang ergriff Sonja Guentner das Wort. Sie war lange Vorsitzende von Gescher LaMassoret und ist heute Vorsitzende der Union Progressiver Juden in Deutschland sowie Vorstandsmitglied der World Union for Progressive Judaism. Guentner erinnerte daran, dass das liberale Judentum in Deutschland eine lange Tradition hatte, die nach 1933 ausgelöscht wurde. Und sie bedankte sich dafür, dass die evangelische Gemeinde aus einem Geist der Offenheit und des Pluralismus das Haus in der Stammheimer Straße angeboten hatte: „Dort können diese liberalen Traditionen wieder wachsen.“

Im engen Dialog bleiben
Christliche und jüdische Gemeinde, so Sonja Guentner sollten auch weiterhin in engem Dialog bleiben. Für Stadtsuperintendent Domning verbindet sich mit dem Gelingen des gemeinsamen Projekts auch die Hoffnung auf ein „Stückweit Versöhnung“ in diesem schuldbelasteten Verhältnis. Er bedankte sich bei allen, die an der nicht immer leichten Aufgabe beteiligt waren. Beispielsweise bei Pfarrerin Ulrike Gebhardt, Synodalbeauftragte für das christlich-jüdische Gespräch im Kirchenkreis Köln-Mitte. Sie nutzte gleich die gute Gelegenheit: „Die jüdische Gemeinde freut sich immer über eine finanzielle Unterstützung. Also, wenn sich einer der anwesenden Politiker berufen fühlt …“

Text: Hans-Willi Hermans
Foto(s): Hans-Willi Hermans