Eines der Themen der 8. Europäischen Asylrechtstagung (4. bis 8. September in Sarajevo) war das deutsche Zuwanderungsgesetz . Wie bewerten Sie – acht Monate nach seiner Einführung – das neue Gesetz?
Gutheil: Auf der einen Seite hat es eine genügende Zahl von Fortschritten gebracht – bezüglich geschlechtsspezifischer und nichtstaatlicher Verfolgung.
Und die andere Seite?
Ein ganz wesentlicher Aspekt ist bisher ungeklärt, nämlich die Situation von mehr als 200.000 so genannten Geduldeten. Die Kirchen hatten im Vorfeld darauf hingewiesen, durch eine Altfallregelung eine für diese Menschen vernünftige Lösung zu erreichen. Man muss wissen, dass eine große Zahl der Geduldeten seit fünf und bis zu zehn Jahren hier leben, ihre Kinder die Schulsysteme durchlaufen, die Menschen arbeiten und damit den Nachweis der Integration erfüllt haben. Nun machen wir die Erfahrung, dass Geduldete, die in einem Arbeitsverhältnis stehen, keine Verlängerung der Duldung bekommen bzw. ihnen die Arbeitserlaubnis entzogen wird. Das hat zur Folge, dass sie in die Sozialsysteme gedrängt und damit über kurz oder lang ausreisepflichtig gemacht werden. Der Präses hat das in seinem Schreiben an die Gemeinden zur Interkulturellen Woche als Schande für Deutschland bezeichnet.
Wie beurteilen Sie die Regelungen zur Integration?
Gutheil: Die verpflichtende Teilnahme an so genannten Integrationskursen, insbesondere die Sprachvermittlung, richtet sich an Neuzugewanderte. Die so genannten Bestandsausländer können an Sprachkursen nur teilnehmen, wenn Plätze frei bleiben. Dahinter verbirgt sich die Forderung der Kirchen, auch die nachholende Integration voranzutreiben. Denn viele Zugewanderte leben zwar mit uns, aber sie sind sprachlich, politisch, sozial und kulturell noch nicht bei uns angekommen.
Nordrhein-Westfalen hat eine neue Landesregierung. Flüchtlingsräte und kirchliche Vertreter haben öffentlich Alarm geschlagen wegen Nacht- und Nebelabschiebungen. Teilen Sie die Kritik?
Gutheil: Der Begriff stört mich, weil er aus einer Zeit stammt, die mit der heutigen nicht in Verbindung gebracht werden kann. Zumindest kann man aber gegenwärtig feststellen, dass die Abschiebungspraxis eine neue Qualität erlebt. Es ist sicherlich notwendig, jeden einzelnen Fall genauer zu recherchieren. Abschiebungen, bei denen Familien getrennt, nachgewiesenermaßen Kranke unter ärztlicher Begleitung oder als so genannte Liegendabschiebungen außer Landes gebracht werden, widersprechen der bisher in NRW gültigen Kultur im Umgang mit Asylsuchenden und Flüchtlingen. Es ist jetzt noch zu früh zu bewerten, welche Ausländer-, Asyl- und Flüchtlingspolitik zukünftig in NRW Platz greifen wird. Wir haben aber in NRW einen guten Ruf zu verlieren und es wäre besonders bedauerlich, wenn ausgerechnet ein Innenminister der FDP, einer Partei, die für Rechtsstaatlichkeit eintritt, eine verschärfte Ausländer- und Asylpolitik einführen würde. Die Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände suchen das Gespräch mit der neuen Landesregierung. Bisher ist dies noch nicht gelungen.
Kritisiert wird auch der Fall einer Frau, deren Verfahren bei der Härtefallkommission(HFK) noch anhängig war. Was sagen Sie als Mitglied der HFK dazu?
Gutheil: Unverändert gilt, dass Ausländerbehörden in NRW von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen absehen, wenn die HFK rechtzeitig angerufen wurde. Es wäre bedauerlich, wenn sich die Beispiele häuften, bei denen Ausländerbehörden Fakten schaffen, bevor die HFK beraten und entschieden hat. Gegenwärtig lässt sich allerdings nicht sagen, dass die Ausländerbehörden von ihrer bisherigen Policy Abstand nehmen. Einzelfälle sollten deshalb nicht generalisiert werden.
Tipp
Weiteres Material zu den angesprochenen Themen: Im EKiR-„Newsletter Integration“, der Ausgabe von Juni 2005 – Nachrichten über Projekte zur „Integration mit aufrechtem Gang“ in der Evangelischen Kirche im Rheinland.
Foto(s): Evangelische Kirche im Rheinland