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Europa, praktisch gelebt: Neues Angebot für Kinder- und Jugendgruppen

Zwischen 22 und 59 Jahren waren sie alt, die 16 ehrenamtlichen und hauptberuflichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der evangelischen Jugend in Köln und Umgebung, die Anfang Juni gemeinsam nach Polen – genauer gesagt nach Kreisau und Umgebung – reisten. Und alle waren bei ihrer Rückkehr vollständig begeistert: „Eine wunderschöne Anlage, alles sehr gepflegt. Aufgeschlossene, sehr nette Bildungsreferenten: eine Polin, die sehr gut deutsch spricht, und ein Deutscher, der sehr gut polnisch spricht. Wir hatten zwar auch eine Dolmetscherin dabei, aber die musste uns nur bei kleinen, alltäglichen Dingen helfen – beim Einkaufen zum Beispiel“, erzählt Ruth Klevinghaus, Referentin für interkulturelle ökumenische Arbeit im evangelischen Jugendpfarramt Köln und Umgebung. Die Reise war in Kooperation mit der Melanchthon-Akademie geplant worden, die Idee entstand im Zusammenhang mit den Gedenkfeiern zum 100. Geburtstag Freya von Moltkes.



Hintergrund: Visionen von Europa
Freya Deichmann wurde 1911 in Köln geboren, in der evangelischen Antoniterkirche getauft, heiratete mit 19 Jahren Helmuth James Graf von Moltke und beaufsichtigte ab 1935 zunächst nur die Bewirtschaftung des Familienguts ihres Mannes im niederschlesischen Kreisau, heute: Krzyzowa in Polen. Dort entwickelte sich in der Zeit der Diktatur der Nationalsozialisten der „Kreisauer Kreis“, der sich zwischen 1942 und 1943 traf: Diese Menschen – unter ihnen bekennende Christen ebenso wie Arbeiterführer, Reformpädagogen, Staats- oder Volkswirtschaftler – hatten ein gemeinsames Ziel: Die Abschaffung jeder Art von militantem Nationalismus. Folgt man dem Kirchenhistoriker und evangelischen Theologen Professor Dr. Günter Brakelmann, liegt genau hier der Ursprungsgedanke einer Neu-Definition von Europa. Er beschrieb die Position der Mitglieder des Kreisauer Kreises so: „Sie sagten: Die politische Rettung kann nur die Aufhebung der Souveränität der einzelnen Staaten sein. Das ist der Europa-Gedanke.“ Man habe die Bildung eines Europa, das nicht nach politischen, nationalen Grenzen, sondern nur nach Verwaltungsgrenzen zu gliedern sei, angestrebt, einen dezentralisierten Staat, der sich von unten her aufbauen solle, eine europäische Bürgerschaft, ein europäisches Recht. Die Gruppe strebte einen Putsch gegen Hitler an, 1945 werden er und weitere Mitglieder des Kreisauer Kreises wegen – nicht nachweisbarem – Hochverrat angeklagt und hingerichtet. Seine Wittwe hält die Erinnerungen an die Mitglieder des Kreisauer Kreises aufrecht, die Begegnungsstätte wird auch in schwierigen polititschen Zeiten – nicht zuletzt durch Freya von Moltke – im öffentlichen Bewußtsein gehalten und immer mehr zum Treffpunkt für den ost- und westeuropäischen Austausch. Im November 1989 etwa trafen sich dort der polnische Ministerpräsident Tadeusz Mazowiecki und Bundeskanzler Helmut Kohl zu einer Versöhnungsmesse. Heute wendet sich die Begegnungsstätte in Kreisau vor allem an Jugendliche, um ihnen Werte wie Völkerverständigung, Zivilcourage und Menschrechte zu vermitteln. Ihr exakter Name lautet: Internationale Jugendbegegnungsstätte „Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung„.

Ruth Klevinghaus und die Kreisauer Begegnungsstätte erledigen für Interessenten fast alles….
Anfang Juni also erkundeten die Reisenden aus Köln und Umgebung nun die Möglichkeiten der internationale Jugendbildungsstätte, die sich auf dem Gelände des ehemaligen Guts der Familie von Moltke befindet, auch eine kleine Gedenkstätte ist dort heute untergebracht. Aber es geht in Kreisau nicht nur um Geschichte, sondern vielmehr um die gemeinsame Zukunft in Europa. In internationalen Jugendbegegnungen, vor allem in Begegnungen zwischen Jugendlichen aus Ost- und aus Westeuropa werden die Gedanken des Kreisauer Kreises lebendig. Die Begegnungsstätte bietet allen Gruppen hervorragende Möglichkeiten – für bis zu 180 Personen gleichzeitig. Rund um eine große Wiese, die auch zum Spielen benutzt wird, gruppieren sich die alten Ställe, Nebengebäude, Remisen und das sogenannte Schloß, das Hauptgebäude. Alles wurde für die neue Nutzung sinnvoll umgebaut und wirkte nicht nur auf die Kölner Besuchsgruppe äußerst einladend. Das Angebot für die Jugendlichen ist vielfältig: Künstlerische, sportliche oder musikalische Aktivitäten erleichtern das Zusammenkommen auch für jüngere Jugendliche, ermöglichen jede Menge gemeinsamer Unternehmungen, ganz ohne Sprachprobleme. Für die eher inhaltliche Arbeit stehen engagierte, zweisprachige BildungsreferentInnen zur Verfügung, so dass sehr unterschiedlich gestaltete Programme realisierbar sind. „Als wir da waren, gab es gerade zwei Kinderbegegnung: Rund 100 Kinder waren da auf dem Gelände unterwegs, aber man sah sich kaum – wenn man nicht wollte“, immer noch ganz begeistert von der Größe der Anlage. Sie ergänzt, dass solche Begegnungsgruppen sich in aller Regel mindestens aus deutschen und polnischen Kindern und Jugendlichen zusammensetzen sollten, gern aber auch noch eine dritte Nation zur Begegnung einladen können.
Auf der Suche nach der richtigen Begegnungsgruppe beispielsweise deutscher Gäste helfen die Referenten der Begegnungsstätte immer gern und haben dabei immer auch im Auge, wer zu wem passen könnte. Etwa dem Alter nach oder im Rahmen schon bestehender Städtepartnerschaften. Selbst um die oft mühsamen Anträge auf Förderung müssen sich die Gäste nicht kümmern: Auch das erledigt die Kreisauer Begegnungsstätte, denn im deutsch-polnischen Jugendwerk gibt es einen eigenen Etat für die Förderung dieser Gruppen. Das hat nicht nur Ruth Klevinghaus begeistert: „Ein Luxus, den ich sonst nirgendwo erlebt habe“, sagt sie – und sie hat schon sehr viele Jugendbegegnungen organisiert. Was sie auch gern weiterhin tun wird: Wer also Interesse an einer Begegnung von Kindern oder Jugendlichen mit polnischen Altersgenossen und vielleicht zusätzlich noch aus einer anderen Nation hat, wendet sich am besten an Klevinghaus.

Auch das ein eindrückliches Erlebnis für die Gäste aus Köln und Region: Die berührend schlichte Symbolik der Gedenkstätte im ehemaligen Eßzimmer der Familie Moltke.

Was die Kölner „Pilot-Besuchsgruppe“ entdeckt und entwickelt hat
Die Kölner Gruppe bestand aus Mitglieder aller vier Kirchenkreise des Evangelischen Kirchenverbands Köln und Region. Ausdrücklich lobte Klevinghaus die „wunderbare Zusammenarbeit“ mit der Melanchthon-Akademie, die für diesen „Pilotbesuch“ des Verbands einiges organisiert hatte, und von der – über den großen Schwerpunkt im Jahr 2011 zu Freya von Moltkes 100. Geburtstag – auch der Anstoß zu dieser neuen Option der Kinder- und Jugendarbeit kam, die sich aller Voraussicht nach in den nächsten Jahren noch als äußerst fruchtbar erweisen wird.
Die Kölner Gruppe unternahm natürlich auch Erkundungen in der Umgebung der Begegnungsstätte, etwa mit ihrem Besuch der Gedenkstätte des KZ Groß-Rosen, eines Lagers für Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter, die unter unmenschlichen Bedingungen im Granitsteinbruch der SS arbeiteten. Zu den Highlights der Gäste aus Köln und Umgebung gehörten die Gespräche mit den „ausgesprochen wissbegierigen und auskunftsfreudigen SchülerInnen des örtlichen Lyceums“, wie Klevinghaus erzählt und der Besuch in der sogenannten Friedenskirche in Schweidnitz, einer Fachwerkkirche ohne Turm und Glocken, aber mit Platz für 7000 Menschen. All das waren wunderbare „Anknüpfungspunkte für Programme mit älteren und jüngeren, deutsch-polnischen oder internationalen Gruppen“, bilanziert Klevinghaus. So war es auch kein Wunder, dass schon am ersten Tag Ideen für weitere eigene Programme entstanden, die sich im Lauf des Besuchs verfeinerten und nach den Sommerferien weiterentwickelt werden sollen:



  • Eine generationsübergreifende Begegnung – beispielsweise von Enkeln und Großeltern, die zum gleichen Thema arbeiten – geplant bisher für den Kirchenkreis Köln-Nord

  • Jugendbegegnungen im Winter, vermutlich um die Zeit der Halbjahrszeugnisse

  • Jugendbegegnung in den Herbstferien

  • Erst gemeinsames Begegnungs-Programm in Kreisau, dann Besuch der polnischen Jugendgruppe in Deutschland

  • Ein mehrteiliges Bildungsprogramm für ältere Jugendliche.

Das sind nur einige der Ideen, die die „Pilot-Besuchsgruppe“ entwickelt hat – Gemeinde- und andere Gruppen können sich jederzeit eigene Programmpunkte ausdenken, und sie dann am besten mit Ruth Klevinghaus absprechen

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Text: AL/jupf
Foto(s): jupf