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Erstmals in der Trinitatiskirche ausgestellt: Skulptur von Louise Bourgeois

Noch bis 24. Februar ist in der evangelischen Trinitatiskirche (Filzengraben 5) eine noch nie gezeigte Skulptur der weltweit bekannten Künstlerin Louise Bourgeois zu sehen. Zu verdanken hat der Evangelische Stadtkirchenverband Köln diesen seltenen Glücksfall dem Renommee seines Kunstbeauftragten Erich Witschke. Dass der dabei mit der Kölner Galerie Karsten Greve zusammengearbeitet hat, zeigt deutlich die Wertschätzung, die Witschkes Arbeit in Fachkreisen geniesst: Die bekannte Galerie hatte sich direkt an ihn gewandt mit der Anfrage, ob er Bourgeois‘ Skulptur ausstellen wolle. Natürlich wollte er. Und schätzungsweise 300 Menschen waren am Tag der Eröffnung neugierig auf Skulptur und Zeichnungen von Louise Bourgeois. Natürlich liegt scheint es nahe zu liegen, diese Skulptur ausgerechnet in einer Kirche auszustellen, hat sie doch scheinbar die Form eines Kreuzes. Ob das so sein kann oder nicht – und viele Hintergründe beleuchtete Wischke in seiner Eröffnungsansprache.

Hier im vollen Wortlaut:
Meine Damen und Herren, eigentlich hatte ich mir vorgenommen, niemals ein von einem Künstler oder einer Künstlerin gestaltetes Kreuz hier in der Kirche auszustellen. Kaum ein Symbol ist  heute künstlerisch derart verkommen wie das Kreuz, vor allem mit Corpus.  Schuld an dieser Misere trägt die sogenannte christliche Kunst und ihre dritt- und  viertklassigen Vertreter und Vertreterinnen, die sich dem Geschmack kirchlicher Auftragsgeber nur allzu gerne anbiedern. Dann aber sah ich das Kreuz von Louise Bourgeois, und ich revidierte meinen Vorsatz. Denn der erste Anblick vermittelte mir sofort:  Dieses Kreuz hat nichts, aber gar nichts mit dem Kreuz als christliches Heilssymbol zutun. Im Gegenteil! Und doch zeigt dieses Kreuz die Möglichkeit auf, wie das Kreuz-Motiv inhaltlich – und zwar ästhetisch  und theologisch –  auch gegenwärtig noch bedeutungsvoll sein kann.
Diese Behauptung bedarf einer Erklärung. Und zwar aus zwei Gründen.
1.  verweist die Begründung auf das Konzept der von mir hier in der Trinitatiskirche und Antoniterkirche verantworteten Ausstellungen: Kunst in der Kirche hat nicht christliche Lehre zu illustrieren.
2. wäre es einfach unredlich, den Zugang zum Werk von Louise Bourgeois mittels christlicher Ikonografie zu vermitteln. Schließlich waren die Mamelles, die Brüste und eine große Spinne von Louise Bourgeois hier in der Kirche zu Gast, und diese bekannten und für sie typischeren Arbeiten haben nun wirklich nichts mit christlichen Heilvorstellungen zu tun.

Leben und Kunst  sind bei Louise Bourgeois unentflechtbar ineinander verwoben. Es scheint daher unvermeidbar einiges zum Leben und Werk der Künstlerin zu sagen,  damit dieses Kreuz lesbar und vor einer zu schnellen christlichen Rezeption geschützt wird.

Louise Bourgeois wurde am 25. Dezember 1911 in Paris als zweite Tochter –  ihr folgte der lang ersehnte Sohn – in eine bürgerlich- areligiöse, spannungsreiche Familie hineingeboren. Ihre  Mutter leitete eine große Restaurantionswerkstatt für Tapisserien. Da die kleine Louise zeichnerisch begabt war, zeichnete sie – gerade achtjährig – die fehlenden Motive nach, damit diese im weitern Arbeitsprozess wieder ergänzt werden konnten. Nach dem Tod der Mutter 1932 studierte sie zuerst  Mathematik an der Sorbonne, wandte sich dann dem Kunstleben an den freien Akademien zu; ihren Unterhalt verdiente sie sich als Führerin im Louvre. 1938 heiratete sie den  fast gleichaltrigen amerikanischen Kunsthistoriker Robert Goldwater, dem sie nach Amerika folgte. Das Paar lebt von dann an in New York, hat drei Söhne, kein besonders hohes Einkommen und engen Kontakt mit der dortigen Kunstszene. Louise Bourgeois zieht die Söhne groß, malt, zeichnet, macht Druckgrafik, stellt aus und schreibt, aber nicht für die Öffentlichkeit. Sie ist eine begnadete Schreiberin. Ab 1947 beginnt sie, skulptural zu arbeiten. Bis 1953 entstehen stelenhafte, schmale, mannshohe  größtenteils hölzerne „Personnages“, die direkt,  sockellos auf den Boden platziert werden.  Um 1964 ändern sich Form und Material, Gips, Latex, Harze werden genutzt, das Vertikal-Hagere der Skulpturen tritt zurück. Die neuen Plastiken geben sich bauchiger, runder, knolliger, verschlingen  sich als Schalen, Hüllen, Spiralen und betonen eher die Horizontale. Nach dem Tod ihres Mannes 1973 beginnt sie mit größeren Installationen, hinzu kommen die klassischen Materialien Bronze und Marmor. Die  Themen werden lauter, agressiver. 
In der feministischen Bewegung dieser Zeit, der sie nahe steht,  erkennt sie einige ihrer künstlerisch bearbeiteten Themen wieder. 1982 ( 71-jährig)  erhält sie ihre erste große Ausstellung und Retrospektive im Museum of Modern Art in New York. Jetzt beginnt sie auch öffentlich über ihre biografische und damit über die zutiefst  existentielle Verankerung ihrer Kunst zu reden. Eine äußerst fruchtbare Arbeitsphase beginnt, in der sie sich international durchsetzt als die vielleicht wichtigste Künstlerin unserer Zeit. Das Zentrum dieser Werkphase bilden die Cells, eben Zellen, Räume, Kammern, Käfige, rätselhaft aufgefüllt mit Fundstücken, Erinnerungsobjekten, Werkzeugen, Möbeln und den wunderbar in Marmor und Bronze gearbeiteten Körper- und Gliederfragmenten, darunter immer wieder Hände.
Und nun gibt es hier diese Kreuz-Skulptur aus dem Jahr 2002, erstmals hier in der Trinitatiskirche öffentlich  ausgestellt.  Sie ist 1,85 Meter hoch, sockellos, aus Bronze mit einer Patina aus Silbernitrat und von gewagter formaler Gestaltung: Eine scharfkantige, flache, vertikal hoch aufgerichtete Vierkantschiene, mittig in einer Bodenplatte gleichen Materials befestigt. In der Horizontalen – entsprechend der Massharmonie des lateinischen Kreuztyps – je zwei anatomisch exakte, doch in der Drehung um 160 Grad versetzt, bruchlos  aneinander gefügte  Unterarme. Die nach vorne und nach hinten gewendeten Hände lassen die Arme wie Propeller erscheinen, die um eine Achse kreisen, so dass eine spiralförmige Bewegung suggeriert wird.
Christliche Kreuz-Ikonografie verlangt eigentlich  eine ganz andere Stellung der Hände und zwar offene, einladende, aufnehmende Hände; denn mit dem umarmenden Gestus nimmt der gekreuzigte, göttliche Erlöser die sündigen Menschen mit hinauf auf sein Kreuz. Die jeweils dem Betrachter zugewandten  und abweisenden Hände – es sind die von Louise Bourgeois – kreisen dagegen hilflos, ja sinnlos verdreht  immer wieder um eine achsiale Mitte. Deutet sich das christliche Kreuz im vergangenen Mythos, so steckt das Kreuz von Bourgeois  tief im Existenzialismus der 40-iger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Existentialistisches, surrealistisches und psychoanalytisches Denken bestimmen weitgehend ihr Lebensgefühl. In einem Interview deutet die Künstlerin die Funktion der Hände in ihrem Werk so:“ Sie ( die Hand) sagt : Beruhige dich jetzt. Es ist nicht so schlimm. Es wird sich schon zum Guten wenden.“ (S. 163)
Welche Bedeutung der Kreuz-Skulptur im Werk von Louise Bourgeois zukommt,  wird darin offensichtlich, dass sie  typische Formelemente ihrer ersten Skulpturen mit einem zentralen Motiv ihrer letzten Werkphase zusammenbringt: Dieses Kreuz verbindet die „Personnages“ mit den „Cells“ und steht exemplarisch für ihr gesamtes skulpturales Werk.
Die drei als Triptychon gehängten Zeichnungen bilden keinen formalen Kontext mit der Skulptur. Sind alle 1994 entstanden und zeigen die für Louise Bourgeois typisch geometrisch-organischen Formen.  In  einer Sammlung von Statements bereits 1979 erklärt sie “ Es ist mir nicht vergönnt, Sicherheit in irgendeiner Religion zu finden“ ( Schriften und Interviews, S.122). In diesem Zusammenhang spricht sie auch von der Geometrie als einer „Welt der Ordnung“. “ Man ist (in der Geometrie) seinsmäßig sicher.“(S.123) Und sie sagt „Dreiecke haben auch etwas mit dem Verhältnis zwischen Männern und Frauen zu tun.“ (S.123). Die in den Zeichnungen enthaltenden Dreiecke stehen für „Konflikt “ und  Feindseligkeit“ und nicht wie in der christlichen Tradition  für göttliche Harmonie.
“ Meine Religion ist die Kunst“ (S.232), bekennt Louise Bourgeois,  und sie sagt: “ Meine Welt der Bildhauerei und meine Lebenswelt sind eins.“  (S.104) Nur bei wenigen lassen sich solche Aussagen  auch in den einzelnen Arbeiten ablesen.   Diese existentielle  Funktion der Kunst als eine Art Daseins-Strategie offenbart konsequent  das  Werk dieser großen, alten und  doch so zeitnah-sensiblen Künstlerin.

Alle Zitate aus: Louise Bourgeois, Destruction of the Father – Reconstruction of  the  Father, Schriften und Interviews 1923 -2000, Amann Verlag, Zürich, 2001

Die Ausstellung ist noch bis 24. Februar zu sehen: dienstags bis freitags 16 bis 18 Uhr, samstags 13 bis 15 Uhr, Trintaiskirche, Filzengraben 5 (Nähe Heumarkt/Hotel Maritim)

Text: Witschke/Vorspann Al-Mana
Foto(s): AL