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Erster protestantisch-politischer Frühschoppen in Volberg

450 Jahre Reformation in Volberg, Forsbach und Rösrath feiern die Protestantinnen und Protestanten in diesem Jahr im Bergischen. Zum umfangreichen Festprogramm gehören jede Menge Ausflüge in die Historie, theologische Impulse und musikalische Leckerbissen. Aber auch das politische Zeitgeschehen kommt nicht zu kurz. So lud die Gemeinde zum ersten „protestantisch-politischen Frühschoppen“ in den Volberger Gemeindesaal. Thema: Die Entwicklungspolitik am Beispiel der Partnerschaft mit dem Kirchenkreis Kalungu in der Demokratischen Republik Kongo.

Diskussion von Aktualität beeinflusst
Aktualität war durchaus gewünscht, dass es aber so aktuell werden würde, damit hatten die Veranstalter nicht gerechnet. Stefan Engstfeld, Landtagsabgeordneter der Grünen und dort entwicklungspolitischer Sprecher, hätte eigentlich auf dem Podium in Volberg sitzen sollen, befand sich stattdessen aber in Berlin, um dort als Mitglied der Bundesversammlung den Bundespräsidenten zu wählen. So diskutierte lediglich ein Trio über die Entwicklungspolitik und über Afrika, was dem Informationsgehalt und der Kurzweil im gut besuchten Gemeindesaal aber keinen Abbruch tat. Moderator Frank Wiebe, Ratsmitglied von Bündnis 90/Die Grünen, begrüßte Helena Gaida vom Partnerschaftsausschuss Kongo im Evangelischen Kirchenkreis Köln-Rechtsrheinisch und Pfarrer Hans-Jürgen Gärtner von den Gemeindediensten für Mission und Ökumene (GMÖ). „Eine Art moderner Wanderapostel“, beschrieb Gärtner selbst schmunzelnd seine Tätigkeit, bei der er Partnerschaften in mehreren Kirchenverbänden betreut. Als Pfarrer zur Anstellung war er früher sogar in der Volberger Gemeinde tätig.

Kongo-Partnerschaft seit mehr als 20 Jahren
Der schwarze Kontinent – ein schwarzes Loch? Trotz zahlreicher Nachrichten ist Afrika für viele Menschen immer noch eine unbekannte Größe, und die Einschätzung der Lage und der Fortschritte, die dort (nicht) gemacht wurden, fällt sehr oft schwer. Helena Gaida schilderte zunächst den Beginn der Partnerschaft mit dem Baptistischen Kirchenkreis Kalungu im Kivu, Kongo. „Vor 22 Jahren gab es bereits Kontakte zu protestantischen Gemeinden in Taiwan und in Brasilien. Eine Partnerschaft in Afrika lag da nahe, und zu der Zeit suchte der Kirchenkreis Kalungu sehr intensiv einen Partner in Europa. Das war der Beginn der Zusammenarbeit und des Partnerschaftsausschusses“, berichtete Gaida. 17 baptistische Gemeinden gehören zu dem Kirchenkreis im Osten des Kongo. Im Ausschuss seien derzeit vor allem sieben Gemeinden aus dem Kirchenkreis aktiv. Der Kontakt verlaufe jedoch hauptsächlich über Briefe und E-Mails, „persönliche Kontakte sind Mangelware“, stellte Gaida fest. 2003 und 2011 waren Gäste aus dem Kongo zu Besuch im Kirchenkreis, dazwischen lag eine kurze Stippvisite der deutschen Partner in Afrika. Aufgrund der politischen Situation vor Ort mussten mehrere geplante Besuche abgesagt werden“, so Gaida. Im Herbst aber soll es wieder einen Besuch vor Ort geben. „Die Chancen stehen derzeit gut“, ergänzte Gaida.

Rohstoff-Erlöse für Waffenkauf
Das liegt vor allem daran, dass die Lage im Kongo nach vielen Jahren politischer Unruhen und Bürgerkrieg derzeit relativ sicher ist. Die jüngsten Präsidentschaftswahlen verliefen nach Einschätzung von Gaida und Gärtner zwar nicht frei und fair, hätten aber keine neuen Unruhen provoziert. Die Partnerschaft bestehe zum einen in der finanziellen und organisatorischen Hilfe bei konkreten Projekten – etwa dem Aufbau einer Krankenstation, die mittlerweile sehr erfolgreich in der Region arbeitet – und dem politischen Engagement. Ein großes Problem bestehe derzeit nämlich rund um das begehrte Erz Koltan. Daraus wird der wichtige Handy-Bestandteil Tantalum gewonnen. Koltan wird einerseits unter menschenunwürdigen Bedingungen und unter Einsatz von Kinderarbeit abgebaut, zum anderen versickern die Erlöse aus dem Verkauf des Rohstoffes in undurchsichtige Kanäle und werden sowohl vom Militär als auch von Rebellen zum Ankauf von Waffen verwendet.

Kirche übernimmt Aufgaben des Staats
An dieser Schnittstelle zwischen konkreter Partnerschaft im Kleinen und der Entwicklungspolitik im Großen betonte Pfarrer Gärtner, dass die Partnerschaften mit christlichem Hintergrund nicht als Einbahnstraße zu betrachten seien. „Es geht nicht nur darum, wie wir die Entwicklung in so genannten Dritte-Welt-Ländern voranbringen können. Auch wir haben sehr viel von solchen Partnerschaften. Es ist ein Riesenfeld für interkulturelles Lernen und bringt intensive Impulse auch für den eigenen Glauben.“ Und da die Partnerschaftsarbeit protestantischer Gemeinden aus theologisch-christlichen Beweggründen heraus geschehe, sei sie auch anders zu hinterfragen als die Entwicklungsarbeit der Regierung oder von Hilfsorganisationen. „Afrika ist gepflastert mit Projekten, die mit viel gutem Willen und Engagement gestartet, aber früher oder später in den Sand gesetzt worden sind.“ Dennoch seien es vor allem Projekte mit kirchlichem Hintergrund, die den größten Erfolg versprechen. „Anders als bei uns übernimmt Kirche in Afrika viele Funktionen, die der Staat dort nicht wahrnehmen kann oder will.“ Über das Spirituelle hinaus sichert die Kirche in vielen Regionen Afrikas die gesundheitliche Versorgung oder kümmert sich um Bildung.

Kreative Partner vor Ort
Und das angesichts politischer Unruhen, bewaffneter Konflikte, fehlender Gelder und mangelhafter Infrastruktur durchaus erfolgreich. „Ihre Partner im Kongo sind da sehr kreativ und haben auch die Nachhaltigkeit im Blick“, machte Gärtner den Anwesenden Mut, auch weiterhin auf die Partnerschaftsarbeit zu setzen. Den größten Erfolg sieht er dann, wenn die Menschen vor Ort für die von den Europäern unterstützten Projekte die „Ownership“ haben: die Kontrolle, die Verantwortung, dass es weitergeht, und letztlich auch den Benefit, ideell und finanziell. Hinweise auf Entwicklungspolitik „made in China“, die sich derzeit vor allem im Bau von Straßen manifestiert, begegnete er mit dem Hinweis auf die Nachhaltigkeit. „Noch sind die Straßen sehr neu. Schauen wir mal, wie die in 20 Jahren aussehen.“ Den Vorschlag, alle Akteure der Entwicklungspolitik an einen Tisch zu bekommen, um „große“ Fortschritte zu erzielen, sah er dagegen kritisch: „Dazu sind die Ansätze zu unterschiedlich. Die katholische Entwicklungsarbeit oder die der großen Hilfsorganisationen ist nicht mit unserer Partnerschaftsarbeit zu vergleichen. Die sind anders drauf. Klein und punktuell ist mir da lieber als alle unter einen Hut zu bekommen mit dem Ziel einer großen Lösung.“

Zweiter Frühschoppen im November
Afrika wurde zwar nicht neu entdeckt, und viele Fragen konnten angesichts der Komplexität auch gar nicht angesprochen werden. Dennoch nahmen die Zuhörerinnen und Zuhörer eine Reihe neuer Aspekte und Einblicke aus diesem Frühschoppen mit. Und das dürften schon die besten Startbedingungen für den zweiten Frühschoppen im Jubiläumsjahr sein. Der findet am Sonntag, 11. November, ab 11.30 Uhr statt. Dann im Gemeindesaal der Versöhnungskirche in Rösrath. Das Thema wird wieder kurzfristig und aktuell festgelegt. Weitere Informationen dazu gibt es auf der Internetseite www.evkirche-roesrath.de.

Text: Jörg Fleischer
Foto(s): Jörg Fleischer