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Eröffnung der Ausstellung »Was sehen Sie, Frau Lot?«: Eindrückliche Kunst gegen Gewalt an Frauen

Inmitten der Trinitatiskirche befindet sich ein ausladendes Gestell, an dem wohl geordnet und dicht an dicht zahllose rosarote Krawatten hängen. Auf dem Boden darunter liegen verstreut wenige Gerichtsurteile zu Sexualstrafverfahren, geschrieben auf ebenso rosarotem Papier. Renate Bühn hat ihre Installation mit „2000= 100= 15= 3=10= 2“ („Rosarote Wahrheit“) betitelt. Eine Gleichung, die auf den ersten Blick nicht aufgeht. Aber Bühn kann auflösen: „Von 2000 sexuellen Gewalt-Tätern sind nur 100 mit einer Anzeige bedroht = davon werden nur 15 in einem Gerichtsverfahren unter Anklage gestellt = 3 werden frei gesprochen = 10 erhalten eine Bewährungsstrafe = und nur 2 Täter müssen mit einer Haftstrafe rechnen“.

Handlungsspielraum für Täter wirksam beschneiden
„Rosarote Wahrheit“ ist Teil der stets für den jeweiligen Ort konzipierten Wanderausstellung „Was sehen Sie, Frau Lot?“. 2001 gestartet, vereint sie Werke der Künstlerinnen Renate Bühn, Maria Mathieu und Heike Pich zum Thema „Sexuelle Gewalt an Mädchen und Frauen“. Mit ihren Objekten und Installationen, Plastiken und Texten wollen sie einen Beitrag zu dem Auftrag leisten, den die Kunst ihres Erachtens hat: „Gesellschaftspolitisch Stellung zu beziehen und mit größter Genauigkeit und Ernsthaftigkeit sichtbar zu machen, was zu leicht und zu gerne übersehen wird: das Grauen und gleichzeitig die Normalität der Gewalt, den verankerten Täterschutz, die Verletzungen, aber auch den Überlebensmut und die Stärke der Betroffenen“. Die Künstlerinnen wollen in Kommunikation mit der Öffentlichkeit treten, die Sprachlosigkeit überwinden, Tabuisiertes und Verdrängtes benennen, auf den „Skandal des Schweigens der Gesellschaft“ hinweisen. Sie wollen erreichen, dass die missbrauchten, an Leib und Seele versehrten Frauen, Mädchen und auch Jungen so schnell wie möglich Hilfe erfahren; dass der Handlungsspielraum der Täter umgehend wirksam beschnitten wird.

„Gewalt gegen Mädchen und Frauen hat theologische Wurzeln“
Veranstaltet wird die Ausstellung in der Trinitatiskirche Köln vom Frauenreferat des Evangelischen Stadtkirchenverbandes Köln in Kooperation mit dem LOBBY FÜR MÄDCHEN – Mädchenhaus Köln e.V.. „Mitarbeitende des Mädchenhauses und auch ich haben die Ausstellung 2002 in Pulheim gesehen, waren sehr beeindruckt und wollten sie gerne nach Köln holen“, erläutert die Frauenreferentin Pastorin i.S. Christina Schlarp. Seitdem bestehe eine gute Zusammenarbeit mit dem autonomen, feministischen Frauenprojekt. „Das Frauenreferat ist Mitveranstalterin, weil es zu unseren Aufgabe gehört, frauenpolitisch zu arbeiten. In diesem Zusammenhang hat sich in den letzten Jahren eine Weiterarbeit an den Zielen der Dekaden des Ökumenischen Rates der Kirchen – von 1988-1998 ´Kirchen in Solidarität mit den Frauen´ und seit 2001 ´Gewalt überwinden´ – entwickelt“, verdeutlicht Schlarp. „Es ist wichtig, das Thema ´sexuelle Gewalt an Mädchen und Frauen´ auch im kirchlichen Rahmen aufzugreifen, denn Gewalt gegen Mädchen und Frauen hat theologische Wurzeln. Dies gilt es aufzudecken, bewusst zu machen.“ Dazu gehöre, dass man das Tabu breche. „Mit dieser Ausstellung wird das vorbildlich getan, wird das Thema an die Öffentlichkeit gebracht.“

Die Bedeutung dieses Themas innerhalb der kirchlichen Arbeit betonten anläßlich der Eröffnung auch der Superintendent des Kirchenkreises Köln-Mitte, Pfarrer Rolf Domning, sowie Petra Bosse-Huber, Vize-Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland. Die Pfarrerin fungiert gemeinsam mit Renate Augstein, Juristin und leitende Mitarbeiterin des Bundesmininsteriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, und Dr. Luise Reddemann, Fachärztin für psychotherapeutische Medizin und Psychoanalytikerin, als Schirmfrau der Präsentation in Köln. Bei der Vernissage rezitierte Schauspielerin Marianne Rogeé als Vertreterin der „Lindenstraße“-Fernsehproduktion, die seit zwei Jahren den LOBBY FÜR MÄDCHEN – Mädchenhaus für Köln e.V. unterstützt, Brauchbitten von Carola Moosbach.
Marianne Pitzen, Direktorin des FrauenMuseum Bonn führte in die ausgestellten Werke ein.

„Die Ausstellung berührt, wo Worte nicht erreichen“
Es sind ergreifende und beklemmende Arbeiten. Gewichtige und schwierige Werke, die trotz oder gerade aufgrund ihres bildkünstlerischen Charakters in einer eindeutigen Sprache zu uns sprechen. In einer Sprache von nachhaltiger Wirkung. „Die Ausstellung berührt, wo Worte nicht reichen und Worte nicht erreichen“, kommentiert Frauke Mahr vom Mädchenhaus.
Da hängt Renate Bühn in ihrer Installation „schlaf, Väterchen, schlaf“ von der hohen Kirchendecke ein überdimensionales, bedrohlich gezahntes Messer senkrecht herab. Assoziationen mit Hinrichtungswerkzeugen stellen sich ein, mit Urteilsvollstreckungen. Denn unmittelbar daneben ruht auf einen samtenen, schneeweißen Kissen – ein Herz. „Ich für mich benenne es ganz klar und das ist mir wichtig. Mein Name steht für einen Täter. Ich benenne mich als Betroffene, meinen Vater als Täter“, so die 1962 in Mannheim geborene Bühn. Natürlich sei der Impuls für die künstlerische Umsetzung des Themas auch ein Leidensdruck. „Ich suche jeweils nach dem für mich besten Medium und Material, diesem Ausdruck zu verleihen, zu materialisieren und Spaltungen aufzuheben“, sagt die studierte Sozialpädagogin und Kunsttherapeutin, die sich außerdem in der Selbsthilfebewegung gegen sexuelle Gewalt an Mädchen engagiert. Für Bühn drückt die biblische Figur der Frau Lot das aus, „was ich versuche, in meiner Kunst zu thematisieren, die Widersprüchlichkeiten, das Schweigen der Mitsehenden, der Mütter, Geschwister, Tanten, das soziale Umfeld der betroffenen Mädchen“. Frau Lot symbolisiere das Sehen, Nicht-Handeln, Nicht-Verhalten. „Sie dreht sich um, sieht, erstarrt zur Salzsäule und verfällt in Schweigen. Sie kann nicht mehr handeln.“

Eine andere Form von Sichtbar-Machen
Nicht weniger eindringlich wirken die Beiträge von Maria Mathieu. 1948 gebürtig in Saarlouis, war sie zunächst Kinderkrankenschwester und Geburtshelferin. Heute arbeitet sie als Schriftstellerin und bildende Künstlerin. Ihr „Wiegenlied“ hat so gar nichts sanft-beruhigendes, vielmehr schnürt das Objekt einem den Magen und das Herz zu. In einem hochgestellten, weißen Holzkasten, einer einfachen Sargkiste nicht unähnlich, liegt ein seidenes Betttuch. Auf diesem steht mit roten Buchstaben das Einschlaf-Lied „Guten abend, gute nacht“. Allerdings nimmt Mathieu in der Schlusszeile eine kleine, aber gravierende Änderung vor: „morgen früh, wenn er (!) will, wirst du wieder geweckt“. Das Kind ist dem (väterlichen) Sexualtäter ausgeliefert. Jederzeit. Das Leben der Opfer von sexueller Gewalt gerät aus den Fugen. Das scheinbar häusliche Idyll fällt in Schieflage, die innere wie äußere Welt zerbricht. Auch Mathieus Installation „Mein 10. Geburtstag“ setzt diese Traumatisierung in Szene. Vor einer schrägen Wand befinden sich ein ebenfalls schiefer Stuhl und Tisch, darauf eine angebrochene Tafel Schokolade. Auf dem Teppich stehen Pantoffel. Zu groß für eine Zehnjährige. Sie passen eher dem Vater, dem Onkel, dem Bruder… Das Verbrechens ist zu erahnen, ebenso die Folgen: Das Gefühl der Geborgenheit ist ausgelöscht.

Der Schutz ist zerbrochen
Verlorene Sicherheit, das Gefangensein in dieser schrecklichen Situation, behandelt überzeugend auch Heike Pich in ihrer Arbeit „o. T.“. Auf einen schwarzen Hintergrund hat sie eines ihrer Kinder-Fotos gehängt. Davor befindet sich eine gesprungene Scheibe aus Sicherheitsglas. Der Schutz ist zerbrochen. Trotzdem kann das Mädchen nicht nach außen. Und umgekehrt können auch wir das Opfer nicht oder nur schwer befreien. „Ich habe viel über sexuelle Gewalt an Mädchen und Frauen geredet, und jetzt will ich etwas anderes, eine andere Form von Sichtbar-Machen“, sagt die 1959 in Hannover geborene Sozialwissenschaftlerin und Kunsttherapeutin, die unter anderem in der Erwachsenenbildung und in einer Beratungsstelle für Opfer sexueller Gewalt tätig ist. Auf der Empore der Trinitatiskirche hat Pich einen kleinen Wald aus Metallstäben „gepflanzt“. Sie sind gespickt mit Presseartikeln zum Thema. In ihnen ist von vermissten Mädchen zu lesen, von Sexualmorden und Vergewaltigungen, von Diskussionen über den Umgang mit Triebtätern. „Lesen Sie Zeitung?“ ist diese Arbeit betitelt. Sie weist darauf hin, dass, wer mit offenen Augen und Ohren durch´s Leben geht, dieses Thema weder ignorieren kann noch darf.

Weitere Informationen
Geöffnet
ist die Ausstellung in der Trinitatiskirche, Köln, Filzengraben 6, bis 26. September täglich von 14 bis 19 Uhr, am 26. September von 14 bis 17 Uhr.

Das umfangreiche Rahmenprogramm auf den Seiten des Mädchenhauses hier.
Informationen über Konzeption und Stationen der Ausstellung hier.


Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich