Auf eine „Zeitreise“ begab sich Dr. Martin Bock, Leiter der Melanchthon-Akademie, als er am 26. August 2009 an das Wirken und theologische Anliegen von Pfarrer Dr. Walther Bienert, von 1961 bis 1974 Leiter der Einrichtung in Köln, erinnerte. Anlass für die Feierstunde, die die Melanchthon-Akademie gemeinsam mit der Evangelischen Kirchengemeinde Frechen veranstaltete, war der 100. Geburtstag des Seelsorgers, der am 26. August 1909 in Köln geboren wurde und am 22. März 1994 verstarb. Von 1950 bis 1961 war er als Gemeindepfarrer in Frechen tätig.
Auseinandersetzung mit dem sozialem Gedanken
„Die Generation der Theologen, die in den Jahren um 1909 geboren wurde, hatte es in sich“, sagte Bock in seiner Ansprache in der Evangelischen Kirche in Frechen. Es seien „Querdenker“ gewesen, die ein „unverkrampftes Verhältnis zu Christen anderer Konfessionen“ an den Tag gelegt hätten: „Auch Bienert hatte erste Erfahrungen mit Menschen anderen Glaubens gemacht.“ Die daraus hervorgegangenen Früchte seien erste Schritte in Richtung Ökumene gewesen, so der Akademie-Leiter. In seiner Rede stellte er Bienerts Wirken den Arbeiten des Theologen Helmut Gollwitzer gegenüber, der 1908 geboren wurde. Einige ihrer Gemeinsamkeiten: Beide engagierten sich in der Jugendbewegung, beide studierten in Bonn bei Professor Karl Barth. Während Gollwitzer das „Nachdenken über das Evangelium und seine Folgen“ in den Mittelpunkt stellte und sich politisch im Zeitgeschehen engagierte, sei Bienert kein „politischer Theologe“ gewesen. Er habe sich für die Geschichte des christlichen Glaubens interessiert. Neben seinen historischen Recherchen kam der Kölner während seines Studiums in Halle ab 1930 mit der Diakonie in Kontakt. „Damit begann bei ihm die Auseinandersetzung mit dem sozialen Gedanken“, erklärte Bock. Für ihn sei der Glaube ein praktisches Engagement im täglichen Leben gewesen. Darum habe er sich auch schon damals für benachteiligte Kinder und Jugendliche eingesetzt und ein soziales Netzwerk aufgebaut.
Wie kommt man vom christlichen Glauben zum Menschen?
Es war ebenfalls in Halle, als er mit Professor Ernst Barnikol zusammentraf – „eine schicksalhafte Begegnung“, wie Bock es ausdrückte. Denn dadurch kam Bienert erstmals mit den Frühsozialisten des 19. Jahrhunderts in Kontakt. Einer von ihnen war Moses Hess, der ebenfalls in Köln gelebt hatte. Mit diesem Theologen habe sich Bienert ein Leben lang beschäftigt und mit der Frage: Wie kommt man vom christlichen Glauben zum Menschen? Dieser Frage ging er auch später beharrlich nach, nachdem der Krieg lange beendet war. 1990 verfasste er ein Buch mit dem Titel „Russen und Deutsche – was für Menschen sind das?“ In diesem Werk versuchte er nach Bocks Angaben darzustellen, dass ein positives Bild des Menschen auch in Zeiten des Ausnahmezustandes und aller Grausamkeiten nicht vergessen werden dürfte.
Bienert war auch Gründer des evangelischen Sozialwerks
Als er 1949 in seine rheinische Heimat zurückkehrte, habe er gleich Kontakte zum Kirchenverband gepflegt und ein Sozialwerk gegründet, das lange Zeit getrennt von der Melanchthon-Akademie geführt wurde und seit drei Jahren wieder mit der Melanchthon-Akademie zusammen arbeitet. Sein größter Wunsch, an eine theologische Fakultät gerufen zu werden, ging allerdings nie in Erfüllung. Jedes Mal wurden seine Anträge abgelehnt. „Diese Reaktionen hat er als Zurückweisung, als persönliche Verletzung und als Rufmord gewertet, sagte Bock. Dennoch habe er nicht resigniert: „Er hat die Ärmel aufgekrempelt und sich in der Gemeinde engagiert.“
Dr. Seiger: Im Glauben nicht in Eitelkeiten verharren!
Über das Verhältnis zwischen Glauben und Freiheit hatte sich Dr. Bernhard Seiger, Superintendent des Kirchenkreises Köln-Süd, in seiner Andacht Gedanken gemacht, ausgehend von einem Text aus dem Brief Paulus an die Galater. Er sagte, es sei der Wille Gottes, dass die Menschen im Glauben frei seien und „nicht in Eitelkeiten verharren“. Zwar sei das ein anstrengender Weg, der auch zur Selbstkritik führe.
Aber nur so könnten Christen zu „einer sinnhaften Lebensgestaltung“ gelangen. Gerade in der heutigen Zeit werde die Informations-Flut ständig größer: “ Mehr Wissen bedeutet aber nicht automatisch mehr Verstehen.“ Deshalb solle der Mensch die Begegnung und das Gespräch mit anderen suchen und sich auf Bescheidenheit konzentrieren.
Göttliche Ordnung im Sinne Gottes
Mit den „wissenschaftlichen Beiträgen zum Sinn der Arbeit“ von Walther Bienert beschäftigte sich Walter Fuchs-Stratmann, stellvertretender Leiter der Melanchthon-Akademie, in seinen Ausführungen. Ein Werk des Theologen Bienert erschien 1954 unter dem Titel „Die Arbeit nach der Lehre der Bibel“. Die 452 Seiten, die lateinische, hebräische und alt-griechische Sprachkenntnisse voraussetzen, seien „keine leichte Kost“, warnte Fuchs-Stratmann. In der Praxis hatte sich Bienert mit der „christlichen Lebenskunde“ als Dozent in der Rheinischen Braunkohlen-Bergschule in Frechen-Bachem auseinander gesetzt. „Dabei geht es keineswegs nur um Bereiche der Maschinenkunde und Elektrotechnik, sondern betont auch um mitmenschliches Verhalten, Umgang mit den Arbeitern und den Vorgesetzten“, beschrieb Bienert in seiner Autobiografie seine Arbeit dort ab 1951. Er habe die Arbeit nicht nur als menschliche Tätigkeit verstanden, sondern sich zum Ziel gesetzt, dabei eine göttliche Ordnung im Sinne Gottes herzustellen.
Der Mensch habe die Verantwortung vor Gott, die ihm aufgetragene Arbeit zu erfüllen, zitierte Fuchs-Stratmann den Theologen. Im Beitrag der Arbeit des einzelnen zeige sich die Bedeutung für das Ganze. Die Sozialethik der evangelischen Kirche heute habe zur Grundlage, dass „niemandem das Recht auf die Teilnahme an der Arbeit verwehrt“ werden dürfe. Andererseits dürfte sich aber auch keiner dieser Pflicht entziehen.
Frechener Archivar erinnert sich
Seine „ganz persönlichen Eindrücke“ aus Erlebnissen mit Pfarrer Bienert schilderte Martin Coch, Archivar und Alt-Kirchmeister der Evangelischen Kirchengemeinde in Frechen. Besonders beeindruckt zeigte er sich von den Predigten des Seelsorgers, der „immer einen spannenden Einstieg“ wählte, um danach den Bibel-Text zu verlesen. Gut in Erinnerung sei ihm auch noch das rege Interesse Bienerts an allen Kreisen, Gruppen und Veranstaltung der Gemeinde. Außerdem habe er den Bau des Kinder- und Jugendheimes und der Kirche in Hürth-Gleuel auf den Weg gebracht.
Foto(s): Christel Thiemann