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Nach der Veranstaltung in der Antoniterkirche führte ein Mahngang zum Bahnhofsvorplatz.

„Erinnern – Eine Brücke in die Zukunft“: Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus

„Ich freue mich, dass wir wieder hier sein dürfen“, begrüßte Pfarrer Mathias Bonhoeffer gut 200 Menschen in der AntoniterCityKirche. Der Presbyteriumsvorsitzende der Evangelischen Gemeinde Köln spielte damit auf die pandemiebedingte Pause der jährlichen Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus (NS) in der evangelischen Predigtstätte auf der Schildergasse an. „Erinnern – eine Brücke in die Zukunft“ hieß es diesmal am Vorabend des Holocaust-Gedenktages. Traditionell stand eine Opfergruppe, ein Thema im Mittelpunkt. In diesem Jahr widmeten sich die Veranstaltenden der „Gleichschaltung“ am Beispiel der Massenmedien in der NS-Diktatur, dem Rundfunk und der Presse insbesondere in Köln.

Einfühlsam und eindringlich

Bereits eingangs galt Bonhoeffers großer Dank der Vorbereitungsgruppe. Ulrike Bach, Irene Franken, Beate Gröschel, Klaus Stein und Lisa Willnecker hatten die Texte zusammengestellt; Irene Franken/Kölner Frauengeschichtsverein verantwortete zudem die auf einer Leinwand begleitende visuelle Präsentation. Die Texte wurden im Collage-Stil von den Schauspielerinnen und Schauspielerinnen und Sprechern und Sprecherinnen Maria Ammann, Renate Fuhrmann, Axel Gottschick und Klaus Nierhoff rezitiert – je nach historischer Quelle einfühlsam, eindringlich, bis hin zu schroff, wenn es sich etwa um Zitate von Propagandaminister Joseph Goebbels und aus dem NS-Organ „Westdeutschen Beobachter“ handelte. Den Vortragenden war vorab der Dank Bonhoeffers ebenso gewiss wie den Musikern und Musikerinnen Martina Neschen (Gesang, Banjo, Komposition), Bassist Kurt Maibaum und der „Chor bewegt“.

„Der musikalische Widerstand war beeindruckend“, schickte Bonhoeffer voraus. Seine Einschätzung stellten die Musiker und Musikerinnen mit ausgewählten, teils von Neschen erarbeiteten Arrangements aus zensierten Originaltexten und -parodien aus der Zeit bis 1945 unter Beweis. Sie interpretierten etwa Jazz- und Swing-Hits sowie eine Parodie auf „Lili Marleen“, den „meistparodierten Schlager der NS-Zeit“. Mit einer eigenen Fassung von Neschen und Ensemble wurde auch an Hans Albers´ Refrain „La Paloma“ aus dem Film „Große Freiheit Nr. 7“ und „Heimweh nach Kölle“ von Willi Ostermann erinnert. Beide Stücke brandmarkten die Nazis einst als „wehrzersetzend“. 

Bonhoeffer betonte mittels der ebenfalls vorgetragenen „Hommage“ Bert Brechts „An den kleinen Radioapparat“ die große Bedeutung des Rundfunks als Informationsquelle für die seinerzeit aus Nazi-Deutschland Geflüchteten. Seien damals auf diesem Weg Informationen nur in eine Richtung gegangen, ermögliche heute Geflüchteten der Mobilfunk einen Austausch in beide Richtungen.

Zeitungen wurden verboten

In seinem Grußwort nannte Bürgermeister Andreas Wolter Auschwitz als Chiffre für die im NS begangenen Menschheitsverbrechen. Die Gedenkstunde diene dazu, die daraus erwachsene Verpflichtung präsent zu machen. In einer komplexen Gegenwart falle es einigen Menschen immer schwerer, das Geschehene richtig einzuordnen, bedauerte Wolter. Auch heute gehe es um den Wert und Bestand der Meinungs- und Pressefreiheit. In der Weimarer Republik seien diese noch als Grundrecht verankert gewesen, dann mit der Verordnung „Zum Schutz von Volk und Staat“ („Reichstagsbrandverordnung“) vom 28 2.1933 außer Kraft gesetzt worden. „Zeitungen wurden verboten, Journalist:innen entlassen und ins Exil gezwungen.“ Unter anderem mit allein 200 Frauen-Zeitschriften habe der NS die Frau in den Blick genommen. Letztlich sei es um das adäquate Verhalten von Frauen und Mütter in der deutschen Volksgemeinschaft gegangen. Beispielhaft wies der städtische Vertreter auf die Umbenennung der Zeitschrift „Junge Dame“ in „Kamerad Frau“ hin. 

Zuhauf seien der Volksempfänger und andere Radioapparate in deutschen Haushalte eingezogen und hätten dazu beigetragen, dass sich der NS zu einer Zustimmungsdiktatur entwickelte. „Ohne das Recht auf Pressefreiheit ist eine Demokratie kaum denkbar“, unterstrich Wolter. Er dankte den mehr als dreißig Vereinen, Initiativen, Parteien und Einrichtungen, darunter Gruppierungen mit unterschiedlichen Positionen, dass sie mit nie nachlassendem Engagement dieses Erinnerungsprojekt unterstützten. 

Im ersten Textblock wurde zunächst an die „Gleichschaltung“ des Rundfunks in Köln erinnert. „Der Rundfunk gehört uns“, habe Goebbels früh reklamiert: Die Machthaber hätten den verhassten Systemfunk unter Kontrolle bekommen wollen. Denn mit dem gesprochenen Wort „ließe sich mehr Stimmung machen, als mit dem geschriebenen“. Bereits 1932 sei die Westdeutsche Rundfunk AG in der Kölner Dagobertstraße aufgrund ihrer angeblichen „pro-bolschewikischen Zersetzungsarbeit“ ins Visier der rechten Presse geraten. Im Frühjahr 1933 seien mit dem Intendanten Ernst Hardt alle jüdischen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sowie „politisch Unzuverlässige“ entlassen worden. Aber das vom NS-getreuen Nachfolger Hardts bestimmte Propaganda-Programm mit häufigen Übertragungen von Hitler-Reden sei bei den Hörern und Hörerinnen nicht gut angekommen. Statt dem verbotenen Swing und Jazz seien seichte „Gute-Laune-Musik“ und ab 1939 gefälschte Kriegsberichterstattung gesendet worden.

Eingegangen wurde auch auf das Schicksal von Marie-Theres van den Wyenbergh. Sie leitete ab Januar 1928 den Frauenfunk beim Westdeutschen Rundfunk. Bald, so die Sprecher und Sprecherinnen, habe sie den Stadtverband Kölner Frauenvereine auf ihrer Seite gehabt. Die Frauenbewegung, die Lebenswelt der Frauen, Mütter und Arbeiterinnen hätten zu ihren regelmäßigen Themen gezählt. Ebenso habe sie mit „Die Frau im Staat“ auf das berechtigte öffentliche Engagement von Frauen aufmerksam machen wollen. Die verdienstvolle Radiopionierin wurde im Frühjahr 1933 als „politisch unzuverlässig“ entlassen: „Ich hatte negativ über den ´Führer´gesprochen.“ Van den Wyenbergh habe Verdienstverbot erhalten und sei vier Jahre erwerbslos gewesen. „Nach Kriegsende leitete sie von 1947 bis 1962 beim Südwestfunk die Abteilung Frauen-, Familien- und Kinderfunk.“

„Man will uns ausrotten und vernichten“

In der Weimarer Republik seien noch 4300 Zeitungen erschienen, davon 200 nationalsozialistische, trugen die Sprecher und Sprecherinnen vor. Nach der Machtübernahme 1933 habe die NSDAP über die politischen Mittel verfügt, die gesamte Presse der NS-Ideologie dienstbar zu machen. Propagandaminister Joseph Goebbels habe im April1933 angekündigt, dass man sich zur oder gegen die nationalsozialistische Politik „mit einem klaren Ja oder einem klaren Nein bekennen“ müsse – „und dieses Ja oder Nein duldet kein Wenn und kein Aber“. Laut Goebbels könnten sich „die geistigen Kräfte des deutschen Journalismus, die sich zu einem Ja verpflichten (…) der wärmsten ideellen und materiellen Unterstützung der Regierung gewiss sein“. Bereits im Februar/März 1933 seien die Parteipresse von KPD und SPD verboten, später enteignet worden, so die Sprecher und Sprecherinnen. Der Politiker Wilhelm Sollmann, Chefredakteur der sozialdemokratischen Rheinischen Zeitung im nach August Bebel benannten Druck- und Verlagshaus in Köln Deutz, habe festgestellt: „Man will uns ausrotten und vernichten.“ In privaten Briefen habe er von seiner Festnahme und der des Lokalredakteurs Hugo Efferoth berichtet. Im „Braunen Haus“, dem Sitz der Gauleitung in der Mozartstraße, seien beide gefoltert worden. Sollmann habe mit Hilfe von Freunden zunächst nach Luxemburg flüchten und später in die USA emigrieren können. 

Ein drittes Kapitel widmete sich der Kölnischen Zeitung, dem Vorläufer des Kölner Stadt-Anzeigers und dem Verlag DuMont-Schauberg. „Die geachtete Kölnische Zeitung“ habe schon vor 1933 ihre liberale Orientierung partiell aufgegeben. Um den Verlag zu erhalten, hätten die Verantwortlichen eine Anpassung und Zugeständnisse an die Nazi-Bedingungen als unumgänglich betrachtet. Mit dem im Oktober 1933 verabschiedeten „Schriftleitergesetz“ hätten die Nazis die Pressefreiheit abgeschafft. Das Propagandaministerium habe täglich vorgegeben, „über was berichtet wird“. Journalisten und Journalistinnen seien „ganz direkt zur Loyalität gegenüber der NS-Diktatur verpflichtet“ worden. So habe die Kriegsberichterstattung der Kölnischen Zeitung sich wenig von der des Westdeutschen Beobachters unterschieden.

Mittels diffamierender Sprache seien Feindbilder befeuert worden

Viertens informierte die Veranstaltung über den Antiziganismus im Westdeutschen Beobachter. 1925 als wöchentliches Parteiorgan der NSDAP gegründet, habe sich dieses Blatt unter seinem Herausgeber Gauleiter Robert Ley ab 1930 als Tageszeitung und mit Hitlers Machtübernahme nach dem Völkischen Beobachter zur zweitgrößten NS-Zeitung im Deutschen Reich entwickelt. Insbesondere der Lokalteil sei mit antisemitischer und antiziganistischer Hetze hervorgetreten. Mittels diffamierender Sprache und entstellenden Karikaturen seien Feindbilder befeuert worden. Die Zeitung habe regelmäßig Stereotype auch über die vermeintliche Boshaftigkeit, Kriminalität und Primitivität der Sinti:ze und Rom:nja verbreitet. So habe es etwa geheißen, „Lüge und Betrug seien ihnen zur zweiten Natur geworden“. 

Aus der Presse im Nationalsozialismus sei eine Presse des Nationalsozialismus geworden mit ideologischer Durchdringung des Volkes, lautete das Fazit. Mit Kriegsende hätten sich Darstellung und Berichterstattung beispielsweise über Sinti:ze und Rom:nja nicht wesentlich verändert. Klischeebilder seien noch lange ausgebreitet worden, rezitierten die Sprecher:innen. Die „Gleichschaltung“ der Medien im NS habe noch lange nachgewirkt. Und die Aufarbeitung der eigenen Rolle von Verlagen im NS dauere oft bis heute an. 

Mahngang zum Bahnhofsvorplatz

Im Anschluss an den Veranstaltungsteil in der Kirche startete eine kleinere Gruppe mit dem Banner „Erinnern – eine Brücke in die Zukunft“ an der Spitze zu einem Mahngang. Auf dem Bahnhofsvorplatz, am Fuß der Domtreppe, sprach unter anderem Naciye Alpay. Sie gehört dem Verein „Stimmen der Solidarität –  Mahnwache Köln e.V.“ an. „Der Kampf gegen die Unterdrückung der Meinungs- und Pressefreiheit hört nicht auf“, so Alpay. Seit 2018 gingen Unterstützende jeden ersten Mittwoch im Monat auf die Straße, um sich mit Mahnwachen für politische Gefangene in der Türkei und anderen Ländern, darunter Journalisten und Journalistinnen, Menschenrechtler und Menschenrechtlerinnen und Politiker und Politikerinnen einzusetzen. „Wir sind ihre Stimme. Wir reden im Namen der Betroffenen.“ Eine im Kölner Exil lebende kurdische Journalistin schilderte ihre Geschichte und Motivation, sich gegen Menschenrechtsverletzungen zu engagieren. Alpay übersetzte ihre Ausführungen: Was im Nationalsozialismus mit dem Verbot der Pressefreiheit passiert sei, passiere heute in der Türkei und an vielen anderen Orten in der Welt. Aber es gebe auch eine Wahrheit: Der Faschismus könne die Verbrechen nie für immer im Dunkeln verbergen. Das gewährleisteten der Journalismus und die Medien. 

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich