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Erinnern – eine Brücke in die Zukunft: Erinnerung an Künstler und Kulturschaffende

Welch Kontrast: Hier ein idyllisch am Bach gelegenes Häuschen mit Garten, dort eine karge, vergitterte Gefängniszelle. Diese beiden Orte hat der Kölner Künstler Peter Paffenholz im März 1933 in einer Bleistiftzeichnung „zusammengeführt“. Er selbst ist der verloren scheinende Häftling in der Zellenecke. Innerhalb der jährlichen Gedenkveranstaltung „Erinnern – eine Brücke in die Zukunft“ für die Opfer des Nationalsozialismus in der AntoniterCityKirche wurde auch diese Zeichnung auf eine Leinwand projiziert und an das Schicksal ihres Urhebers erinnert.

Verantwortlich für die zentrale Gedenkstunde in Köln zeichnet ein großer Unterstützerkreis. Der Projektgruppe Gedenktag gehören Einrichtungen, Vereine, Parteien, Initiativen und andere an. Darunter die Evangelische Gemeinde Köln, die Melanchthon-Akademie des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region und die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Köln. Gedacht wird allen von den Nationalsozialisten Verfolgten und Ermordeten. Gleichwohl steht, im jährlichen Wechsel, jeweils eine Opfergruppe im Mittelpunkt.

Schwieriger kultureller Neuanfang
2015, zum 70. Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz, nahm man insbesondere Kölner Künstler und Kulturschaffende in den Blick. Bildende Künstler und Musiker, Darsteller, Schriftsteller und Journalisten, die aufgrund ihrer politischen Einstellung, „rassischen Einordnung“ und/oder ihres künstlerischen Stils ihren Arbeitsplatz verloren. Die Berufs- und Ausstellungs- beziehungsweise Auftrittsverbot erhielten, die inhaftiert, gefoltert, ins Exil, die innere Emigration oder in den Tod getrieben, die ermordet wurden. Beleuchtet wurde zudem der schwierige kulturelle Neuanfang nach 1945.

„Kultur in Trümmern“
Pfarrer Mathias Bonhoeffer erläuterte in seiner Begrüßung die Geschichte und Bedeutung der Bronzeplastik „Güstrower Ehrenmal“. Ernst Barlach (1870-1938) schuf sie als Mahnmal für die Toten des Ersten Weltkrieges für den Dom in der mecklenburgischen Stadt. In der Antoniterkirche hängt seit 1952 der vielbesuchte zweite Guss des auch „Der Schwebende“ genannten Werkes. Unter den Nazis wurde der erste Guss eingeschmolzen, Barlachs Kunst als „entartet“ diffamiert, seine Arbeiten aus öffentlichen Sammlungen entfernt und der Künstler mit einem Ausstellungsverbot belegt. Vielen sei es so ergangen, führte Bonhoeffer die weit über 400 Zuhörerinnen und Zuhörer auf das Thema des Abends hin – „Kultur in Trümmern“.

Journalisten wurden ins Exil getrieben
Nach der Machtübernahme habe das Regime versucht, auch alle Bereiche der Kunst nach der NS-Ideologie auszurichten, sagte Bürgermeisterin Elfi Scho-Antwerpes. „Alles andere wurde untersagt.“ In Köln, einer Stadt der Avantgarde, sei ein breiter Kreis betroffen gewesen. „Ihre Werke wurden nicht mehr ausgestellt, Bücher missliebiger Autoren verbrannt, Journalisten ins Exil getrieben.“ Eine entsprechende Liste von Betroffenen in der Domstadt müsste einige Hunderte Namen umfassen. „Den Verlust, den Köln und ganz Deutschland durch die Unterdrückung der Kunst und Kultur und die Verfolgung der Oppositionellen erlitten haben, ist schier unermesslich.“ Schließlich seien im Krieg auch die Stätten von Kunst und Kultur vernichtet, mindestens stark beschädigt worden. Die Kulturpolitik des Regimes habe lange nachgewirkt, sprach Scho-Antwerpes von einem zunächst geistig-moralisch orientierungslosen Nachkriegs-Kulturleben. „Wir sind den Künstlern dankbar, die sich aufgestellt, den Neuanfang gewagt und Grundlagen dafür geschaffen haben, was heute die Kunst- und Kulturstadt Köln ausmacht.“

„Die kulturelle Vielfalt ist schlagartig beendet“
Im Zentrum der Veranstaltung stand eine eindrucksvolle Textcollage. In ihr wurde die kulturpolitische Entwicklung im Nationalsozialismus mit der Schilderung von Einzelschicksalen verwoben. Konzipiert haben die Collage Ulrike Bach, Malle Bensch-Humbach, Brigitte Bilz, Irene Franken und Klaus Stein. Den ausdrucksstarken Vortrag übernahmen die Schauspieler und Sprecher Maria Axmann, Axel Gottschick und Josef Tratnik. „Kunst und Kultur stehen nunmehr im Dienst von Volk, Staat und Rasse“, zitierten sie einen Grundsatz der NS-Politik. Dabei bildete die im September 1933 eingerichtete Reichskulturkammer das Instrument der Gleichschaltung aller „arischen“ und politisch „einwandfreien“ Kulturschaffenden und -einrichtungen. Andere, insbesondere „Nichtarier“ und „Kulturbolschewisten“, blieben ausgeschlossen. „Die kulturelle Vielfalt ist schlagartig beendet“, betonten die Sprechenden.

Die „Alten“ leben in der Musik weiter
Ein Kapitel der Collage war der Diskriminierung von Sinti und Roma im „Dritten Reich“ gewidmet, ihrer Inhaftierung in Sammellagern, der 1940 beginnenden systematischen Deportation und schließlich Ermordung. In Auschwitz und anderen Lagern seien sie zudem auf besondere Weise verhöhnt worden, so die Sprecher. „Sie mussten in sogenannten Lagerorchestern für die SS aufspielen.“ Die wenigen Überlebenden, die in ihre Heimatstädte zurückgekehrt seien, hätten vor dem Nichts gestanden. Stellvertretend ging man auf die Kölner Musikerfamilie Reinhardt/Steinberger ein. Ein Spross der Familie ist der 1958 geborene Markus Reinhardt, der mit seinem Ensemble in der Antoniterkirche mitreißenden Jazz wie Besinnliches aufführte. „Die Alten auf den Bildern können nicht mehr sprechen. In unserer Musik leben sie weiter. Aber in unseren Liedern ist auch Platz für viele andere“, betonte der „kölsche Sinto“.

Im KZ Sachsenhausen ermordert: Jean Mattlener
Die 1928 von Jean und Hanna Mattlener, Gertrud Linnig und Hermann Heymann gegründete Kölner Agitproptruppe „Blaue Blusen“ wurde als „bedeutendste im Rheinland“ gewürdigt. Zum Ensemble gehörten Arbeiter und Angestellte, Künstler und Arbeitslose – Laiendarsteller, die sich der kommunistischen Idee verschrieben hatten. Schon am Ende der Weimarer Republik erfuhren sie Spielverbote, wurden ihre Requisiten, Kostüme und Texte beschlagnahmt. Am Tag nach dem letzten Auftritt der Gruppe Anfang März 1933 verhaftete die Gestapo Jean Mattlener. Er wurde am 1. April 1945 im KZ Sachsenhausen ermordet.

Spätfolgen einer wiederholten Verhaftung
Für die „Blauen Blusen“ arbeitete auch Peter Paffenholz (1900-1959). Das im Kölner Eigelstein-Viertel aufgewachsene künstlerische Allround-Talent gehörte zum Umfeld der Kölner „Gruppe progressiver Künstler“ und war KPD-Stadtverordneter. Im März 1933 wurde er aus seiner Stelle bei der Westdeutschen Rundfunk AG (WERAG) entlassen und in „Schutzhaft“ genommen. Nach zwei Monaten im Gefängnis am Klingelpütz, wo er seine Zelle ausmalte und Zeichnungen wie die eingangs beschriebene schuf, wurde mit der Haftentlassung ein Berufsverbot ausgesprochen. Im August 1944 erneut inhaftiert und bald darauf in das Arbeitserziehungslager in der Kölner Messe überführt, erlebte Paffenholz das Kriegsende im Oberbergischen. Er habe seit 1945 um die Anerkennung als Verfolgter des NS-Regimes gekämpft, so die Sprecher. Jedoch sei ihm eine Entschädigung erst ab dem 60. Lebensjahr zugestanden worden. Zu spät für Paffenholz. „1959 stirbt er an den Spätfolgen der wiederholten Verhaftung.“

Prüfung nach unrechtmäßigem Besitz
Nach dem 90-minütigen Programm in der Antoniterkirche begaben sich zahlreiche Teilnehmende auf einen Mahngang. Er führte zum Museum für Angewandte Kunst, dem früheren Standort des Wallraf-Richartz-Museums (WRM), so die Historikerin Franken. Aus dessen Sammlung seien 1937 sechs Gemälde und 17 Graphiken in der Ausstellung „Entartete Kunst“ präsentiert worden. Heute gehöre das WRM zu den Pionieren der Herkunftsrecherche, stellte sie fest. Also zu den Einrichtungen, die gründlich prüfen, ob sich in der Sammlung etwa in der NS-Zeit aus jüdischem Besitz beschlagnahmte oder sonst unrechtmäßig erworbene Werke befinden.

Rede des Schriftstellers Doğan Akhanlı
Abschließend sprach Doğan Akhanlı. Der in Köln lebende türkischstämmige deutsche Schriftsteller erhielt 2014 vom Evangelischen Kirchenkreis Köln-Mitte die Pfarrer-Georg-Fritze-Gedächtnisgabe. Er setze sich in überzeugender Weise für die Menschenrechte in der Türkei und insbesondere für die Anerkennung der Rechte von Kurden und Armeniern ein, lautete die Begründung. Einer seiner wesentlichen Beiträge ist die Aufarbeitung des von der Türkei bis heute nicht öffentlich eingestandenen Völkermordes 1915/1916 an den Armeniern.

„Flüchtlinge brauchen unser Mitgefühl, unseren Respekt.“
Der deutschen Gesellschaft attestierte Akhanlı eine sensible Auseinandersetzung mit der NS-Zeit. Aber wenn es um die Aufnahme von Flüchtlingen gehe, habe Deutschland Nachholbedarf. „Ich bin auch ein Flüchtling“, berichtete Akhanlı, der 1985 bis 1987 als politischer Häftling im Militärgefängnis von Istanbul saß, von seiner eigenen Flucht 1991 nach Deutschland. Mit seiner Familie sei er zunächst in einem Asylbewerberheim in Bergisch Gladbach untergekommen, später ins benachbarte Köln übergesiedelt. Ohne kollegiale Unterstützung und Freunde wäre ihm ein neues Leben hier, eine schriftstellerische Laufbahn, kaum möglich gewesen, dankte der 57-Jährige. Und hätten 2010, nachdem er bei der Einreise in die Türkei abermals inhaftiert worden sei, nicht Freunde und Unterstützer in ganz Deutschland Solidarität gezeigt und Prominente sich eingemischt, säße er sicher noch immer in einem türkischen Hochsicherheitsgefängnis. Akhanlı plädierte für eine vorbehaltlose Aufnahme von Flüchtlingen: „Sie brauchen unsere Unterstützung, unser Mitgefühl, unseren Respekt.“

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich