„Es lohnt sich immer etwas zu tun, was man nicht für sich tut. Das ist auf dieser Erde fast für jeden zu finden.“ Dieser Gedanke von Freya von Moltke (1911-2010) ist seit gestern an prominenter Stelle im Kölner Stadtraum zu lesen. Er schmückt eine lebensgroße Stele, die zu Ehren der politisch hoch engagierten, mutigen Protestantin vor dem Deichmann-Haus eingeweiht wurde.
Von Carl Jatho in der Antoniterkirche getauft
Im Vorgängerbau des Deichmann-Hauses, im Schatten des Dom-Nordturms und vis-à-vis dem Kölner Hauptbahnhof, wurde Freya in die Bankiersfamilie Carl Theodor und Ada Deichmann hineingeboren. In der evangelischen Antoniterkirche von Carl Jatho getauft, wuchs sie am Georgsplatz auf. 1931 heiratete die junge Frau den angehenden Juristen Helmuth James Graf von Moltke. Sie selbst promovierte 1935 in Berlin im Fach Jura, war in diesem Berufsfeld aber nie tätig. Während ihr Mann bald in Berlin als Anwalt arbeitete, führte sie im niederschlesischen Kreisau (heute Krzyzowa, Polen) dessen Familiengut.
Vehemente Ablehnung des nationalsozialistischen Regimes
Früh teilten sie die vehemente Ablehnung des nationalsozialistischen Regimes. Seit 1940 kamen unter Führung von Helmuth James von Moltke und Peter Yorck von Wartenburg regelmäßig Menschen verschiedener sozialer, politischer und konfessioneller Herkunft überwiegend in Berlin zusammen. Der „Kreisauer Kreis“, wie die Gestapo die Widerstandsgruppe später bezeichnen sollte, machte sich konkrete Gedanken über die Zukunft des Landes nach dem erhofften Ende der Terrorherrschaft. Sie schmiedeten Pläne für die mögliche Gestaltung eines zukünftigen demokratischen Deutschlands und vereinten Europas. In Kreisau fanden 1942/43 drei Treffen statt. Freya von Moltke nahm nicht nur an den Kreisauer Sitzungen teil. Umfangreich unterstützte sie ihren Mann im Widerstand und begleitete ihn nach seiner Inhaftierung im Januar 1944 bis zu seiner Hinrichtung ein Jahr später. Nach Kriegsende arbeitete Freya von Moltke zunächst als Sozialarbeiterin in Südafrika, in der Heimat der Großeltern ihres Mannes. 1956 kehrte sie nach Deutschland zurück und siedelte 1960 gemeinsam mit ihrem langjährigen Lebensgefährten, Eugen Rosenstock-Huessy, nach Vermont (USA) über. Bedeutend war ihr Engagement im Aufbau des „Neuen Kreisau“ als eine europäische Jugendbegegnungsstätte.
Engagierte und couragierte „Tochter“ gewürdigt
Das am Tag des 101. Geburtstages von Freya von Moltke enthüllte Gedenkobjekt geht zurück auf einen Anstoß von Dr. Agnieszka von Zanthier. Sie ist Geschäftsführerin der 2004 gegründeten Freya von Moltke-Stiftung, eine Bürgerstiftung für das „Neue Kreisau“. „Die Ideen wurden lebendig aufgenommen von einem ökumenischen Bündnis, das sich auch durch Rückschläge nicht von seinem Ziel abbringen ließ“, sagte Bürgermeisterin Elfi Scho-Antwerpes im Rahmen des feierlichen Aktes vor über 100 Teilnehmenden. Sie bedankte sich besonders bei Dr. Martin Bock, Leiter der Melanchthon-Akademie, und Dorothee Schaper, Pfarrerin an der Akademie, sowie Hannelore Bartscherer, Vorsitzende des Katholikenausschusses, und Norbert Michels vom Diözesanrat der Katholiken im Erzbistum Köln. Sie hätten „den harten Kern des Teams“ gebildet. Die Stadt Köln habe diese bürgerschaftliche Initiative, ihre engagierte und couragierte „Tochter“ angemessen zu würdigen, tatkräftig unterstützt. Scho-Antwerpes wünschte sich, dass Freya von Moltkes Gedanke – „Es lohnt sich immer etwas zu tun, was man nicht für sich tut. Das ist auf dieser Erde fast für jeden zu finden“ – als ihr Vermächtnis in ihrer ehemaligen Heimatstadt weiter wirke.
Viele Fotos von Freya von Moltke gesichtet
Der bronzene Stelenrahmen fasst eine transparente Scheibe ein. In dieser sind unterhalb des genannten Zitates eine Kurzbiographie der vor zwei Jahren 98-jährig Verstorbenen, ein Lageplan und Fassadenaufriss ihres Geburtshauses eingelassen. In der linken oberen Ecke wurde Platz für ein bronzenes Relief ausgespart: Es zeigt ein Porträt der Geehrten, das laut Christian Bauer „aus einer intensiven Beschäftigung mit der historischen Person Freya von Moltkes hervorgegangen ist“. Der Gestalter aus Mönchengladbach ist der Schöpfer der Stele, die wenige Zentimeter vor dem linken Pfeiler des Deichmann-Hauses steht. „Ich habe viele Fotos gesichtet, die Briefe und Biografie gelesen. Ich habe den Eindruck eines Menschen gewonnen, der sehr gerne und viel gelacht hat. Ein Mensch, der sehr alt geworden ist. Daher habe ich die aktuellsten Fotos verwendet, um ein Bild der greisen und lächelnden Freya zu schaffen“, so der Künstler zu seinem „Medium im Raum“. Ebenfalls auf dem Stelenglas verzeichnet finden sich die Stifter und Auftraggeber des Objekts: der Evangelische Kirchenverband Köln und Region, der Katholikenausschuss in der Stadt Köln sowie der Diözesanrat der Katholiken im Erzbistum Köln.
Domning: Menschen widersetzten sich dem Bösen
„Wer an Freya von Moltke erinnert, erinnert an Zeiten der Finsternis und des Todes in Deutschland, an eine Zeit der Schreckensherrschaft und Gewalt“, sagte Rolf Domning, Stadtsuperintendent des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region, und zitierte den Propheten Jesaja (59, 6-10). „Wer an Freya von Moltke erinnert, erinnert aber auch daran, dass es in den Zeiten der Finsternis Menschen gab, die sich dem Bösen widersetzten, die aufbegehrten gegen Diktatur und Terror.“ Hannelore Bartscherer, Vorsitzende des Katholikenausschusses in der Stadt Köln, betonte, dass wir uns an Menschen wie Freya von Moltke aufrichten und lernen könnten, „Unrecht wahrzunehmen, mutig zu widersprechen, und dem Bösen zu widerstehen. Die Erinnerung an Freya von Moltke ist uns Aufruf zur Wachsamkeit und Verpflichtung zum Handeln, wann immer die Würde eines Menschen bedroht und verletzt wird, wann immer Hass und Gewalt verbreitet, Menschen verfolgt und ermordet werden.“ Stellvertretend erbaten Domning und Bartscherer Gottes Inspiration, „durch das Beispiel Freya von Moltkes in unserer Stadt über alle Konfessionsgrenzen und Religionen hinaus“ ihr Anliegen weiter zu tragen – „durch konkrete Schritte der Versöhnung und des Friedens Grenzen zu überwinden, und Zukunft zu gestalten“.
Gewillt, „dass er sein Leben riskierte“
Helmuth Caspar von Moltke, ältester von zwei Söhnen von Freya und Helmuth James von Moltke, bedankte sich ausdrücklich bei allen am Projekt beteiligten Menschen und Einrichtungen, bei der Stadt Köln, der evangelischen und der katholischen Kirche in Köln. „Meine Mutter hat ihr ganzes Leben ihre rheinische Herkunft als große Hilfe im Leben empfunden. Sie meinte, sie sei in dieser Stadt für alle Schwierigkeiten des Lebens gewappnet worden und sie ist daher gut mit den Problemen ihres Lebens fertig geworden.“ Helmut Caspar von Moltke sprach von zwei großen Perioden im Leben seiner Mutter. „Ihre Zeit an der Seite meines Vaters in der Opposition gegen den Nationalsozialismus ist die wichtigste.“ Sie habe seinen Vater im Widerstand unterstützt und sei gewillt gewesen, „dass er sein Leben riskierte“. Die junge Frau und Mutter habe „seinen Einsatz bejaht, selbst als es klar wurde, dass er dabei zum Tode verurteilt werden würde. Am Besten ist sie daher als beherzte Frau des deutschen Widerstandes bekannt.“
Kreisau als Ort für eine Versöhnungsmesse
Dagegen sei weniger bekannt, dass sie sich früh, bereits 1967, für eine Aussöhnung mit Polen eingesetzt habe – „schon 22 Jahre vor der Wende“. Der Jurist und Manager erinnerte daran, dass Kreisau 1989 von der deutschen und polnischen Regierung als Ort für eine Versöhnungsmesse gewählt worden sei. Seine Mutter habe im hohen Alter „den Aufbau Kreisaus als Jugendbegegnungsstätte und Gedenkstätte (…) noch begleiten und unterstützen können“. Diese Aufbruchszeit im europäischen Osten sei die zweite große Zeit ihres Lebens gewesen, betonte ihr Sohn. Er ist unter anderem Vorsitzender des Stiftungsrates der 2004 gegründeten Freya von Moltke-Stiftung, eine Bürgerstiftung für das „Neue Kreisau“. „Meine Mutter hat erleben können, dass das Opfer, welches mein Vater durch seinen frühen Tod brachte, Früchte trug und dass das Vorbild der Opposition gegen Diktaturen – sowohl in Deutschland 1933 bis 1945, als in Polen 1945 bis 1989 – für die Jugend beider Länder verbindend wurde.“ So sei das ´Neue Kreisau´ das Geschenk ihres Alters.
Foto(s): Engelbert Broich