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„Emotions“ heißt die erste Ausstellung der Fotokünstlerin Anika März

„Zeit für Einblicke“ gab jüngst das Elisabeth-Fry-Haus der Diakonie Michaelshoven e. V. in Köln-Raderthal. Besucher und Bewohnerinnen des Wohn- und Aufnahmeheims für Frauen in sozialen und psychischen Notlagen sollten die Möglichkeit erhalten zu Begegnungen während eines Kulturprogramms. Besonders zwei Bewohnerinnen machten an diesem Nachmittag die Erfahrung, dass ihre Talente und Leistungen öffentlich gewürdigt wurden.

Wenigstens einmal am Tag möchte Anika März in der Welt, die sie oft überfordert, etwas Schönes entdecken. Das hält sie dann mit der Kamera fest. Seit sie das Bildbearbeitungsprogramm in ihrem Handy entdeckt hat, ist sie auf dem Weg, aus dem, was als Selbsthilfe in der Not begann, Kunst zu machen. „Emotions“ (Gefühle) heißt die erste Ausstellung der Fotokünstlerin. Das Besondere: Die etwa 50 Bilder sind in dem Wohn- und Aufnahmeheim für Frauen der Diakonie Michaelshoven bis zum 16. April zu sehen. Sie hängen an den Wänden der Flure und Treppenaufgänge. Anika März gehört zu den Bewohnerinnen, ihr Name ist ein Pseudonym.

Künstlerin mit ausgeprägtem Wahrnehmungsvermögen
Wer die Fotografien sehen möchte, muss sich an der Pforte melden und wird hereingelassen. „Verkauft Anika März die Bilder?“, fragte eine Besucherin beim „Tag der offenen Tür“. Ja, Sozialpädagogin Michaela Pawlik vermittelt zwischen Kaufinteressenten und Künstlerin. Eine andere Besucherin, die selbst fotografiert, ließ sich von ihr Tipps geben, sowohl für den Umgang mit der Technik als auch für die künstlerische Umsetzung. Fotografieren und die Aufnahmen in Kunst verwandeln, das hilft Anika März, mit ihrer Übersensibilität zurechtzukommen. Sie verfügt über ein ausgeprägtes Wahrnehmungsvermögen. Aber ihr Gehirn kann die Eindrücke nicht filtern, um sie weiterzuverarbeiten. „Fotografieren beruhigt mich, und ich bin konzentriert – in meiner Welt“, sagt sie selbst.

Reflexe in den Farben des Regenbogens
Die Idee, die Werke von Anika März auszustellen, hatte ihre Betreuerin. „Das sieht ja aus wie ein Sonnenuntergang in Australien“, staunte sie. „Habe ich aus meinem Zimmer aufgenommen“, antwortete die Fotografin. Dieses Zimmer verließ sie lange Zeit überhaupt nicht. Sie fürchtete sich vor den Reizen, die sie draußen überfluten. Irgendwann siegte der Drang, mit lohnenden Motiven zu experimentieren, über die Scheu. Betrachter fasziniert zum Beispiel, wie sie gegen die Sonne Bäume ohne Laub fotografiert, so dass auf dem Abzug Reflexe in den Farben des Regenbogens erscheinen. „Das habe ich so lange durchs Bildbearbeitungsprogramm gejagt, bis oben das kühle Blau erschien, das ich mag“, erklärt Anika März ihr Foto, das ursprünglich eine dunkelrote Amaryllis zeigte. Am liebsten verfremde sie ein Motiv so lange, bis das Ergebnis surrealistisch wirke.

Sie lernt, Freude und Glück zuzulassen
„Da sieht man ja meinen Fußbodenbelag im Hintergrund“, bewunderte März ein nun gerahmtes Bild. Sie hatte weiße Rosen gekauft und versucht, sie mit Tinte blau zu färben. Das misslang. Aber sie gab nicht auf, sondern fotografierte die gesprenkelten Rosen und wandelte die Aufnahme in ein Negativ um. „Bilder sind ihr Anker: Sie lernt, Freude und Glück zuzulassen, obwohl sie oft aus traurigen Momenten heraus fotografiert“, erklärt Michaela Pawlik die heilende Wirkung solches Kunstschaffens.

Auch Musik wird eingesetzt als heilende Kraft
Sabine W. wird beim Tag der offenen Tür für ihre gefühlvollen Gesangsdarbietungen von Besuchern, Mitbewohnerinnen und Mitarbeiterinnen gefeiert. „Weil ich die Musik habe, konnte ich aufhören, mich selbst zu verletzen“, erzählt sie. Ihre Betreuerin habe ihr Mut gemacht zu dem Auftritt. „Sie wird mir helfen, bis ich in einer eigenen Wohnung leben kann und auch dann weiter zur Seite stehen“, ist die junge Frau überzeugt. Die heilende Kraft der Kunst durften die Besucherinnen und Besucher von „Zeit für Einblicke“ auch an sich selbst ausprobieren: Sie beteiligten sich am Gesang der Elly-Fry-Singers. Beim gemeinsamen Gesang von „Song of Joy“ zählten dann weder soziale Herkunft, Krankheit oder Talent, sondern einzig die Freude am gemeinsamen Singen.

Das Elisabeth-Frey-Haus:
Die Einrichtung in der Albert-Schweitzer-Straße 2 in Köln-Raderthal ist ein Hilfsangebot für Frauen in Not mit und ohne Kinder. Träger ist die Diakonie Michaelshoven e.V.. Zu jeder Tag- und Nachtzeit ist eine Aufnahme von Frauen möglich, die Opfer von Gewalt wurden, psychisch krank sind oder ihre Wohnung verloren haben. Das Elisabeth-Fry-Haus, das nach einer englischen Sozialreformerin im 18. Jahrhundert benannt ist, wird von Sylvia Arndt geleitet. Ihr stehen 30 Mitarbeiterinnen in Voll- oder Teilzeit wie auch studentische Aushilfen zur Seite, darunter zehn Sozialarbeiterinnen und eine Psychologin. Vorhanden sind insgesamt 73 Plätze. Zum Elisabeth-Fry-Haus gehören eine Mutter-Kind-Wohngruppe in Kalk, eine Wohngruppe von vier Frauen in Zollstock sowie drei Wohngruppen für psychisch-kranke Frauen in Meschenich, die sich in einem „Arbeitstraining“ befinden. Sie werden zum Beispiel als Pförtnerinnen im Elisabeth-Fry-Haus eingesetzt.

Text: Ulrike Weinert
Foto(s): Ulrike Weinert