Der Veränderungsdruck bei Kirchengebäuden veranlasste die drei evangelischen Landeskirchen und fünf katholischen Bistümer in Nordrhein-Westfalen, im Jahr 2006 ein Gespräch mit Staatsminister a. D. Oliver Wittke zu führen, als dessen Ergebnis das Modellvorhaben „Kirchenumnutzungen“ beschlossen wurde. Das Ministerium für Bauen und Verkehr des Landes Nordrhein- Westfalen beauftragte das Büro synergon, Köln, die einzelnen Modellprojekte und weitere Beteiligte zu koordinieren sowie das Modellvorhaben inhaltlich und organisatorisch zu begleiten. Der vorliegende Text ist ein Auszug aus dem Bericht von Jörg Beste/synergon, den das Ministerium für Bauen und Verkehr des Landes Nordrhein- Westfalen herausgegeben hat. Damit hat sich das Land NRW als bisher einziges Bundesland mit einem eigenen Modellvorhaben der Problemlage angenommen, um mit seinen Ergebnissen bei der Bewältigung der kommenden Aufgaben mit der Neuorientierung von Kirchengebäuden zu unterstützen. Aufgrund der Sonderstellung, die Nordrhein-Westfalen in der Epoche des modernen Kirchenbaus innehat, muss hier auch mit diesen Bauten besonders sensibel umgegangen werden. Ziel ist es, Kirchengebäude in ihrem baukulturellen Wert und in ihren städtebaulichen und sozialen Kontexten möglichst weitgehend erhalten zu können.
Das Modellvorhaben Kirchenumnutzungen befasste sich mit der Situation, dass in Nordrhein-Westfalen immer mehr Kirchengebäude unter Veränderungsdruck geraten, aus der Nutzung genommen und ganz aufgegeben werden müssen. Im Mittelpunkt der Untersuchung standen dabei der Umgang mit dieser empfindlichen Gebäudetypologie und die Entwicklungsprozesse bei Neuorientierungen für Kirchengebäude.
Ausgangslage
Die beiden großen christlichen Kirchen befinden sich in Nordrhein-Westfalen – wie in ganz Deutschland – seit Jahren in einem Prozess des Wandels, der mit dynamischer gewordenen gesellschaftlichen Veränderungen zusammenhängt. Hier wirken sich – noch über den allgemeinen demographischen Wandel hinaus – enger gewordene finanzielle Rahmenbedingungen der Kirchengemeinden, rückläufige Zahlen der Kirchenmitglieder und insbesondere der Gottesdienstbesucher aus. Nach vollzogenen Strukturreformen in Bistümern und Landeskirchen stehen fusionierte größere Gemeindeeinheiten einem kostenintensiven Gebäudebestand gegenüber, der zu ihren veränderten Situationen oftmals nicht mehr passt.
Daneben lässt sich an vielen Orten bürgerschaftliches Engagement für bedrohte Kirchengebäude beobachten, das über die Kirchengemeinden deutlich hinausgeht. Die baukulturell meist herausgehobenen Kirchengebäude werden nicht nur als Symbole für die christliche Gemeinschaft erlebt, sondern auch als räumliche und geschichtliche Orientierungs- und Identifikationspunkte sowie Orte sozialen Zusammenhalts in den jeweiligen Lebensräumen der Menschen vor Ort.
Der Verkauf oder sogar Abbruch von Kirchen greift somit in wichtige strukturelle Zusammenhänge der Gemeinwesen ein. Eine Nachnutzung verändert ihre Funktion als geistige und soziale Mitte. Der Erhalt von Kirchengebäuden ist damit sowohl wegen ihrer sakralen und sozialen Bedeutung als auch aus baukultureller Sicht notwendig.
Für die sozial, kulturell und emotional bedeutenden Kirchengebäude existieren in Nordrhein-Westfalen allerdings noch nicht genügend Erfahrungen im Umgang mit den Bearbeitungsprozessen, Nutzungs- und Gestaltungsmöglichkeiten, wie sie beispielsweise bei der neuen Nutzung von Industriegebäuden bestehen. Der größte Teil der nun zur Disposition stehenden Kirchengebäude wurde erst in der Nachkriegszeit errichtet. Zurzeit ist eine denkmalpflegerische Bewertung vieler Bauten dieser Entstehungszeit am Ende ihrer originären Nutzung noch gar nicht abgeschlossen. Dies ist aus kultureller Sicht von besonderer Bedeutung, da gerade diese Bauepoche – der moderne Kirchenbau und insbesondere die Nachkriegsmoderne – in Nordrhein-Westfalen eine einzigartige Dichte und Qualität entwickelt hat.
Problematik der Umnutzung von Kirchengebäuden
Neue Nutzungen für Kirchengebäude müssen immer in einem verträglichen Verhältnis zur ursprünglich sakralen Nutzung stehen. Aber: Für die bauliche Prägung der Kirchengebäude mit ihren großen, offenen Räumen gibt es in diesem Zustand nur sehr wenig Nutzungsmöglichkeiten, die oft aus sich heraus finanziell kaum tragfähig sind.
Bei Nutzungen, die eine kleinteilige Unterteilung der Gebäude erfordern, erzeugt der Umbau starke bauliche Eingriffe und damit meist große baukulturelle Verluste. Bei derartigen Nutzungsüberlegungen entstehen Konflikte mit denkmalpflegerischen Erhaltungswünschen der baulichen Eigenart von Kirchen, die noch über den Verlust der sakralen und künstlerischen Ausstattung der Gebäude hinausgehen. Kirchengebäude genießen ausschließlich aufgrund ihrer sakralen Nutzung eine bau- und planungsrechtliche Sonderstellung. Bei Nutzungsänderungen müssen daher die für Profanbauten üblichen Bestimmungen, wie beispielsweise Versammlungsstättenverordnung, Brandschutzbestimmungen, Stellplatzverordnung und andere berücksichtigt werden. Dies führt häufig zu erheblichen Erschwernissen bei der Suche nach geeigneten neuen Nutzungen. Jedes Gebäude erfordert einen eigenen Erarbeitungsprozess zur Neuorientierung für Lösungen, die der herausragenden baulichen Stellung dieser Gebäude angemessen sind.
Im Modellvorhaben Kirchenumnutzungen wurden aus diesem Grund drei Bereiche der Modellprojekte zusammen betrachtet: Die Gebäudesituation mit den baulichen und den sozialen Gegebenheiten, der Entwicklungsprozess mit den Beteiligten und den jeweiligen Vorgehensweisen und die verschiedenen Nutzungskonzepte mit ihrer Akzeptanz.
Gebäudesituation
Die bauliche Situation der Kirchen ist unter anderem bestimmt durch die Lage im baulichen Kontext der Kommunen, den städtebaulichen Typus und die Wirksamkeit des Gebäudes in seinem Umfeld, die architektonische Ausprägung, die bau- und kunsthistorische Bewertung von Gebäude und Ausstattung sowie den baulichen Zustand. Die sozialen Situationen der Gebäude sind unter anderem geprägt durch die historische, kulturelle und liturgische Bedeutung, verschiedene sakrale Nutzungstypen von Kirchengebäuden, das soziale und das kirchliche Umfeld, die finanzielle Situation der Kirchengemeinde und der jeweiligen Landeskirchen oder Bistümer sowie die Situation der jeweiligen Kommunen. Einige dieser Punkte haben großen Einfluss auf den Identifikationswert der Gebäude sowohl in der christlichen als auch in der Bürgergemeinde. Diese Identifikation kann sich bei Projekten mit entsprechender Einbindung bürgerschaftlichen Engagements positiv für den Erhalt von Kirchen auswirken. Bei Nichtbeachtung dieser Zusammenhänge kann allerdings auch eine starke Opposition gegen Umnutzungspläne entstehen, die Projekte mitunter scheitern lässt oder den sozialen Zusammenhalt in Kirchen- und Bürgergemeinde langfristig stört. In diesem Zusammenhang ist ein sorgfältiger Umgang mit dem Entwicklungsprozess, seinen Beteiligten und der Vorgehensweise entscheidend.
Nutzungskonzepte
Möglichkeiten für neue Kirchennutzungen können Mischnutzungen und Nutzungserweiterungen sowie eine vollständige Umnutzung der Gebäude oder der Grundstücke sein. Dabei kann nach kircheninternen und kirchenexternen Lösungswegen unterschieden werden. Hierfür existieren nach inhaltlichen und baulichen Kriterien verschiedene Nutzungsmöglichkeiten mit jeweils abgestufter Akzeptanz bei den unterschiedlichen Interessenvertretern. Im Modellvorhaben sind sowohl Teilumnutzungen und Mehrfachnutzungen mit kirchlichen und öffentlichen Nutzungen als auch Umnutzungen mit öffentlichen und privaten Nutzungen geplant worden.
Erfahrungen und Ergebnisse der Modellstudie
Allgemein ist festzuhalten, dass Kirchengebäude im Vergleich mit anderen Gebäuden eine nur schwierig umzunutzende Gebäudetypologie darstellen. Aufgrund des Identifikationswertes und der Zeichenhaftigkeit einer Kirche, sowohl in der christlichen Gemeinde als auch in der Bürgergemeinde, fällt ihre Funktionsaufgabe und Umnutzung in der Regel schwer und ist unpopulär. Für die meisten Kirchengemeinden ist die Aufgabe eines Kirchengebäudes eine neue Erfahrung und die Bewältigung der teils schmerzlichen Prozesse stellt sie vor Aufgaben, für die Ihnen oft die Erfahrungen und Kapazitäten fehlen. Der Schließung von Kirchen sollte eine inhaltliche Neukonzeption der zukünftigen Gemeindearbeit vorausgehen, um die richtigen Entscheidungen zum Immobilenbestand treffen zu können. Aufgrund der oft konfliktträchtigen Erarbeitungsprozesse hat sich hierfür eine unterstützende Moderation und Beratung bewährt. Daneben sollten ebenso externe Fachberater für die Bereiche Planung, Finanzen und Immobilien zu bestimmten Phasen der Projekte eingebunden werden. Moderatoren und Experten können hierfür aus kirchlichen Organisationen kommen oder Externe mit entsprechender Erfahrung sein. Entscheidend ist, dass diese Berater keine eigenen Interessen in Bezug auf Verwertung von Immobilien oder Planungsaufträge haben.
Konkretes Beispiel: die evangelische Auferstehungskirche von Köln-Buchforst
Das einzige Beispiel einer Kirchenumnutzung im Bereich des Evangelischen Kirchenverbands Köln und Region, das in der Studie Berücksichtigung findet, ist die 1968 eingeweihte Auferstehungskirche der Evangelischen Kirchengemeinde Köln-Bucheim-Buchforst, die im Mai 2005 aufgegeben wurde.
Ausgangslage in Buchforst
Aufgrund der Veränderung der Stadtteilbevölkerungsstruktur war der Bedarf für ein eigenes Kirchengebäude vor Ort nicht mehr gegeben. Kirchliche Angebote wie Jugendarbeit oder Kindergarten, aber auch Erwachsenenarbeit, die im Gemeindezentrum stattgefunden haben, gingen dem Stadtteil damit aber ebenfalls verloren. Die Gemeindearbeit zog sich auf den benachbarten Stadtteil Buchheim in ein dort befindliches Gemeindezentrum mit Kirche aus ähnlicher Bauzeit zurück. Wenige verbliebene Gemeindemitglieder werden seitdem mit einem Fahrdienst zu Gemeindeveranstaltungen und Gottesdiensten nach Buchheim gefahren.
Prozess-Beteiligte
Nach Kontakten zwischen der Kirchengemeinde und dem Baudezernenten von Köln, die durch den Projektaufruf des Ministeriums initiiert wurden, richtete der Dezernent eine Arbeitsgruppe für das Kirchengebäude unter seiner Führung ein. Beteiligt waren die Ämter der Stadtkonservatorin, für Stadtplanung und für Stadtentwicklung. Die Arbeitsgruppe wurde erweitert durch Vertreter der Kirchenkreisebene sowie der Landeskirche und das Architektur Forum Rheinland. Nach Untersuchungen zu Umfeld und Gebäude wurden unterschiedliche potentielle Interessenten mit einem städtischen Exposé angesprochen. Diese entwickelten drei sehr unterschiedliche Lösungsansätze, wovon zwei aus sozialen, finanziellen oder baukulturellen Gründen verworfen werden mussten. Mit der städtischen Wohnungsbaugesellschaft GAG konnte allerdings bereits unter den ersten Angesprochenen ein Nutzer mit einem sehr guten Konzept für das schwierige denkmalgeschützte Gebäude gefunden werden. Somit waren ein Projektantrag und eine Machbarkeitsstudie nicht mehr nötig. Das Projekt wurde trotzdem als Bestandteil des Modellvorhabens mitbetreut und dokumentiert, da es von dieser Seite angeregt wurde.
Umnutzungsideen, Nutzungskonzept
Der Wohnungsbaugesellschaft GAG fehlten im Stadtteil angesiedelte Angebote für alte Bewohner ihrer Siedlungsbauten,die sich in den Bestandswohnungen nicht mehr versorgen können. Hierfür sollen die nicht denkmalgeschützten Bauten des Pfarrzentrums in ihrer Kubatur – räumlich optimiert – neu errichtet werden. Sie werden auf einem zugekauften angrenzenden Gelände gestalterisch entsprechend ergänzt. Die neue Nutzung sieht die Einrichtung von betreuten Alten- und Demenzwohngruppen und eventuell ein separates Sterbehospiz vor. Im eigentlichen Kirchenbau ist ein Aufenthaltsund Begegnungsraum für die Bewohner mit Möglichkeiten für Veranstaltungen im Stadtteil geplant. Der Kirchengemeinde
ist angeboten worden, den Raum nun wieder sonntags für Gottesdienste kostenlos zu nutzen.
Besonderheiten und Erfahrungen
Das Projekt ist auf Initiative und im Rahmen des Modellvorhabens durchgeführt worden, auch wenn keine Machbarkeitsstudie für das Modellgebäude gefördert wurde. Auch dieses Beispiel zeigt, wie erfolgreich sich die Zusammenarbeit zwischen Kirchengemeinden und einer engagierten kommunalen Verwaltung entwickeln kann. Je höher das Projekt bei der Kommune angesiedelt ist, desto besser sind vermutlich die Kontakte und damit auch die Chancen zur Ermittlung von Interessenten für ein gutes Nachnutzungskonzept. Mit dem städtischen Wohnungsunternehmen ist in Köln ein Ansprechpartner gefunden worden, der im Unterschied zu privatwirtschaftlichen Eigentümern größerer Wohnungsbestände eine andere Haltung zur sozialen Stabilisierung und Versorgung seiner Siedlungsbestände hat. Hier wird der Begriff der „Stadtrendite“, die öffentliche und gemeinnützige Wohnungsgesellschaften einbringen, deutlich. Es handelt sich dabei um den gesellschaftspolitischen Mehrwert, den ein anderes Markthandeln dieser Unternehmen für eine Kommune erbringt. Insofern können diese Wohnungsunternehmen auch gute Partner für die Umnutzung von Kirchengebäuden sein. Sie treten dabei mitunter in das soziale Vakuum, das dort entsteht, wo Kirchen aufgegeben werden, wenn sie die Bauten einer neuen sozialen oder kulturellen Nutzung zuführen.
Die Studie
So weit die Studie – vielen Dank an Jörg Beste, der uns das umfangreiche Material überlassen hat. Die komplette Studie zum Download hier.
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