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Jost Klausmeier-Saß, Thomas vom Scheidt, Markus Zimmermann, Hanser Brandt-von Bülow und Dr. Rainer Lemaire (v.l.) stärken Lehrerinnen und Lehrer

Einzelsegnungen und Stärkung für den Start in den Schulalltag

„Es ist ein wundervoller Auftakt für das neue Schuljahr“, sagt Sylvia Langer, Lehrerin an der GSG Annastraße. „Die Gottesdienste sind immer sehr persönlich, sie haben etwas ‚Mit-auf-den-Weg-Gebendes’“, meint sie. Seit fünf Jahren laden das Evangelische Schulreferat und das Pfarramt für Berufskollegs am Vorabend eines neuen Schuljahrs zu einem stärkenden Gottesdienst in die Kölner Kartäuserkirche ein. Seit fünf Jahren ist Sylvia Langer mit dabei. Auch dieses Mal.

Als eine „besinnliche Oase zu Beginn des neuen Schuljahres“, beschreibt Sonderpädagoge Georg Nolden die Feier. Grundschullehrerin Lena Euler findet es sehr ermutigend, dass sie Gottes Segen zugesprochen bekommt, bevor sich im neuen Schuljahr wieder Schüler und Lehrer neu zusammenfinden. Rund 60 Lehrerinnen, Lehrer und andere Interessierte folgen jährlich der Einladung des Schulreferats und erleben einen dramaturgisch wie liturgisch fein austarierten Gottesdienst in der Kölner Südstadt.

Mehr Schwarzbrot als Weißbrot
Denn der Gottesdienst zum Schuljahresbeginn berührt die Herzen und den Geist gleichermaßen: Die Liturgen stimmen auf das neue Schuljahr mit Impulsen, Gebeten und Einzelsegnung ein, Kantor Thomas Frerichs untermalt die Texte und Gesten musikalisch – mit viel Leidenschaft – auf dem Klavier. Vor allem seine Improvisationen, die das zuvor Gesagte aufgreifen, begeistern viele. „Sie machen nicht Musik, Sie sind Musik!“, lobt ihn folgerichtig Markus Zimmermann, Stellvertretender Stadtsuperintendent des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region, während des Gottesdienstes.

„Verleih uns Frieden gnädiglich, Herr Gott zu unsren Zeiten“ – die Liedstrophe, die Martin Luther als Gegengesang zu „Da pacem domine“ 1529 schrieb, begleitet als Motto den rund einstündigen Gottesdienst. Frieden, aber auch das Entstehen von Konflikten und Kriegen, stehen in diesem Jahr thematisch im Zentrum der geistigen Stärkung, die an manchen Stellen mehr Schwarzbrot als Weißbrot anbietet. Schon in der Begrüßung erinnert Markus Zimmermann an Länder und Orte, in denen es momentan eher friedlos zugeht, etwa an Chemnitz. „Aber auch in der Schule geht es nicht immer friedlich zu“, betont er. „Es sind die oft scheinbar kleinen Konflikte, die uns das Leben so schwer machen.“ In dieses Nachdenken hinein, stimmen zwei Männer das Lied „Verleih uns Frieden gnädiglich“ an, die Gottesdienstgemeinde fällt wenig später kräftig ein.

Eigene Rachegelüste vor Gott bringen
„Es schaudert einen, angesichts dieser Verse“, sagt Pfarrer Jost Klausmeier-Saß in seiner Reflexion über den alttestamentlichen Text aus Jesaja 13, 11-22. Darin heißt es: „Ich will … die jungen Männer mit Bogen erschießen und sich der Frucht des Leibs nicht erbarmen und die Kinder nicht schonen“. Eine Unheilsweissagung des Propheten Jesaja, eine Drohung gegen die Unterdrückung durch die Babylonier. Klausmeier-Saß warnt jedoch davor, beim Lesen in zwei Fallen zu tappen. Die alte populäre: Der Gott des Alten Testaments sei ein rächender Gott, ein liebender erscheine erst im Neuen Testament. „Wenn wir in diese Falle tappen, hätten wir die Einheit der Bibel zerrissen und würden infrage stellen, dass der Gott Israels auch unser Gott ist.“ Auch dürfe aus dem Umgang des alttestamentlichen Volkes Israel mit den Babyloniern kein Rückschluss auf den Umgang des heutigen Staates Israel mit den Palästinensern gezogen werden. Wie aber mit dieser Bibelstelle umgehen? „Ist es nicht vielleicht auch weise, die eigenen Rachegelüste zu formulieren und sie vor Gott zu bringen, sie Gott zu überlassen? Statt sie zu leben, auszuleben?“, fragt er.

„Jesus ist ein Meister der Deeskalation und der Irritation“, ergänzt Pfarrer Thomas vom Scheidt. Auf scheinbar einfache Lösungen lasse er sich nicht ein. „Zwischen sich ducken oder zurückschlagen, zwischen sich klein kriegen lassen oder ganz groß rauskommen, findet er einen ‚dritten Weg‘“. Jesus sehe den Zusammenhang zwischen Gerechtigkeit und Frieden, er habe sich eingemischt, sich aber nicht sofort auf die Seite des einen oder anderen gestellt, so Schulreferent vom Scheidt. „Wir sind aufgerufen, seine Wege weiterzugehen und weiterzuentwickeln, zu unserer Zeit, in unserer Welt, unter unseren Bedingungen“.

Thomas Frerichs
Kantor Thomas Frerichs am Klavier der Kartäuserkirche. Er begeisterte mit klassischen Kirchenliedern, aber auch mit jazzigen und poppigen Improvisationen

„Wir können tastende Schritte gehen“
Pfarrer Hanser Brandt-von Bülow vom Pfarramt für Berufskollegs schlägt den Bogen ins Heute und berichtet vom norwegischen Friedens- und Konfliktforscher Johann Galtung, der ein Konzept vom „positiven Frieden“ geschaffen hat. „Er meint damit nicht nur die Abwesenheit von personaler oder direkter Gewalt, sondern auch die Abwesenheit von struktureller Gewalt“. Brandt-von Bülow plädiert für eine Friedenserziehung, die Feindbilder und Vorurteile zu überwinden sucht. Er verweist auf das Jahresthema 2018/2019 des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region „Suche Frieden“ . Auf der Internetseite www.frieden.kirche-koeln.de finden sich zahlreiche Aktionen und Veranstaltungen dazu. „Den umfassenden Frieden können wir nicht herstellen, weder im Kleinen noch im Großen, aber wir können tastende Schritte gehen“, lädt er alle ein, mitzumachen.

Neue Formen des friedlichen Zusammenlebens
Heute gilt es, neue Formen des friedlichen Zusammenlebens zu finden, im Vertrauen auf Gottes Geist, glaubt Schulreferent Dr. Rainer Lemaire. „Viele freuen sich, dass die Schule wieder losgeht, aber manche starten auch mit einem gemischten Gefühl und mit Befürchtungen, weil sie die Schule nicht als einen friedlichen Ort erleben. Manche haben Angst vor der Wortgewalt, manche befürchten körperliche Gewalt“. Er bittet Gott in seiner Fürbitte, dass die Schule als ein geschützter und friedlicher Ort erlebt werden kann. Für die Lehrerinnen und Lehrer erbittet er einen liebevollen Blick auf die Schülerinnen und Schüler, Freude am Beruf und den Mut, sich in Konflikte einzumischen.

Mit diesen Impulsen und nach vielen Gesängen, dem Abendmahl und Einzelsegnungen verlassen die Gottesdienstbesucherinnen und -besucher die Kartäuserkirche und gehen zum geselligen Beisammensein bei Pizza, alkoholfreiem Kölsch, Obst und Teilchen ins Haus der Evangelischen Kirche. Dort tauschen sie sich rege über das Gehörte aus.

Die Kollekte kommt SÜDWIND e.V. zugute. Das Institut für Ökonomie und Ökumene setzt sich seit fast 30 Jahren für wirtschaftliche, soziale und ökologische Gerechtigkeit ein – unabhängig von Parteien, Regierung, Wirtschaft und Kirchen.

 

Text: Angelika Knapic
Foto(s): Angelika Knapic