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Eine Entgegnung von Günter A. Menne zum Leitartikel „Der Ast, auf dem wir sitzen“ von Markus Schwering, veröffentlicht im Kölner Stadt-Anzeiger am 29. September 2006

Im Kölner Stadt-Anzeiger vom 29. September 2006 schrieb Markus Schwering den Leitartikel „Der Ast, auf dem wir sitzen“ über den Berliner Opern-Eklat der Absetzung von Mozarts Idomeneo vom aktuellen Spielplan, aus Furcht vor islamistischem Terror: Das BKA hatte die Intendantin gewarnt. Markus Schwering warnt jedoch vor solchem Zurückweichen der „Mehrheitsgesellschaft“ in vorauseilendem Gehorsam und ermahnt alle Religionen in der Frage ihrer Deutungshoheit zur Anspruchslosigkeit. Günter A. Menne, Pressesprecher des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region, entgegnet Markus Schwering in einer Anmerkung, die am 6. Oktober – stark gekürzt – als Gastbeitrag veröffentlicht wurde im Kulturteil des Kölner Stadt-Anzeigers. Auf www.kirche-koeln.de geben wir den Text ungekürzt zur allgemeinen Kenntnis.

Markus Schwering schreibt: „Niemand macht […] gläubigen Menschen ihre Überzeugung streitig; allerdings hat diese keinen Anspruch mehr darauf, im Leben von Zeitgenossen wirksam zu werden.“ Wer wollte da im ersten Moment widersprechen, denn natürlich ist der Fingerzeig berechtigt: Über Epochen hinweg haben Religionen in der Weltgeschichte nicht nur die Deutungshoheit beansprucht, sondern auch die legislative und exekutive Gewalt ausgeübt. Und Gott sei’s geklagt, ist dieses „Mittelalter“ in einigen islamischen „Gottesstaaten“ immer noch nicht überwunden, das wissen wir alle, während in Deutschland oder Frankreich einige, aber keineswegs alle Imame – und so soll es sein ! – die demokratische Freiheit genießen, lautstark Toleranz für ihre eigene Intoleranz zu fordern und in Berlin eine Opernintendantin, immerhin vom BKA gewarnt vor möglichem Terror, erstmals ein Stück absetzt. Da liegt es schon nahe, einmal mehr auf die strikte Trennung von Staat und Religion zu pochen und die Frommen im Lande zur Anspruchslosigkeit zu ermahnen.

Doch ist von der „Überzeugung gläubiger Menschen“ in der Weltgeschichte keineswegs nur Fluch, sondern auch Segen ausgegangen für die gesellschaftliche und politische Kultur, ein – gewiss heikles! – Beispiel ist die Reformation 1517. Ist ohne sie die Aufklärung und in ihrer Konsequenz die Säkularisierung denkbar? Andererseits hat sich die Aufklärung gegen die Kirchen durchsetzen müssen: Sie ist gewachsen im schwierigen Diskurs, unsere Kultur der Freiheit, die wir gerade dabei sind (nicht nur auf der Opernbühne) aufs Spiel zu setzen. Ein zweites Beispiel, nicht weniger gewagt: Mit seinem berühmten Axiom von der „Freiheit eines Christenmenschen“ – Originaltext: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan“ – damit zielt Martin Luther ab auf die Gewissensfreiheit des Einzelnen in seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, nach dem Grundgebot Jesu: „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst.“ Luthers (mehr als nur „intolerante“…) Reden gegen die Juden, seine Rolle in den Bauernkriegen, dürfen hier nicht verschwiegen werden – zugleich aber ist die Botschaft des Reformators (Stichwort: „Segen und Fluch“!), nicht allein für „Christenmenschen“, die von der Freiheit, welche für uns Zeitgenossen immer auch die Freiheit der anderen ist, und selbstredend auch die Freiheit der Kunst. So sehen wir das (nach dem Bildersturm) zumindest heute, und ich finde: An die theologischen Kräfte im Ringen um solche Freiheit darf in der aktuellen Debatte erinnert werden.

Religionen, wenn sie sich denn nicht selbst verraten wollen, müssen sehr wohl zu ihrem Deutungsanspruch, mithin ihrer Botschaft, die sie für wahr halten, stehen – stets jedoch „ohne Gewalt, sondern allein durch das Wort“. So sieht es schon wörtlich in der gewichtigen reformatorischen Bekenntnisschrift von 1530, dem Augsburgischen Bekenntnis („sine vi, sed verbo“) – eine fromme „Sonntagsrede“ – freilich, wenn man manch andere Passagen darin schlicht ausblendet, vor allem die blutigen Folgen: Gewaltfrei ist auch die Geschichte des Protestantismus nicht. In der Selbstverpflichtung zur Gewaltfreiheit liegt (spätestens seit 1945) immerhin der Unterschied, der heute den christlichen Unterschied macht zu jeder gewaltbereiten religiösen, insbesondere einer islamistischen Ideologie. Als Christinnen und Christen sollten wir deshalb dringender denn je – im Beruf, im Privatleben, in der Öffentlichkeit – einen offenen Dialog der Wahrheitsgewissheiten in unserer multikulturellen „Mehrheitsgesellschaft“ führen und auch engagiert mitbestimmen: „lebendig und kräftig und schärfer„, um es hier mit dem Motto des kommenden 31. Deutschen Evangelischen Kirchentages in Köln 2007 zu sagen; damit das gute „Prinzip der vernünftigen Nichtübereinstimmung von Weltanschauungen“, so nennt es Markus Schwering,auch stetig geübt wird.

Deshalb bleibt mir seine Kernforderung auch zu vage: dass nämlich „der Gläubige als Bürger“ die Kluft seiner eigenen Lebensführung – ich zitiere „der Moral der Mehrheitsgesellschaft durch Toleranz zu überbrücken“ habe. Ich frage einmal dagegen: Welche Moral hat sie denn, unsere „Mehrheitsgesellschaft“? Etwa „Geiz ist geil“…? „Nichts ist unmöglich“… vielleicht? Oder „Hauptsache Arbeit“…?
Nein, wir „Gläubige unter den Bürgern“ haben geradezu die Pflicht, unsere Überzeugungen „im Leben von Zeitgenossen wirksam werden“ zu lassen, auch wenn wir keinen unaufgeklärten „Anspruch“ mehr darauf haben, und das ist auch gut so. Dabei ist es vollkommen egal, ob wir uns als „Christenmenschen“ oder Muslime und Juden bekennen. Es wäre nur wünschenswert, wenn wir recht bald zu einer starken interreligiösen – vernünftigen, gebildeten, demokratischen – Allianz der „Gläubigen als Bürger“ fänden, die sich deutlich und qualifiziert einmischt! Darum befürworten wir Evangelischen in Köln übrigens auch den Bau einer Moschee, als würdigen Ort muslimischer Bildung und Kultur, denn ja, so ist es: Aller Glaube bedarf der Vernunft, der Bildung und des Respekts vor den Andersgläubigen, auch vor den Nichtgläubigen. Dann aber darf er, dann soll er „wirksam werden“.

Ich bin überzeugt, wir müssen der „Mehrheitsgesellschaft“ in unserem globalen Dorf mit ihrem falschen, faulen Toleranzbegriff des „anything goes“ – und neuerdings einem vorauseilenden Gehorsam in Feigheit vor dem Mob – „gläubig“ unsere Werte entgegenzusetzen, mit aller Entschlossenheit und Zivilcourage – als Christen, als Juden und hoffentlich künftig noch zahlreicher und eindeutiger auch als Muslime: gegen einen gefährlichen Islamismus in den eigenen religiösen Reihen. Genau da bin ich wieder ganz und gar einig mit Markus Schwering, wenn er zum Schluss schreibt: „Zurückweichen bringt nichts!“

Text: Günter A. Menne
Foto(s): EKV