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Ein Preis für Mut und Bekenntnis: Die Aktion Sühnezeichen Friedensdienste wurde mit der Pfarrer-Georg-Fritze-Gedächtnisgabe ausgezeichnet

„Der Preis gilt in allererster Linie den Jugendlichen“, sagte Pfarrer Rolf Domning, Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Köln-Mitte. Erst am vergangenen Freitag waren rund 100 Jugendliche von ihren sozialen und politischen Projekten im Ausland – unter anderem in Polen, Großbritannien und den USA – zurückgekehrt. „Es waren Dienste der Versöhnung, des Friedens. Die Jugendlichen schlugen Brücken zu Ländern, denen Deutschland vor nicht allzu langer Zeit feindlich gegenüber stand“, lobte Domning – „ein großer Beitrag für Menschlichkeit und Gerechtigkeit“ und überreichte den 5.000 Euro dotierten Preis an Philipp Pohlmann, Sprecher der Regionalgruppe Köln/Bonn. Damit hatte der Kirchenkreis Köln-MItte die – wie immer mit großer Aufmerksamkeit bedachte – Pfarrer-Georg-Fritze-Gedächtnisgabe 2006 verliehen. Unter den Gästen waren unter anderm auch Kölns Bürgermeisterin Elfi Scho-Antwerpes, die ebenso wie Oberkirchenrat Jörn-Erik Gutheil – der auch im Kuratorium der „Aktion Sühnezeichen“ aktiv ist – ein Grußwort sprach, Armin Laschet, Minister für Generationen und Integration in Nordrhein-Westfalen, war als Diskussionsteilnehmer auf dem Podium ebenso engagiert wie in der Laudatio, die er am Ende den Preisträgern widmete.



Die Zukunft der Erinnerung an den Nationalsozialismus
Für Armin Laschet, geht der Preis auch für „Mut und Bekenntnis“, an die Aktion Sühnezeichen – den sie darum schon in ihrem Gründungsjahr 1958 verdient hätte. Durch das Engagement der Jugendlichen in Projekten im Ausland, die von der Pflege von Gedenkstätten bis zur Hilfe für Überlebende des Holocausts reichen, bekämen die Jugendlichen den Mut zu widersprechen“, betonte Laschet in seiner Laudatio. Manch anderer habe dieses Rüstzeug nicht, sagte der Minister und schlug einen Bogen zur aktuellen Diskussion um das Eingeständnis der SS-Mitgliedschaft des Schriftstellers Günter Grass: „Er hatte nicht die innere Hemmschwelle, die ihm ermöglichte, zu sagen: ‚Vom System des Nationalsozialismus lasse ich mich nicht überzeugen‘.“
Zeitzeugen, die den Krieg erlebt hätten, würden aber immer weniger, unterstrich Laschet. Deshalb müsse die Erinnerungsarbeit auch neu definiert werden, sagte der Minister in der Diskussion unter dem Motto „Die Zukunft der Erinnerung an den Nationalsozialismus“.

Wie kann Erinnerung wach gehalten werden?
Eine große Bedeutung misst Laschet nach wie vor den Gedenkstätten bei. „Der Erinnerung muss im eigenen Umfeld ein Gesicht gegeben werden.“ Künftig werde sich die Gesellschaft aber vielmehr mit der Frage beschäftigen müssen, wie Erinnerungen an den Nationalsozialismus in einer jungen Generation, die sich anders als früher zusammensetzt, wach gehalten werden könnten. Denn rund 25 Prozent der deutschen Bevölkerung stellten inzwischen die Menschen, deren Eltern zugewandert sind. Auch für sie gelte es, sich zu erinnern. „Auch wenn ein junger Türke den Holocaust nicht miterlebt hat, so ist die Geschichte für ihn genauso wichtig.“ Gleichzeitig müsse eine Leitkultur entwickelt werden, in der auch Zuwanderer ihre Werte einbringen könnten. Laschet hofft, dass Zuwandererkinder für Aktionen wie Sühnezeichen gewonnen werden könnten.

Formen der Erinnerung
Auch Abraham Lehrer, Vorsitzender der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden, sprach sich dafür aus, mit Projekten die Erinnerung an den Holocaust wach zu halten. Fotos und Bilder reichten nicht aus, „um einen Abwehrmechanismus bei den Jugendlichen zu erzielen.“ Schon gar nicht ließe sich die Zeit von 1933 bis 1945 auf historische Daten reduzieren. Wirkungsvoller sei es, an Einzelschicksale zu erinnern, sagte Lehrer und führte als Beispiel die Stolpersteine vom Kölner Künstler Gunter Demnig und das „Tagebuch der Anne Frank“ an. „Das hat eine andere Wirkung als die nüchterne Information, dass sechs Millionen Juden umgekommen sind.“

Ohne Erinnerung keine Zukunft
Dr. Christian Staffa, Geschäftsführer der Aktion Sühnezeichen, verwies in seinem Beitrag auf die Bibel: „In der heiligen Schrift ist die Erinnerung auch ein Moment der Zukunft. Und so gibt es keine Zukunft ohne Erinnerung.“ Staffa appellierte, aus der Spannung zwischen Weimar und dem nur neun Kilometer entfernten Buchenwald Kraft zu schöpfen. Spannung, weil Weimar weltbekannt ist als Ort der deutschen Klassik und Kultur, wo Goethe und Schiller wirkten. Und im nur neun Kilometer entfernten Buchenwald stand eines der größten Konzentrationslager im deutschen Reichsgebiet. Doch heute werde das „Abgründige“ des Holocausts nicht mehr richtig wahrgenommen, findet der Chef von der Aktion Sühnezeichen. „Das geht mir heute oft zu glatt.“
Dennoch müsse die Erinnerung nicht zwangsläufig verblassen, wenn es keine Zeitzeugen mehr gebe. Daher sei die „lebendige Begegnung“ von Deutschen im Ausland ein zentraler Bestandteil der Arbeit von Sühnezeichen. „Die Jugendlichen müssen eine Beziehung zur Geschichte entdecken. Sie darf nicht von den Erwachsenen vorgegeben werden.“

Fritze: „als Mensch und als Christ ein Vorbild“
Die Aktion Sühnezeichen trete in die Fußstapfen vom verstorbenen Pfarrer Georg Fritze, in dessen Gedenken der evangelische Kirchenkreis den Preis verleiht, würdigte Elfi Scho-Antwerpes, Bürgermeisterin der Stadt Köln, die Arbeit von Sühnezeichen. Der Pfarrer, der 1938 nach seiner Verweigerung der Eidesleistung an Hitler vom Presbyterium Berufsverbot erhalten hatte, sei als Mensch und als Christ ein Vorbild, sagte Scho-Antwerpes. Er sei immer den geraden Weg gegangen und habe nicht die Auseinandersetzung gescheut.

Das Menschliche lebendig halten
Auseinandergesetzt haben sich auch die Jugendlichen bei ihren Auslandseinsätzen – mit dem Nationalsozialismus. Ein junger Mann, der ein Jahr in Polen mit Überlebenden des Holocausts gearbeitet hatte, habe sich in der Schule nicht richtig vorstellen können, was eigentlich hinter dem Nationalsozialismus stecke, berichtete er. „Für unsere Eltern gehörte das Thema nicht an den Essenstisch, für uns gehörte es nur in den Lehrplan.“ Doch nachdem er an einem Deportationsbahnhof in Polen gestanden habe, den Blick auf einen 60 Quadratmeter großen Güterwagen, in dem 80 Menschen transportiert worden seien, gerichtet, habe er gespürt: „Das Menschliche geht bei so etwas verloren.“ Überall in der Welt hätten Menschen auch heute noch zu leiden. „Deshalb ist die Erinnerung auch ein Stück Zukunft, für die man Verantwortung übernimmt“, sagte er.
Doch nicht nur die Begegnung mit den Überlebenden des Holocausts sei wichtig, um die Erinnerung wach zu halten, findet ein junges Mädchen, die ein Jahr in den Vereinigten Staaten bei einer jüdischen Gastfamilie gelebt hat. „Das Judentum sollte nicht nur als Opferreligion, sondern auch als lebendige Religion angesehen werden.

Zur Geschichte der Pfarrer-Georg-Fritze-Gedächtnisgabe
Pfarrer Georg Fritze zu Ehren vergibt der Evangelische Kirchenkreis Köln-Mitte seit 1981 jedes Jahr einen Preis, die renommierte „Pfarrer-Georg-Fritze-Gedächtnisgabe“, um „Menschen und Gruppen, die sich in besonderer Weise für die Opfer von Diktatur und Gewalt einsetzen“, zu ehren. Fritze war Pfarrer an der evangelischen Kartäuserkirche, verweigerte die Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten, wurde darum 1938 entlassen und starb kurz darauf. Seit 2004 gibt es den mit 5.000 Euro dotierten Preis nur noch alle zwei Jahre. Mehr darüber und die Liste aller Preisträger finden Sie hier.

Text: Bianca Wilkens
Foto(s): Bianca Wilkens